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„Niemand hat so abgegrast wie Weil“

Staatsanwalt forderte viereinhalb Jahre Gefängnis im Frankfurter Korruptionsprozeß / „Etwas ist faul im Staate“  ■  Aus Frankfurt Heide Platen

Vier Jahre und sechs Monate Gefängnis forderte Staatsanwalt Wolfgang Schaupensteiner gestern vormittag im ersten großen Korruptionsprozeß in Frankfurt. Mit lässiger Pose, Dreitagebart und einer Hand in der Hosentasche hielt er vor der 4. Strafkammer des Landgerichts einen deftigen Vortrag über den Zustand bundesdeutscher Moral im Öffentlichen Dienst. Dem Angeklagten Alfons Weil, einem ehemaligen Abteilungsleiter aus dem Garten- und Friedhofsamt, hielt er zugute, daß „das Rückgrat unserer Demokratie gebrochen“, eben „etwas faul im Staate“ sei, wenn Bestechungen immer mehr an der Tagesordnung seien. Und er muß es wissen, ermittelte er doch gegen über 300 städtische Bedienstete und Unternehmer und steckte ganze Abteilungen in Untersuchungshaft, ehe er Anfang 1987 „eine ganze Prozeßlawine“ auslöste.

Alfons Weil, der für den Bau von Sport- und Grünanlagen zuständig war, ist angeklagt, Bauunternehmer erpreßt, genötigt und sich Vorteile im Amt verschafft zu haben. Den Vorwurf der Erpressung hatte Schaupensteiner noch vor Beginn seines Plädoyers reduziert. Die Bestechlichkeit sah er in sechs Fällen als gegeben an. Damit habe die „zweitälteste Einnahmequelle der Welt“ in die Kriminalstatistik der Bundesrepublik Eingang gefunden, „wie in allen anderen Ländern der Welt“ auch. Der Staatsanwalt nannte Weil „eine schillernde Figur“, der man Untreue auf den ersten Blick nicht zutraue. Die Summe, die Weil an Geld und Sachleistungen kassiert habe, bezifferte er allein bei einer Firma mit über 700.000 Mark. Weil habe laut Finanzamt Anfang 1986 über ein Vermögen an Bargeld und Immobilien von rund 1,4 Millionen Mark verfügt. Ein Zeuge hatte vor Gericht mit Blick auf andere Bestechliche im Rathaus ausgesagt: „Keiner hat so abgegrast wie Weil.“ Die Amtskollegen Weils seien im Zeugenstand „eine Seilschaft der Vergeßlichen“ gewesen: „Wenn da einer spricht, stürzen alle ab.“ Schaupensteiner konstatierte bei dem äußerlich biederen Weil eine „erhebliche kriminelle Energie“. Er habe das Geld auf die verschiedensten Konten seiner Familie verteilt. Aus der Lederkleidung, die eine Baufirma ihm, seiner Frau und seinen Kindern zweimal pro Jahr kaufen mußte, waren die Etiketten säuberlich herausgetrennt. Weil habe versucht, seine Taten durch falsche Quittungen „planmäßig zu verschleiern“. Als strafmildernd wertete die Staatsanwaltschaft Weils Geständnis und daß er in Zukunft auf diese Weise wohl nicht mehr straffällig werden könne. Daß Weil schon kurz nach seinem Amtsantritt 1966 begonnen habe, Geld zu nehmen, und dies gute 20 Jahre weiter trieb und steigerte, nannte Schaupensteiner ein „Phänomen“. Er forderte ein Urteil mit einer „Abschreckungswirkung“.

Verteidiger Dr. Rainer Eggert mochte an der Schuld von Weil nicht rütteln. Aufgrund der Umstände bat er das Gericht jedoch um eine „angemessene Strafe“ unterhalb der Forderung der Staatsanwaltschaft. Er griff die Besitzerin einer in Konkurs gegangenen Baufirma an, die Weil schwer belastet hatte. Sie habe, so Eggert, nach seiner Meinung „gelogen, daß sich die Balken bogen“. Sein Mandant sei zwar geschmiert worden, habe aber nicht erpreßt. Er habe eben gesehen, daß er wie andere auch hofiert worden sei. Das sei von den Firmen ausgegangen und gewesen wie „mit manchen Pflanzen und Tieren, die ihr Opfer mit ein wenig süßem Schleim anlocken“. Ein klassisches Opfer sei Weil zwar nicht, aber er habe eben „das schmutzige Spiel mitgespielt“. Wenn die Baufirma heute behaupte, sie sei erpreßt worden, dann werte er das als eine „schlichte Schutzbehauptung“.

Alfons Weil, der die Plädoyers mit zitternden Händen und bebenden Mundwinkeln verfolgte, beschränkte sich in seinem Schlußwort auf drei Sätze: „Es tut mit leid, daß das alles passiert ist. Ich bereue das auch.“ Auch er stellte das Urteil in das Ermessen des Gerichts. Es wird morgen um 15 Uhr gesprochen werden.

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