Was damals auch geschah...

20 Jahre mußte der sowjetische Regisseur Aleksandr Askoldov darauf warten, daß sein wichtiger Film „Die Kommissarin“ von den Behörden freigegeben wurde: Diese Entscheidung war dumm.  ■  Von Jürgen Francke

„Der Film wurde von Mitarbeitern des staatlichen Filmfonds aufbewahrt“, heißt es zu Beginn der Kinovorstellung und das teilweise vergilbte Filmmaterial scheint zu bestätigen, daß dies sehr lange her gewesen sein muß. Genau zwanzig Jahre mußte der sowjetische Regisseur Aleksandr Askoldov darauf warten, daß sein Kinowerk Die Kommissarin zur Aufführung freigegeben wurde. Bis Ende 1987 dauerte es, bis die Behörden in Moskau die Vorwürfe der „Verleumdung der

Revolution“, der „zionistischen Propaganda“ und des „chauvinistischen Nationalismus“ noch einmal überprüften und letztendlich nicht mehr aufrechtverhalten konnten. So profitiert auch das Publikum im Westen von den Liberalisierungsbemühungen in der Sowjetunion, denn nach seiner Freigabe erntete der Schwarz-Weißfilm auf mehreren Filmfestivals jubelnde Kritiken und einige Preise.

Aus heutiger Sicht ist es sicherlich leicht, zu urteilen. Die Entscheidung der staatlichen Stellen war dumm. Nicht nur,

daß schon früh die Chance einer aufgeklärten Rückbesinnung auf die Revolutionsjahre vertan wurde, auch die Möglichkeit der Auseinandersetzung mit rollenspezifischen Inhalten wurde in die Schublade verbannt.

Dabei ist Askoldovs Werk auch ein feministischer Film. Klavdija Vavilova (Nonna Mordjukowa) ist eine selbstbewußte Frau mit einer schwierigen Aufgabe. Die Revolutionskämpfe toben, die Lage in der Ukraine ist unklar und ausgerechnet in dieser Zeit erwartet die politische Kommissarin ein Kind. Zur Abtreibung ist es zu spät und so bleibt der werdenden Mutter nichts anderes übrig, als die kämpfenden Truppen zu verlassen und auszuruhen.

Askoldov offenbart bei diesem Bruch der Aktivitäten der agilen Frau eine geniale Filmsprache. Nach rastlosen Soldatenbewegungen durch den Ort Berditschev und der Erschießung eines Deserteurs mündet die Bilderfolge in langen ruhigen Sequenzen entlang steinerner Straßen, Gänge und Treppen. Der Regimentskommandeur quartiert Va

vilowa bei einem jüdischen Kesselflicker und seiner kinderreichen Familie ein. Plötzlich, ganz unerwartet reduziert sich das Dasein der Mitdreißigerin auf ihre Rolle als Frau. Die Verantwortung über viele Männer ist ihr genommen, die graue Winteruniform weicht einem gemusterten Kleid und auch körperlich verändert sich ihr Leben. Die Brust zieht und der Bauch spannt, ganz unbeholfen kommt sich die resolute Frau in ihrer ungewohnten Situation vor.

„Alle Ärgernis rührt vom Bauch her“ ist eine der neuen Erfahrungen, die sie macht, aber ob sie so etwas glauben soll, ist ihr längst nicht klar. Doch Marija (Raissa Nedaschkowskaja), die Ehefrau des Handwerkers läßt nicht locker im Bemühen, der Fremden das frauliche Selbstbewußtsein und die Leiden der Geburt zu vermitteln. So kreisen die von einer sehr beweglichen Handkamera aufgenommenen Bilder immer wieder um die Frauen und die Kinder, während Jefim, der Mann (Rolan Bykow) eher aus der tragisch naiven Perspektive des Nichtgebärers zu

schaut.

So wirken auch die szenischen Einschübe der Zeugung des Kindes, der Kampf mit der Haubitze, die es über eine Sanddüne zu ziehen gilt oder die galloppierenden Attacken gegen den Klassenfeind wie der martialische Rahmen höchstmenschlicher Minimalbedürfnisse. Wärme, Geborgenheit oder Solidarität sind die fragilen Grundfeste des Lebens, besonders des werdenden. Das Kind, ein Sohn, kommt unter Qualen zur Welt, und nun braucht auch die Kommissarin Schutz, die selbst diesen bieten soll.

Kontrapunktisch zum Entstehen neuen Lebens, vielleicht auch eines neuen Frauengefühls, stirbt die Stadt. Vernagelt und verlassen harrt sie der Konterrevolutinäre, da die Bolschewisten sich zurückziehen. Doch gerade jetzt trifft die Kommissarin eine Entscheidung. Zwischen Kind, Emanzipation, Revolution und barer Nächstenliebe hin-und hergerissen wählt sie den politischen Kampf. Besonders auch unter feministischen Gesichtspunkten ist dieses Werk hochaktuell.

Cinema 21 Uhr