: Wenn Polizei-Spitzen berichten
■ „Untersuchungsausschuß Geiseldrama“ begann seine Sitzungen mit einer Vernehmung der Einsatz-Leiter / Erstes Untersuchungs-Thema: Wie war der polizeiliche Führungsapparat auf die Lage eingestellt?
Der polizeiliche Führungsstab zur Bewältigung der „Geiselaffaire“ hat keine regelmäßigen Informationen über die Lage an Orten des Geschehens bekommen, es hat während der gesamten Geiselaffaire keine einzige ordentliche „Lagebesprechung“ gegeben, ja der Leiter des Führungsstabes ist bis heute der Auffassung, daß ein „Stab“ überhaupt nicht fömlich gebildet wurde - so standen Leute in den Räumen der Einsatzzentrale, die dort nicht hingehören, und es fehlten Leute, die nach der „Polizeilichen Dienstvorschift“ unbedingt in
den Führungsstab gehört hätten. Das reine Chaos beschrieben Polizeiführer und der Leiter des Führungsstabes, Wilfried Spychala, gesten in der ersten Sitzung des „Untersuchungsausschusses Geiselnahme“.
„Glauben Sie denn wirklich, daß irgend jemand alle polizeilichen Dientvorschriften kennt?“ fragte letzterer den Ausschußvorsitzenden Peter Kudella. Die Dienstvorschift sei nur ein „Hilfsmittel“. Er habe sie nur „in etwa“ gekannt.
Kripo-Chef Möller erklärte, wenn er das gewußt hätte, dann
hätte er ihm eine hinüberge schoben, damit er hätte nachlesen können, was die Aufgaben eines Stabsleiters sind. Überhaupt sei Spychala für andere Aufgaben mehr geeignet, als Beamter sei er jedoch nicht „grundsätzlich unbrauchbar“. Die Leute seien zusammengerufen worden und hätten gearbeitet, insofern sei es der in der Polizeidienstvorschrift vorgeschriebene Führungsstab gewesen, erläuterte Möller. Er sei davon ausgegangen, daß die Leute zumindest die Ordner hervorholen und nachlesen, was in einer solchen Lage ihre vorge
schriebene Aufgabe ist. Einige Personen in der Besetzung hätten zunächst gefehlt, zum Beispiel der für die ärztliche Versogung zuständige Stabsleiter, aber die seien über lange Zeit auch nicht erforderlich gewesen.
Zu einer Besprechung sei es deshalb nicht gekommen, erklärte Möller den verwunderten Ausschußmitgliedern, weil der Führungsstab ihm, dem verantwortlichen Polizeiführer, nichts habe sagen können und auch nichts vorgeschlagen habe.
Warum das so war, hatte Spychala, bei der Polizei zuständig für Umweltschutz und Datenschutz, am Vormittag dem Ausschuß erklärt: Der Polizeiführer habe selber am Funktisch nebenan gestanden. Von dort habe er alles selber entschieden - zu dem hufeisenförmigen Tisch im „Lagezentrum“ seien die Informationen nicht mehr durchgedrungen. Über die Tatsache, daß im Bus in Huckelriede Leute saßen oder auch, daß die Komplizin Löblich festgenommen woden war, habe er, der Leiter der Führungsgruppe, erst im nachhinein erfahren: „Wir waren etwas außen vor.“ Selbst Anweisungen des Polizeiführers Möller habe er zum Teil nicht mitbekommen. Dreimal habe er versucht, den Polizeiführer an den Tisch zu bekommen. Er hätte ihn „an den Tisch ziehen müssen“, erklärte Spychala.
Möller hatte dazu eine andere Version: Er sei an den Tisch gekommen, da die Herren ihm aber nichts zu sagen hatten, sei er wie
der gegangen.
Daß der Polizeiführer den Funkverkehr selber abhört, widerspricht derweil auch der polizeilichen Dienstvorschrift: Da er dies nicht kontinuiertlich tun kann, so die offizielle Begründung, könnten sich selektive und also falsche Eindrücke ergeben. Bei dem „Chaos“, das eingestandenermaßen im Funkverkehr geherrscht hat, muß der Funktisch zudem ein besonders ungünstiger Platz für einen ruhigen Überblick gewesen sein.
Dort am Funktisch standen dann gegen Abend, als in Huckelriede der Bus gekapert wurde, auch Innensenator Meyer, Deputationssprecher Sakuth und Bürgermeister Wedemeier. „Die Herren standen rechts in einer Reihe“, berichtete der Leiter des Führungsstabes, Spychala. Die „Betreuung“ dieser Besucher habe „ein gewisses Problem dargestellt“. Man habe sie ja nicht „gewaltsam herauskomplimentieren“ können.
Der Polizeiführer Möller war sich bei alldem aber sicher, daß die zutage getrenenen Zustände im „Innenverhältnis“ keine „Auswirkungen auf das Ergebnis - das ich bedaurer gehabt haben“. Immerhin: daß kein Notarztwagen die Geiselnehmer begleitete, so berichtete Polizeiführer Möller, sei ihm erst aufgefallen, als der von der Raststätte Grundbergsee angefordert wurde. Da habe er den Nachmittag über, gestand Möller, „überhaupt nicht dran gedacht“.
K.W.
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