: WELLENSALAT IM DRESSING DER ZEITEN
■ Unter dem Arbeitstitel „An Alle - Die Rundfunkstory“ wird in Berlin ein vierteiliges Fernsehspiel gedreht
Also gut, Geschichtsunterricht. Irgendein historisches Datum findet sich immer, täglich. Sicher hast du, werter Genosse, noch das eine oder andere aus beliebiger Zellensitzung präsent. Erinnere dich: Heute vor 70 Jahren und 15 Tagen verlor Hilfsspartakist Ulf Utzow beim Run auf Schloß Charlottenburg sein rechtes Fußkleid, einen Boxcalf -Haferlschuh, den er sich eigens zum Umstürzeln ausgeliehen hatte. Nach dem Zweiten Weltkrieg tauchte er im Kostümfundus der Allianz-Film überraschend wieder auf - zu diesem Zeitpunkt fehlte allerdings längst der linke. Ohne nun über Gebühr ablenken zu wollen (Wovon? Der Päzzer), sei ins Gedächtnis gerufen, daß, verbürgt mit aller beamteter Redlichkeit und Seriosität, seinerzeit in Berlin irgend so'n Generalstreik ausgerufen ward. Doch nicht nur die Generäle streikten, nein, auch so mancher Oberst trat in den Ausstand, solange es die schon recht winterweisende Temperatur zuließ. (Halte nur die Hand aus deiner zum Appartement umgebauten Ku'dammkammer, o ewig hinterfragender Genosse). Spätestens auf dem Fuße kehrten die meisten zu ihrem anheimelnden Kanonenofen zurück. So blieb mal wieder alles am Proletariat hängen. Leicht kann der Wissende diese Wirrnis erklären, wurden am 9. November 1918 doch gleich zwei Republiken ausgerufen. Eine sozialdemokratische durch Philipp Scheidemann sowie eine sozialistische durch Karl Liebknecht. Und weil ersterer beim Ausrufen ein wenig genuschelt hatte und heiser war, erkältet oder wasweißichwie indisponiert, kamen seine Jungs ein bißl spät zum Besetzen. Jawohl, denn darum soll's hier zufürderst gehen. (Worum? Der Schwäzzer) Schlagt also eure Oktavhefte auf, spitzt Ohren und Montblancs, Freunde der Neuen Zeit. Der Spartakusbund war schneller und schlüpfte in den zentralen Nachrichtenknotenpunkt des deutschen Reichs spätwilhelminischer Prägung, die offiziöse Nachrichtenagentur 'Wolffsches Telegraphen-Bureau‘ (WTB). Dort ließ er sich erst mal wohlsein - wie gesagt, draußen herrschte schon üble Frische - verstänkerte die Luft so recht nach Kommunistenmanier mit Fritzi-Massary-Pilot -Knaster und wartete auf die Scheidemänner des Arbeiter- und Soldatenrates. Die, nachdem sie endlich die Message des Chairmans kapiert hatten, kamen mit beinah unzulässiger Verspätung, wußten aber sofort Rat. Der Soldatenrat lautete: „Haut den ganzen Klumpatsch zusammen, und dann gehen wir 'ne honett geproppte Blonde zischen.“ Der Arbeiterrat hingegen hörte sich friedlicher an: „Wir tun's olle Lenin nach und quatschen die Leute 'n bisken voll von wegen HistoMat und DiaM.“ (Historischer und Dialektischer Materialismus; schon vergessen, Genießerinnen und Genossen?)
Der einzige Nicht-Arbeitslose in dem ganzen Haufen, Erich Rossmann, nahm schließlich die Leitung in die Hand, bekam einen gewischt, denn da war noch Strom drauf, trieb's trotzdem weiter und sollte dafür später, von 1948 bis 1949 zum Intendanten von Radio Stuttgart gekrönt werden. Längerer Einführung knackiger Sinn: übers 'Wolffsche Telegraphen -Bureau‘ sezzten die Besezzer eine revoluzzionäre Jubelarie ab, die begann mit den weisen Lenin-Worten: „An Alle!„ (Wahnsinn! Wie isser nur darauf gekommen? Toll! Genial! Mein Lieblings-Wladimiriljitsch! Der Fäzzer) Dies vernahm Peter Märthesheimer, eben damit befaßbindert, einen Drehbuchentwurf zu entwerfen. Noch alliterierte er an potentiellen Titeln wie „Daisy Duck“ oder „Veronika Voss“. Grübelnd überm Telefonbuch spökerte er nach Frauennamen: „Lolita... Lila... Lola... Henriette Hitler... Eva Braun... Maria Braun...“ Doch als er den rundgefunkten Aufruf vernahm, fühlte grad er als Diplomsoziologe sich doch schon sehr angesprochen. Augenblicklich erstellte er das Paradigma, legte die Plot Points fest, um das Werk den Kumpels vom WDR unterzujubeln. Soviel zum Buch, doch wer sollte die Spielleitung übernehmen? Faßbinder war inzwischen gestorben, weil kein Aas seine Livestory fortschreiben wullt, Rainer Erler schon mal ein paar Jährchen ins Morgen vorgeprescht, und Egon Monk schwang grad die eigene Peitsche, unser aller Vergangenheit aufs bewältigte Format zu bekommen. Eine göttliche Fügung funkte schließlich Dietrich Haugk ins historische Spiel. Für ihn, dermaleinst Voluntär-Assistent der Reichsfunk-Gesellschaft, kam die Rundfunkstory als Fatum auf ihn zu. Seither, exakt seit 6. September, treibt's ihn besessen von Motiv zu Motiv, ein beachtliches Team nebst Komparsenheer an den Hacken, dies aufwendige Werk bis Ende Januar 1989 endgültig in den Schneideraum zu regissieren. (Du kommst dir wohl wahnsinnig witzig vor, lieber Autor, aber was du hier verzapfst, ist der größte Blödsinn, den ich seit langem gesetzt habe d.S.)
