Ein Alt-Nazi und das Bundesverdienstkreuz

Der ehemalige Hauptschriftleiter des 'Niedersachsen-Stürmer‘ und Kulturpreisträger des Kreises Harburg von 1975, dessen „Verdienste“ von einst nun in Buxtehude für Aufsehen sorgen, möchte sein Bundesverdienstkreuz nicht zurückgeben / Bundespräsident muß jetzt Antrag auf Aberkennung prüfen lassen  ■  Aus Hamburg Axel Kintzinger

Über Zuspruch und Solidarität braucht sich Wilhelm Marquardt derzeit nicht zu sorgen. Seit der 89jährige Ex-Lehrer aus dem nordniedersächsichen Buxtehude auf seine alten Tage in die Schlagzeilen der Lokalpresse geraten ist, üben die Nachbarn den Schulterschluß mit diesem Mann, „der 40 Jahre Tag für Tag gearbeitet hat“, wie es eine Frau - ihren Namen möchte sie nicht nennen - erklärt. Sie meint die letzten 40 Jahre. Zum politischen Zankapfel ist Marquardt vor allem aber wegen der Zeit davor geworden - den Jahren, in denen er schon einmal berühmt war in Buxtehude und im ganzen norddeutschen Raum.

Als Volkstumsreferent des Reichspropagandahauptamtes Osthannover, Gauhauptstellenleiter, stellvertretender Leiter des Reichsbundes Deutsche Familie und Hauptschriftleiter (Chefredakteur) des 'Niedersachsen-Stürmers‘, einem großen Ableger des gleichnamigen Nazi-Kampfblattes, predigte er das, was man gemeinhin Rassenhaß nennt. An Textproben mangelt es nicht. Etwa: „Wer die göttlichen Gesetze des Blutes und der Rasse leugnet, hat gar kein Recht, im Namen Gottes zu sprechen und zu handeln.“ Oder: „Wir im Gau Osthannover dürfen stolz sein, Angehörige eines Gaues zu sein, in dem eine rassisch so hochwertige Bevölkerung seßhaft ist.“ Und, über die Hitler-Attentäter vom 20.Juli 1944: „Der wirkliche Soldat hat mit dem Verbrechergesindel nichts gemein.“ Marquardts, 'Stürmer'-Texte dieser Art wiegen, aufeinander gehäuft, kiloschwer.

Die Geschichte von Personen, die mit solchen, in hoher Auflage verbreiteten Aussagen Karriere machten, erregt heute nicht mehr allzuviel Aufsehen - auch wenn sich einige jetzt zu Recht darüber empören, daß Marquardt nach dem Krieg unbehelligt bis zu seiner Pensionierung als beamteter Lehrer tätig war. Was seinem Fall jedoch einige Brisanz verleiht, sind die Auszeichnungen, die Marquardt in den letzten Jahren bekommen hat. Für das Verfassen von Ortschroniken der Dörfer rund um Buxtehude wurde ihm 1975 der damals erst eingeführte Kulturpreis des Landkreises Harburg verliehen, 1982 überreichte man ihm für sein unentgeltliches Bemühen, die Geschichte dieser Region aufzurollen, gar das Bundesverdienstkreuz.

Und das möchten ihm die Harburger Grünen nun wieder abnehmen lassen. In einem Antrag an Bundespräsident Richard von Weizsäcker begründet deren Kreisfraktionsmitglied, der frühere Landtagsabgeordnete Georg Fruck, diese Forderung nicht nur mit der NS-Vergangenheit Marquardts, sondern auch mit dessen Schaffen als Buxtehuder Chronist: „Nach dem Zusammenbruch 1945 hat Marquardt nichts dazu gelernt. Er hat den 1935 von der NSDAP gegründeten und von ihm geleiteten 'Kreisheimatkalender‘ ab 1954 in der gleichen Originalaufmachung fortgeführt und als Verfasser von über 30 Ortschroniken die Zeit zwischen 1933-45 beharrlich totgeschwiegen.“ Nicht ganz. In der Chronik der kleinen Gemeinde Helmstorf etwa läßt „der Autor“, wie er selber schreibt, „seinen Kompanieführer Ernst Jünger zu Worte kommen“. Und zwar so: „Ich halte es für schlechten Stil, sich über die Irrtümer der Vorfahren zu belustigen, ohne den Eros zu respektieren, der damit verbunden war. Wir sind dem Zeitgeist nicht weniger verfallen; die Narrheit vererbt sich, wir setzen nur eine neue Kappe auf“, wird der Autor, dessen Werke als wegbereitend für den Nationalsozialismus gelten, von Marquardt zitiert.

