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Katholiken auf nordirischem Arbeitsmarkt ohne Chance

In katholischen Arbeitervierteln gibt es 80 Prozent Arbeitslosigkeit / Einseitige Investitionspolitik der britischen Regierung / Arbeitslosenselbsthilfegruppen aus katholischen Regionen gedrängt / Bemühungen, die USA - den größten ausländischen Direktinvestor - zu einer gerechteren Investitionspolitik zu veranlassen  ■  Aus Belfast Ralf Sotscheck

„Vor zwanzig Jahren haben wir in den Straßen von Belfast und Derry für ein Ende der Diskriminierung von Katholiken demonstriert“, sagt Finbar O'Doherty, der damals eine führende Rolle in der Bürgerrechtsbewegung spielte. „Seit der Gründung dieses Staates im Jahr 1922 waren Katholiken sowohl in Bezug auf das Wahlrecht, als auch bei der Wohnungs - und Stellenvergabe benachteiligt. Zwar ist das Wahlrecht inzwischen nicht mehr an Hausbesitz gebunden, aber bei der Verteilung der Arbeitsplätze hat sich nichts getan - im Gegenteil: die Situation hat sich verschlechtert. Das anglo -irische Abkommen, das gerade drei Jahre alt geworden ist, hat daran auch nichts geändert, obwohl es ausdrücklich zu einer gerechteren Einstellungspraxis führen sollte.“

Die staatliche „Agentur für gerechte Jobverteilung“ (FEA) hat Zahlen vorgelegt, aus denen hervorgeht, daß zweieinhalbmal soviele katholische Männer arbeitslos sind, wie ihre protestantischen Geschlechtsgenossen. Wegen des Niedergangs der Schwerindustrie ist zwar auch die Arbeitslosigkeit unter den Protestanten gestiegen, doch der Verfall der traditionell „katholischen“ Textil- und Bauindustrie hat sich weitaus stärker bemerkbar gemacht. Die Arbeitslosenzahl in katholischen Arbeitervierteln beträgt bis zu 80 Prozent. Doch die britischen Investitionsprogramme konzentrieren sich auf protestantische Viertel. Für Katholiken ist es nicht nur schwierig, in diesen Vierteln Arbeit zu bekommen, sondern auch lebensgefährlich: seit Anfang der siebziger Jahre haben protestantische Paramilitärs immer wieder katholische „Eindringlinge“ ermordet. Das hat zu einer nahezu vollständigen „vertikalen Segregation“, also einer Trennung der beiden Bevölkerungsteile anhand von Religionszugehörigkeit, geführt. Und die Trennung ist sichtbar: zwischen der katholischen Falls Road und der protestantischen Shankill Road verläuft ein Wellblechzaun. An dieser „Friedenslinie“ kommt es häufig zu regelrechten Schlachten.

Die britische Regierung versucht, ihre (Nicht-)Subventionen zur Aufstandskontrolle einzusetzen. In das katholische West -Belfast fließen keine öffentlichen Gelder. Der britische Innenminister Hurd hat Ende letzten Jahres allen Arbeitslosen-Selbsthilfegruppen in diesem Viertel die Mittel gestrichen, weil sie angeblich Verbindungen zu „Terroristen“ haben. Erklärten sich die Projekte bereit, in das „neutrale“ Stadtzentrum umzusiedeln, so wurde ihnen die Unterstützung wieder bewilligt. Gleichzeitig spendierte die Regierung dem protestantischen Ost-Belfast ein neues Schwimmbad. Trotz aller amtlichen Beteuerungen, der ungerechten Enstellungspraxis ein Ende bereiten zu wollen, sieht das Bild in den staatlichen Betrieben nicht besser aus. In der Flugzeug- und Waffenfabrik „Shorts“, die in West-Belfast liegt, arbeiten nur fünf Prozent Katholiken. Robin McAnulty ist 28 Jahre alt. Er hat noch nie einen festen Job gehabt, bei „Shorts“ würde er jedoch nicht arbeiten: „Ich bin doch nicht verrückt. In der Fabrik wimmelt es doch nur von britischen Fahnen, ständig marschieren die Loyalisten in ihren Uniformen über den Fabrikhof. Da bin ich mir doch meines Lebens nicht sicher.“ Auch in den gehobenen Positionen stellen die Katholiken unter fünf Prozent. Die FEA gibt zu, daß die Katholiken in diesem Bereich stark benachteiligt sind: „Die Bewerber müssen sich bei Ausschüssen vorstellen, die fast ausschließlich mit Protestanten besetzt sind.“

Selbst ausländische Investoren haben die diskriminierende Einstellungspraxis übernommen. Der „Irish National Caucus“ eine Gruppe irischer Emigranten in den USA - versucht seit Jahren, US-amerikanische Niederlassungen in Nordirland zu einer gerechteren Stellenvergabe zu bewegen. Die USA sind der größte ausländische Investor in Nordirland. 23 US-Firmen mit einer Gesamtinvestition von 29 Milliarden Dollar beschäftigen - direkt oder indirekt - 17.000 Menschen. Der „National Caucus“ fordert, daß diese Firmen sich den „McBride-Prinzipien“ unterwerfen sollen.

Diese Prinzipien sind von dem im Januar verstorbenen irischen Friedensnobelpreisträger und Mitbegründer von amnesty international, Sean McBride, aufgestellt worden. Sie zielen darauf ab, US-Firmen zu einer Beendigung der Benachteiligung von Katholiken zu zwingen. Die Prinzipien wurden bisher von zehn US-Staaten und 20 Großstädten anerkannt. Doch in Nordirland stoßen sie bei den Gewerkschaften und den politischen Parteien auf Ablehnung. Nur Sinn Fein, der politische Flügel der „Irisch -Republikanischen Armee (IRA)“, unterstützt die Bemühungen des „National Caucus“.

Die Kritiker befürchten, daß eine erzwungene Durchsetzung der McBride-Prinzipien zum Rückzug vieler US-Firmen aus Nordirland und damit zum Verlust vieler Arbeitsplätze führen werde. Darüber hinaus fände lediglich eine Umverteilung der Armut statt, weil dann die Arbeitslosenzahlen bei den Protestanten steigen würden. Eine wirkliche Verbesserung der Situation ließe sich nur durch die Schaffung neuer Arbeitsplätze erreichen.

Tom Redmond von der Organisation „Gewerkschafter für ein unabhängiges und vereintes Irland“ widerspricht dem. Er sagt: „Sicher muß Druck auf die britische Regierung ausgeübt werden, damit die Diskriminierung von Katholiken in Nordirland beendet wird. Aber natürlich haben die US-Bürger das Recht zu entscheiden, auf welcher Basis US-Firmen im Ausland investieren. Diese internationale Solidarität ist wichtig. Sonst könnte man es ja gleich der Botha-Regierung in Südafrika überlassen, die Apartheid abzuschaffen.“

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