: „Rheinhausen ist überall - und das noch lange“
Jahrestag des Arbeitskampfes / Jubiläumsmahnwache und Treffen des Bürgerkomitees / Im Zeichen des Stahlbooms liegt ein Hauch von Optimismus über der Stadt / Versprochene Ersatzarbeitsplätze existieren meist nur auf dem Papier / Strategie des Betriebsrats bleibt umstritten ■ Von Walter Jakobs
Rheinhausen (taz) - „Wir haben das hier alles original wieder aufgebaut. Uns ist das egal, wer kommt, ob schwarz, rot oder grün. Wir machen keine Parteipolitik.“ Ernst Schlemo, seit über 30 Jahren bei Krupp und alter „Margarethensiedler“, ist enttäuscht. Sie haben die Mahnwache wieder aufgebaut, der Koksofen brennt, es riecht nach Glühwein und Kaffee, fast so, wie in jenen 128 Tagen, als hier in der Margarethensiedlung das Zelt der Mahnwache rund um die Uhr als wichtigster Kommunikations- und Informationstreff für die Anwohner fungierte.
Heute, am 26.November, dem Jahrestag des Rheinhausener Arbeitskampfes, „hätten wir eigentlich mehr erwartet“, sagt eine Sprecherin der Siedlung und fügt hinzu: „Seid bei der nächsten Demo so einig wie wir es sind.“ Dieser Appell an die Kruppianer verfehlt sein Ziel, denn unter den knapp 1.000 Demonstranten sind die Stahlkocher von Rheinhausen eine kleine Minderheit. Manni Scholz, Kokereiarbeiter, steht am Rande und meint, „weniger als ein Prozent Kruppianer“ seien dabei.
Das war abzusehen, denn der Rheinhausener Betriebsrat hatte sich klar gegen die vom „Aktionsausschuß der Krupp-Kollegen“ organisierte Demonstration ausgesprochen. Schon der von den Demonstranten skandierte Satz, „wir wollen keinen Ersatz, Kampf um jeden Arbeitsplatz“, zeigt, warum.
Diese, vor allem von der MLPD geprägte Parole, steht im direkten Widerspruch zur Strategie des Betriebsrates, der allenfalls die dauerhafte Rettung eines Hochofens und eine Streckung bei der Stillegung der weiteren Anlagen bis zum Aufbau von Ersatzarbeitsplätzen für realistisch hält. „Wer von Streckung der Stillegung spricht“, sagt dagegen Wolfgang Kolditz vom Aktionsausschuß, „betrügt uns um die Zukunft unserer Arbeitsplätze.“ Wie Feuer und Wasser stehen diese Positionen gegeneinander.
Zwei Stunden später, beim Treffen des Bürgerkomitees in der Erlöserkirche, erläutert der zweite Betriebsratsvorsitzende Theo Steegmann, wie der Betriebsrat die Zukunft sieht. Die Kooperation mit Mannesmann werde kommen. Der Stahlboom zeige aber, wie aktuell das vom Betriebsrat entwickelte 3-Ofen -Modell für eine gemeinsame Krupp-Mannesmann-Hütte sei. Bis zu 2.700 Arbeitsplätze könnten damit in Rheinhausen dauerhaft gesichert werden. Steegmann wirbt unter dem Applaus der etwa 400 Besucher für eine „kluge und gute Strategie“, die Gewähr dafür biete, auch wirklich etwas durchzusetzen. Es gehe darum, mittels einer „betrieblichen Mobilisierungsstrategie soviel Druck aufzubauen, um zum richtigen Zeitpunkt zuschlagen zu können“. Der Jahrestag, so ergänzt Pfarrer Dieter Kelp, „wäre verfehlt, wenn er als Erinnerung mißverstanden würde. Rheinhausen ist überall und das noch lange“. Wenn der versprochene Ersatz an Arbeitsplätzen in Rheinhausen nicht bald sichtbar wird, dann könnte der Kampf in der Tat wieder aufflammen - womöglich schneller als heute noch mancher glaubt. Bisher ist lediglich das vom Land wesentlich finanzierte „Qulifizierungszentrum“ perfekt. Damit werden 300 Ausbildungsplätze und 45 Arbeitsplätze dauerhaft zur Verfügung stehen. Auch ein Institut für Umwelttechnologie wird mit 35 Arbeitsplätzen nach Rheinhausen kommen. Die 800 von Mannesmann und Krupp zugesagten neuen Arbeitsplätze existieren dagegen nur in den Hochglanzbroschüren. Zwar hat Krupp am 1.September eine „Krupp-Informatik GmbH“ gegründet, ob daraus allerdings 400 Arbeitsplätze entstehen, macht der Vorstand von Aufträgen der Bundespost abhängig. Bei anderen Projekten handelt es sich lediglich um Verlagerungen, nicht um die Schaffung von Neuem. Dennoch, im Zeichen des Stahlbooms fiel der Blick in die Zukunft am Jahrestag weniger düster aus, als noch am 3.Mai, dem Ende des Arbeitskampfes, befürchtet. Ein Hauch von Optimismus lag in der Erlöserkirche in der Luft, auch wenn beim „Rheinhausen -Lied“ des im Arbeitskampf entstandenen Chores so manche Träne floß.
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