Dem Tanzmusikfreund hüpft das Herz in die Kniekehlen: das Orchester Bernhard Ette spielt im guten alten Hotel Adlon nicht zu verwechseln mit jener popelig-pseudofeinen Kaffeeschenke am Adenauerplatz - von wo aus „Wenn die Jazzband spielt“ live übern Sender kommt. Gleich nach britischem Vorbild. Ja, man könnt sich die Augen reiben, lohnt aber nicht. Das Adlon liegt nämlich plötzlich im Grunewald, heißt Schloßhotel Gerhus und beherbergt zu allem Überfluß grad mal Deutschers Drafi. Des lieben Hansens Knie besingen, noch vereint, die beiden Paradiesvögelchen Victoria und Rosi, Puschel pianiert oder das Piano puschelt
-ein klassischer Rundfunkversprecher - und die Kleindarstellerpärchen tanzen durch die Jahrzehnte, bis rüber ins Foyer vom Theater des Westens. Dort sieht so manches anders aus, grauslicher schon. Grölig siegheilend begehen Klaus-Peter Hallwachs und Anhang den Wahlsieg des Anstreichers, da entzweit die hoh(l)e Politik unsere beiden Mädels in aller Offensichtlichkeit. Zum Entsetzen der toll überkandidelten Moderation Angelika Milster stimmt Cathrin „Victoria“ Vaessen ein Brecht-Liedl an. Uiuiui, damit liegt sie aber nicht grad im Trend, wie denn auch kommendes Runkfunkprogramm beweisen wird.
Bei der ersten Vorführung des Tschingdarassaradios vor Fachleuten in der Freimaurerloge - wo das Filmteam gar nicht wohl gelitten ist - gibt dies klobige Teufelsgerät lediglich höllisch geräuschten Wellensalat von sich. Rundfunkkommissar Hans Bredow, mit bürgerlichem Namen Joachim Bissmeuer, ist erschüttert, hier in den beginnenden Zwanzigern wie später von der braunen Senderei. Opportunistelt er anfangs auch ein wenig; wo er steht, wo man ihn sieht jedenfalls, verdeutlicht der „humoristische“ Vortrag von NS -Reichssendeleiter Eugen Hadamovsky vor seinem Reichsverband Deutscher Rundfunkteilnehmer: „Mit den letzten Vorgängen, die sich in den Funkhäusern und um den Rundfunk herum abgespielt haben, endet die demokratische Epoche des Rundfunks und damit endet zugleich die Epoche der Rundfunk-Liliputaner. Zehn Jahre System-Rundfunk haben uns zehn Jahre verkalkten Liberalismus beschert, zehn Jahre geistloser, sich aber geistig dünkender Perversitäten und zehn Jahre einer unglaublichen Korruption (...) Jetzt wird Herr Kohl (Direktor Fritz, nicht Kanzler Helmut, Ph.E.) Zeit und Gelegenheit haben, einmal über volkswirtschaftliche Gesichtspunkte - sagen wir: etwas konzentriert - nachzudenken (Gelächter, Applaus). Übrigens hat auch der ehemalige Rundfunkkommissar Herr Dr. Bredow einen Wunsch geäußert, und Wünschen soll man sich nicht immer verschließen, wenn es nicht unbedingt notwendig ist. Herr Dr. Bredow hat telegraphiert, er möchte auch in ein Konzentrationslager. Der Mann will Urlaub haben (Gelächer). Ich glaube, meine Volksgenossen und Volksgenossinnen, wir können Herrn Dr. Bredow eine Antwort geben: Wenn Sie das wollen, dann ist es überflüssig, daß Sie ein Telegramm schicken; melden Sie sich bitte morgen früh um sechs Uhr bei dem Lagerkommandanten in Oranienburg!“ (Deutsches Rundfunk -Archiv, Frankfurt, Aufnahme. Zitiert nach Peter Dahl: Radio, Reinbeck 1983).
Der Film allerdings endet vorher mit von Günther „Solo Sunny“ Fischer aufgemotzten Nostalgie-Klängen. Übers Jahr, im November '89, sollen wir uns dann überzeugen dürfen, daß der Fernsehempfänger halt doch das bessere Radio ist.(Drehschluß! Der Häzzer) (Danke für Ihr Mitgefühl. Nach so 'nem Text habe ich eigentlich Lust, nach Hause zu gehen d.S.)
Phil Ekset
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