Für die Presse ist der ehemalige Stürmer-Chefredakteur nicht mehr zu sprechen. Nur einige Lokaljournalisten konnten Marquardt Anfang November mit den Vorwürfen konfrontieren. Mannhaft stellte er sich der Kritik: „Ich habe aus Überzeugung mitgemacht. Ich habe nichts Unrechtes getan. Ich habe dem Volk dienen wollen.“ Außerdem, beschwerte sich Marquardt beim Winsener Anzeiger, könne er nicht verstehen, nach über 40 Jahren noch an die Vergangenheit erinnert zu werden. Auch gegenüber Rainer Schwartau, der dieses Thema als Redakteur des Buxtehuder Tageblattes intensiv verfolgt, stellte Marquardt sich stur, verwies auf seine Verurteilung und Entnazifizierung. Zwei Jahre hatte man ihm aufgebrummt, doch den Gerichtssaal verließ er als freier Mann - die Internierungszeit wurde angerechnet. „Damit sei für ihn alles erledigt“, gibt ihn der Winsener Anzeiger wieder, und auch Journalist Schwartau hatte nach seinem Gespräch mit Marquardt den Eindruck, es nicht mit einem bekehrten Alt -Nazi zu tun gehabt zu haben - der 89jährige würde wohl noch heute den alten Idealen nachhängen.

Für das nun informierte Bundespräsidialamt stellt sich jetzt die Frage, ob Marquardt mit seiner Art der Geschichtsschreibung und vor allem mit seiner führenden Rolle im NS-Staat noch ein „würdiger“ Preisträger sei - denn das sieht Paragraph 4 des Ordensgesetzes als Bedingung vor. Volkmar Schlurof, Leiter der Ordenskanzlei im Hause Weizsäcker, will die ihm zugesandten Unterlagen in diesen Tagen an diejenigen schicken, die Marquardt Anfang der 80er Jahre als Preisträger vorschlugen - die niedersächsische Landesregierung unter Ernst Albrecht, CDU. „Ein ganz normaler Vorgang“, urteilte Schlurof gegenüber der taz. Allerdings: Das vom Gesetzgeber klar definierte Prozedere für eine Aberkennung des Bundesverdienstkreuzes ist noch nie wirksam geworden. In den meisten Fällen gaben die ins Zwielicht geratenen Preisträger das Blech vor Ablauf des Verfahrens wieder zurück. Nur einmal wollte eine Frau ihr Verdienstkreuz mit Zähnen und Klauen verteidigen. Nachdem auch das Bundesinnenministerium wie verlangt die Aberkennung unterstützte, zog sie vor Gericht. Die Frau, deren Fall nach Schlurofs Aussage „sehr lange zurückliegt“, überlebte das Verfahren jedoch nicht.

Für die niedersächsische Landesregierung wird Ministerialrat Eckhard Noack (CDU) aus dem Wissenschaftsministerium den Fall Marquardt behandeln Zufall: Noack kommt selber aus Buxtehude.

Ob Marquardt den Harburger Kulturpreis behalten darf, wird schon Ende dieses Monats öffentlich entschieden werden. Der Kreistag, in dem die CDU über eine absolute Mehrheit verfügt, muß sich mit einem diesbezüglichen Grünen-Antrag beschäftigen.