Transit-Memories

■ Gespräche im Zugabteil: Eine Fahrt in die Vergangenheit

Es gibt Menschen, denen zittern heute noch die Knie, wenn sie „durch den Osten“ fahren. Den deutschen Osten. Die SBZ (Sowjetische Besatzungszone).

Schweißausbrüche sind da an der Tagesordnung, und mancher Mann knallt unbewußt die Hacken zusammen, wenn die Grenzkontrolle ihn abfertigt. Doch nach den diversen Angst und Trotzreaktionen werden die Köpfe zusammengesteckt. Es sind nämlich noch ein paar Kumpane hier im Zug. Im gleichen Abteil. Und bis Berlin ist es noch ein gutes Stück. Soeben passieren wir Magdeburg.

Erinnerungen werden wach. Es gibt einiges zu erzählen. Neulich war er nämlich gar nicht so weit von hier, in Polen

-der Alte mit den glattgeleckten Haaren. Er winkt die anderen zu sich heran, blickt sich vorsichtig um und flüstert lauthals: „Mein Gott, daß das alles verloren ist.

Das Herrenhaus sei vollkommen verwildert, überhaupt alles sei entsetzlich dort drüben - in Polen. Ja, mit den einfachen Menschen dort käme er ja noch klar: „Mit denen ist alles möglich.“ Angst sei allerdings bei den Funktionären angebracht: „Ho, ho, wenn die hören, daß du Deutscher bist!“ Der Alte bleckt die Zähne. „Was waren wir noch jung damals! Ach, es ist eine Schande.“ Die Jugend ist verloren. Ab und zu reist der Mann in die graue Verlustzone und da merkt er eines: „Der Pole freut sich“, wenn er kommt. Außerdem bringt er immerhin das Geld mit. Bei ihm kann der Alte noch seine „Bilder aus der alten Welt“ reproduzieren. Und daß alles wieder so wird wie damals, „das wird sich von selber regeln“.

Der Zug transportiert die Männer weiter Richtung Osten. Die Gleise erzählen leise singend die Geschichte von anderen Transporten. Doch der Mann hört den Singsang nicht, ist bereits Hunderte von Kilometern voraus. Auf dem Hof des Vaters, den er nach Jahren wieder besuchte: Gut, sehr gut, der Taxifahrer sprach noch Deutsch. Immer noch. Erinnerte sich sogar der alten deutschen Besitzer des Hofes. Hervorragend.

Und doch - der Mann hatte seinerzeit auf dem Hof nicht bleiben können: „Die Russen, sie wissen schon, meine Herren! Und mein Vater...“ Kopfschütteln. Er bricht ab. Kopfschütteln. „Wie gut, daß ich Berlin verteidigen mußte, damals.“

Dann lehnt er sich entspannt zurück und hofft sehnsüchtig, ohne jeden Tieffliegerangriff den Bahnhof Zoo zu erreichen. Sein Auge zuckt, ganz leicht nur, während seine Hand nach dem Sturmgepäck tastet - die Mauern am Grenzbahnhof Griebnitzsee machen ihm Angst. Einer wie er wird immer schwitzen.

Detlef Berentzen