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Querbeet durch andere Realitäten: HOCHA/Reality Hackers und High Frontiers/Critique/Psychedelic Monographs & Essays/Magical Blend/Rock & Roll Confidential/Folk Roots

HOCHTA! Ein Wort, ein Klang aus frühesten europäischen Underground-Zeiten erschallt plötzlich unverhofft aus den Schweizer Alpen. Die Sippen-Zeitschrift ist nach 15 Jahren Pause mit ihrer laufenden Ausgabe 67/68 wieder im Rennen und ein Leseschatz dazu: farbig, handgeschrieben, sehr eigen in der Gestaltung und wegweisend im Inhalt:

Vorerst eine Korrektur am gängigen Image und Geschichtsbild, weil es zur Methode gehört, uns mittels Schublade ad acta zu legen. Ich höre, mediales Gelabere und der Normalo-Tenor laute: die Bewegungen seien verpufft, aufgesogen und die „ehemaligen 68er“ (inzwischen bereits auch die „80er“) hätten resigniert, sich zurückgezogen, sich klammheimlich Nischen gesichert, oder seien überhaupt „Verräter“...

Na! Das stimmt natürlich nur bedingt, und wenn man bedenkt, was für Dummköpfe sich jetzt als „68er“ vorkommen, nur weil sie zufällig das richtige Alter haben. Was die „Verräter“ betrifft: die konnten ja nur solche werden, weil sie nur damals darauf aus waren, als „Rädelsführer“ bekannt zu werden (auch Bewegungen können dazu mißbraucht werden, Karriere zu üben). Sie waren dann schon als solche erkannt und in der Bewegung unbeliebt. Auch die 68er wollten keine Führer und nahmen solche nicht ernst. Nur wußten wir noch nicht, daß wir hätten sagen sollen: „Hinten anschließen!“

Vollends beschissen ist aber, wie seit 1968 die Geschichte eben dieser Zeit laufend verfälscht wird. Demzufolge soll 1968 eine „linke Studentenbewegung nach ausländischem Vorbild“ gewesen sein... Man höre und staune. Das ist allerdings völlig unrichtig, Tatsache ist vielmehr, daß bei uns in krassem Gegensatz zu Paris oder Deutschland die Studenten (bis auf ganz wenig vereinzelte) gar nichts damit zu tun hatten und brav streberten -; daß die damalige „Linke“ auf einen fahrenden Zug aufgesprungen war, also erst von einer bestehenden Bewegung profitiert hat, um ihre (unerwünschten) Parolen und (Machtablöser-) Fähnchen reinzuhängen und die jugendlichen Köpfe mit Politmief zu traktieren. Mit Ausnahmen, klar. Es gab durchaus undogmatische, anti-autoritäre junge Linke, die von Anfang an Teil einer entstehenden Bewegung waren und auch blieben.“

Vor 20 Jahren brachte HOCHTA! den vielzitierten Satz „Wir sind diejenigen, vor denen uns unsere Eltern immer gewarnt haben“ unters Volk, heute lauten die Erkenntnisse „Überhaupt geht die Sonne ununterbrochen auf!“ und „Wer gerade Feuer hat, gebe davon weiter.“ Das Blatt der Eidgenossen habe ich genossen.

Damit verlassen wir den deutschsprachigen Raum. Auf meinem USA-Sommertrip fand ich kaum deutsche Zeitungen, erst recht keine taz, dafür aber reichlich ungewöhnliche Publikationen. Ein wahrer Hirn-Knüller dabei waren die Reality Hackers „Information, Technologies & Entertainment for those on the brink“. Durchaus zu verwechseln mit High Frontiers, denn diese beiden Zeitschriften erscheinen, von denselben Leuten gemacht, im Wechsel. Abonniert man die eine, bekommt man auch die andere. Ein ungeheurer Optimismus strahlt aus diesen Zeitschriften, so als ob die Großeltern der Herausgeber Hippies gewesen seien. Unter dem Titel Mondo Bizarro erklären sie, daß unsere Situation im heutigen 20.Jahrhundert so surreal sei, daß es immer interessanter und oft realer sei, sich um Außer-Gewöhnliches zu kümmern. Der Virus (natürlich auch der Computer-Virus), eigenartige Kulte (Bhagwanisten, Scientologen, Weltbankler...), Realitätsverschiebungen der Massenmedien. ALl das macht das Leben immer spannender und seltsamer, solange man sich nicht unterkriegen läßt von Mächtigen, Vorgesetzten, Sachzwängen. Reality Hackers nehmen HiTechnology und machen High Technology daraus; Computer Hacker lassen staatliche Geheimniskrämer blaß aussehen; zeitgenössische Alchemisten brauen immer neue Mittelchen, mit denen der Bürger (wenn auch meist illegal) die eigenen Gehirnsphären durchforsten kann; Biochemiker arbeiten an der Lebensverlängerung des Menschen; Science Fiction wird von der Gegenwart überrollt. Rust in Moskau, Rost im Getriebe, der Rest geschieht anderswo - far out. Für die meisten taz-Leser ist Reality Hackers wohl ein völlig spinnertes Blatt, abgehoben auf mehreren Ebenen. Die taz dokumentiert die Gegenwart, Reality Hackers haben sich in die Zukunft eingeklinkt und vieles von dem, was sie heute ansprechen, wird in ein paar Jahren auch vertazt werden. (In der neuesten Ausgabe findet sich ein Beitrag von Terrence McKenna über Psychedelik Futurologie in Berlin - „Berlin is alive“ lautet die Botschaft. Na also.)

