„Die Gnade des spät ins Amt Gekommenen“

Umweltminister Töpfer im Wendland / Auf einer öffentlichen Veranstaltung spricht der Minister über politische Verantwortung, Erblasten und die Möglichkeiten der Atommüllentsorgung / Lüchow-Dannenberger enttäuscht  ■  Aus Lüchow Gaby Haas

Viele der Lüchow-Dannenberger, die am Sonntag abend zur Bürgerversammlung mit Bundesumweltminister Töpfer nach Gorleben in die „Alte Burg“ strömten, sahen die Gaststätte seit neun Jahren zum ersten Mal wieder von innen. Bis sie 1980 ihren Besitzer wechselte, hatte es die „Alte Burg“ über die Grenzen des Wendlands hinaus als Zentrale des Gorlebener Widerstands zu einer gewissen Berühmtheit gebracht. Doch wo früher die Atomgegner ihre Versammlungen abhielten, Aktionen koordinierten und bei der „Gorleben-Disco“ schwooften, führte dieses Mal die atombegeisterte CDU des Landeskreises die Regie.

Ursprünglich hatte Töpfer für seinen Wendland-Besuch nur Stippvisiten bei der eigenen Partei, Kreistagssitzung und Gorleben-Kommission auf dem Programm. Und nur auf Druck der Bürgerinitiative (BI) und der Grünen wurde kurzfristig noch eine öffentliche Veranstaltung anberaumt. Für die BI immerhin ein Zeichen dafür, daß sich der Minister „geschickter im Umgang mit Kritik“ zeige als die Kreispolitiker. Doch was der Oberaufseher der Atomindustrie angesichts eines Toten beim Endlager-Schachtunglück, nach Transnuklear-Skandal und Bläh-Fässern im Gorlebener Zwischenlager zu erzählen hatte (Motto: Wir haben alles geprüft und können weitermachen), fand die versammelte Gemeinde der Gorleben-Gegner weniger zufriedenstellend.

Töpfer mußte sich aus dem mit rund 300 Besuchern aus allen Fugen platzenden Saal unangenehme Fragen stellen lassen: Wie denn nach Mol und Hanau noch ein Umweltminister das Wort „Entsorgungspolitik“ in den Mund nehmen könne, wo doch nur eine Politik diesen Namen verdiente, die schon vor dem Bau des ersten Atomkraftwerks danach gefragt hätte, wo der Strahlenmüll einmal landen solle? Wie sei es möglich, daß Gorleben für Gerichte und Genehmigungsbehörden als „Entsorgungsnachweis“ herhalte, obwohl laut Philosophie des Umweltministers hier noch gar kein Endlager „im Enstehen begriffen“ sei? Ob - vielleicht nicht bei Herrn Töpfer persönlich - aber vielleicht in seinem Ministerium eine Geisteskrankheit ausgebrochen sei, die man Schizophrenie nennt? Und ob der Umweltminister denn bereit sei, seinen Hut zu nehmen, wenn bei den demnächst fortzusetzenden Arbeiten am Gorlebener Salzstock wegen der geologischen Unwägbarkeiten der nächste Tote zu beklagen sei?

„Unverantwortlich“, so erregte sich Töpfer im Brustton moralischer Entrüstung über diese letzte Frage, das könne er „in Worten gar nicht fassen“. Wenn so ein Unglück wirklich noch einmal passiere, dürfte er doch seinen Hut nicht nehmen, sondern müsse im Gegenteil seiner Verantwortung gerecht werden und entsprechend politisch handeln. Über die Sache mit der Geisteskrankheit wollte der Minister „nicht beleidigt sein“, und so ließ er das Publikum denn doch noch einiges Interessantes über die Last des Amtes wissen.

„Wer in der Bundesrepublik noch einmmal politische Verantwortung übernehmen will, der sollte sich davor hüten, zu sagen, in diesem Land ist keine Entsorgung möglich. Denn er wird ganz schnell von den Realitäten eingeholt“, sagte Töpfer. Und: „Ich habe Probleme zu lösen, die ich nicht bewirkt habe“, was ein Zuschauer mit dem Zwischenruf: „Die Gnade des spät ins Amt Gekommenen“ kommentierte. Schließlich zitierte er den Zukunftsforscher und Atomkritiker Robert Jungk mit dem Satz: „Ich will nicht sachlich sein, ich bin besorgt“, um daran anzuknüpfen: „Ich kann es mir nicht erlauben, nur besorgt zu sein. Ich muß sachlich sein, sonst kommen wir mit moderner Technologie nicht mehr zurecht.“

Nur einmal entgleisten dem in Sachen Bürgerdialog gewieften Töpfer die Gesichtszüge, als ihn die BI-Vorsitzende Rebecca Harms anherrschte: „In diesem verschlampten Laden kann man keine Teilverantwortung übernehmen, das ist hier keine Show, das ist ein ganz dreckiges Geschäft.“

„Sie wollen hier ja gar keine Antworten von mir hören“, schwante es dem Umweltminister, aber mit dieser Vermutung lag er auch wieder nicht richtig. Denn drei Sachen wollten die Lüchow-Dannenberger, die sich derzeit mit zahlreicher Beteiligung auf eine Blockade des ersten Transports mit abgebrannten Brennelementen ins Gorlebener Zwischenlager vorbereiten, nun wirklich von ihm wissen: „Wann kommt der Castor, wird er per Straße oder per Schiene angekarrt, und an welchem Bahnhof wird er umgeladen: Barendorf, Schnega oder Dannenberg-Ost?“

Nicht einmal das konnte Töpfer den rundum enttäuschten Wendländern sagen.