Der Gesundbeter hat's geschafft

■ Blüms Gesundheitsreform passierte gestern den Bundestag / SPD: Einsparung „reine Spekulation“

Bonn (dpa/ap/taz) - Die umstrittene Gesundheitsreform hat den Bundestag passiert. Am 1.Januar 1989 soll sie in Kraft treten. Nach der zweiten und dritten Lesung fand gestern abend im Bundestag die Schlußabstimmung statt. Die zahlreichen Änderungsanträge von SPD und Grünen wurden abgelehnt. Zuvor mußte sich Bundesarbeitsminister Norbert Blüm noch einmal mit der heftigen Kritik der Grünen und der SPD auseinandersetzen. Der SPD-Abgeordnete Rudolf Dreßler nannte das neue Gesetz „eine Liste von Gemeinheiten“. Die Grünen-Abgeordnete Heike Wilms-Kegel sagte, Blüm habe „denen etwas Gutes tun“ wollen, „die am Gesundheitswesen verdienen“.

Laut Blüm sollen mit der „Reform“ jährlich bis zu 14 Milliarden Mark eingespart werden. Dieses Geld ist je zur Hälfte für Beitragssenkungen und neue Leistungen bei häuslicher Pflege sowie in der Vorsorge vorgesehen. Auf die über 90 Prozent Bundesbürger in der gesetzlichen Krankenversicherung kommen unter anderem Einschränkungen bei der Auswahl der von der Kasse bezahlten Medikamente sowie höhere Zuzahlungen bei Zahnersatz, Brillen und Hörgeräten, Kuren und Krankenhausaufenthalten zu. Der SPD-Abgeordnete Dreßler sagte, ab 1.Januar werde jeder Patient spüren, was die Koalition an sozialer Ungerechtigkeit angerichtet habe. Das Gesetz schließe sich nahtlos an „die unsoziale Steuerreform“ an. Den Großen werde gegeben, den Kleinen genommen. Gleichzeitig bezweifelte der SPD-Politiker, daß die von der Koalition beabsichtigten Einsparungen von bis zu 14 Milliarden Mark realisierbar seien. Regelungen wie die Festbeträge für Medikamente sowie Härtefall- und Überforderungsklauseln charakterisierte er als zu kompliziert und „bürokratischen Unfug“. Den eigentlichen Problemen im Gesundheitswesen wie Beitragssatzunterschiede bei den Krankenkassen, Überkapazitäten im Gesundheitswesen, beim teuren Krankenhaussektor und dem Arzneimittelmarkt sei die Koalition ausgewichen.

Der stellvertretende Vorsitzende der IG Metall, Karl-Heinz Janzen, kommentierte, das Gesundheitswesen werde durch die Gesetzesänderungen „nicht besser und nicht billiger“. Er sprach von einer schädlichen Scheinreform, die die Gesundheitskosten einseitig auf die Kranken verlagere. Kritik kam aber auch vom Vorsitzenden des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie, Erik von Davidson. Zu befürchten sei, daß die vom Bundesarbeitsministerium geschätzte Belastung der Industrie um eine Milliarde Mark „deutlich größer ausfallen wird“.

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