Kaum ein Land hat soviele Fachzeitschriften wie das unsere, keines mehr Vereine wie wir. Aber wo will man schon Mitglied werden und welches Fachgesabber soll man sich reintun? Unsere Pressefreiheit ist löchrig wie ein Schweizer Käse und bewußt wird das einem erst, wenn man plötzlich Publikationen in der Hand hält, die man sich „auf Deutsch“ nicht vorstellen kann. Ich erinnere nur an den Loompanics Catalog, dieser geballten Aufforderung zu (Straf-)Taten. Der Loompanics Catalog kommt aus den USA, wird in Berlin allerdings von den Ami-Besatzern verboten und beschlagnahmt. Also Vorsicht!

Massenmedien prägen das Bild der Realität - „Du sollst keine Realität neben mir genießen!“, steht schon in der Bibel oder sonstwo. Critique ist das Magazin, das die gesellschaftlich vorgeschriebenen Realitäten in Frage stellt. Da geht es um Teufelsaustreibungen, Besessenheit, Verschwörungen (jeder gegen jeden), okkulte Kirchen und Drogen-Religionen, Rochmusik und Teufelskulte etc. Etc. - ein Informationsdschungel, in dem man sich kaum zurecht finden kann, wenn man auch nur leichte Anflüge von Paranoia mitbringt. Die Sommerausgabe handelte vom Bösen, die Nr.29 wird „Sex“ zum Thema haben, Nr.30 das Wunder und Nr.31 schlicht „Das Ende der Welt“. Die abgedruckten Artikel scheinen mal rechtsradikal, mal linksradikal und dann wieder ganz-anders-radikal. Mit üblichen Ansichten von rechts/links, gut/böse kommt man hier nicht weiter, man wird gezwungen, seinen eigenen Platz neu zu bestimmen, sich zu orientieren: Welche Infos kann ich noch akzeptieren, ohne an Verfolgungswahn zu leiden oder auszuflippen. Das Sicherste ist wohl, Magazine wie Critique und ihre Nachrichten einfach zu verdrängen, sich also lieber um die 3. Welt auf dem Globus als um die 3. Welt in einem selbst zu kümmern.

Um diese verborgenen Welten geht es auch in dem halbwissenschaftlichen Fachmagazin Psychedelic Monographs & Essays - keine Hippie-Postille, sondern ein angesehenes, korrektes Werk, das akademische Arbeiten zum Thema psychedelische Forschung, Spiritualität und Bewußtsein bringt. Auf fast 200 Seiten im Buchformat finden sich gründliche Untersuchungen zu Themen wie Frauen und MDMA, Sheldrakes morphogenetische Feldtheorie u. v., teilweise lange Bibliographien, viel Informationen und das meiste auf eine sehr offene Art. Nicht so wie bei uns, wo es meist nur strenge Ablehnung oder fanatische Befürworter gibt. Auf meiner Reise fragte mich Michael Horowitz, Gründer der Fitz Ludlow Library in San Francisco - mit 8.000 Bänden die größte Drogen-Bibliothek der Welt - wie es denn wohl komme, daß alle synthetischen Drogen (Heroin, Kokain, Morphium, MDMA, LSD etc.) im deutschsprachigen Raum entdeckt und entwickelt wurden. Weiß jemand eine Antwort? Und zurück zu den Psychedelic Monographs. Ihr Herausgeber ist Thomas Lyttle, den ich in Florida besuchte. Erstaunlich, welche Bevölkerungsschichten sich mit seinem Fachthema befassen: keine Langhaar-Freaks, sondern gestandene Geschäftsleute, Professoren, Familienväter etc., auch wenn sie bei ihren Forschungen manchmal diverse Gesetze brechen müssen, man sieht es ihnen nicht an. Selbst wenn sie getrocknete Krötenhirne rauchen... Aber das ist eine andere Geschichte. Thomas Lyttle hat vorzüglichen Zugang zu internationalen Datenbanken und hierdurch ein sehr umfassendes Archiv aller wissenschaftlichen Berichte zum Thema Drogen, wobei das Magazin nur die Spitze des Eisbergs bildet. Aber schon die ist heiß genug.

Leicht lau hingegen sind manchmal die Beiträge von Magical Blend, doch auch dort tun sich ab und an heiße Quellen auf, Namen wie Robert Anton Wilson, John Lilly, Philip Dick, Paul Williams, Jean Houston und Duglas Adams finden sich hier. Ausgezeichnete Beiträge und Interviews werden umrankt von sehr informativen Anzeigen (für Mind Machines, Mineral Mystic, Country Journal for Gays, Homegrown Cotton Cloth und viele andere wunderliche Produkte und Dienstleistungen.) Abtörnend hingegen der Umschlag und die vielen Bilder, die in den Augen schmerzen: The Worst of New Age. Wie kann man nur einen so grauenvollen Geschmack haben und die in Teilen wirklich lesenswerte Zeitschrift so mit Fehlfarben besetzen. Genossen habe ich in der jüngsten Ausgabe den Bericht von Robert Anton Wilson über die irischen Verhältnisse zur Zeit. Ausgehend vom Kirchturm in Cork, auf dessen vier Turmuhren in jeder Richtung eine andere Zeit abzulesen ist, die jedoch alle vier nicht mit der offiziellen Zeitansage im Rundfunk übereinstimmt, die wiederum anders tickt als die Zeitansage im Fernsehen. Zeit nicht als Diktator, sondern als menschliches Maß.

Es gab Zeiten, in denen amerikanische Rockmusik auch bei uns den Ton angab und Zeitschriften wie der Rolling Stone quasi Basislektüre darstellten. Heute findet man immer weniger aufregende Klänge in den USA und auch immer weniger Lesenswertes im Rolling Stone. Ex-Rolling-Stone-Schreiber Dave Marsh hat einen Informationsdienst gegründet, der monatlich auf nur 8 Seiten mehr interessante Fakten über Rockmusik und Hintergründe bringt, als der Rolling Stone, Spin und wie sie alle am Kiosk heißen. Rock& Roll Confidential kommt ohne Farbanzeigen und Illustrationen aus.

Von der Woge der Weltmusik, die gerade den europäischen Kontinent überschwappt, hat man in den USA bisher wenig vernommen. Auch wer sich dort für zeitgemäße Klänge aus Afrika, Asien und anderswo interessiert, muß die englische Fachzeitschrift Folk Roots lesen. Eiegntlich ein Fachblatt für englische Folklore hat sich das monatlich erscheinende Magazin zu einem wahren Welt-Musik-Blatt gemausert. Dort war Ofra Haza schon vor Jahren angesagt, dort findet man sehr ergiebige Interviews mit Namja, Stella Chiweshe, Flaco Jiminez und Berichte über 3 Mustaphas 3, Youssou Dour und anderen. Ausführlich werden Hintergrundberichte über die Musikszene Westafrika dargeboten, von Baba Maal bis Pa Jobarte. Folk Roots ist keine Musikzeitschrift der Industrie, hier sind echte Fans am Werke, denen man guten Geschmack nicht absprechen kann. Auf dem Gebiet der Präsentation von betörenden Klängen aus der 3. Welt haben die Engländer dank Peter Gabriel und den WOMAD (World of music, art and dance)-Festivals alle mal die Nase (und Ohren) vorn. Folk Roots kündigt rechtzeitig gute Festivals und Plattenerscheinungen an, meine Ohren haben davon schon mächtig profitiert.

HOTCHA!, immer wieder einmalig, Ausgabe 67/68, 5 SFR (10 Ex. 35 SFR), In der BRD Bezug durch: Aurora, Knobelsdorfstr.8, 1000 Berlin 19

Reality Hackers und High Frontiers, mehrfach jährlich, 6 Ausgaben 20 US-Dollar, 10 Ausgaben 30 Dollar. Reality Hackers, Dept. Taz, PO Box 40271, Berkeley, CA 94704, USA

Critique, erscheint 3 mal jährlich, 25 Dollar, 2 Jahre 38 Dollar, c/o Bob Banner, P.O.Box 11368, Sanat Rosa, CA 95406, USA

Psychedelic Monographs & Essays, unregelmässig, 2 Ausgaben 18 Dollar, Thomas Lyttle, 624 N. E. 12th Avenue, SApp. 1, Fort Lauderdale, Fl 333301, USA

Magical Blend, 4 mal jährlich, Jahresabo 20 Dollar, P.O.Box 11303, San Francisco, CA 94101, USA

Rock & Roll Confidential, monatlich, Jahresabo 33 Dollar, 2 Jahre 55 Dollar, RRC, Box 15052, Long Beach

Folk Roots, monatlich, Jahreabo 21 Pfund, P.O.Box 73, Farnham, Surrey GU 97 UN, England.

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