: „Ich will mal so sagen...“
■ taz-Kritiker Mario Nitsche und der Intendant des Theaters und Eintags- Chefredakteur Tobias Richter suchten den roten Faden des Bremer Theaters
taz: Sie sind jetzt drei Jahre Intendant in Bremen. Haben sich die Erwartungen, die Sie mit dem Bremer Theater verbanden, erfüllt?
Tobias Richter: Ich bin nicht mit einem neuen Apparat gekommen, sondern ich habe nur ganz wenig neu besetzt. Und die Verbindung zwischen meinen neuen Elementen und dem bereits Vorhandenen hat sich sehr schwierig und sehr langsam vollzogen. Von daher begründet sich die Aussage, daß meine Wünsche und Vorstellungen bis heute nur teilweise erfüllt sind. Das Bremer Theater ist ein Mehrspartenbetrieb, also in seiner Form ein Stadttheater. Man muß natürlich Rücksichten nehmen, die man zusammenfassen müßte, um daraus ein Programm zu entwickeln.
Der Umwandlungsprozeß - d.h., den gesamten Apparat auf einen Punkt zu bringen - dauert sehr viel länger, als ich ursprünglich erhofft hatte: das hängt auch mit personellen Dispositionen zusammen - daß man erst eigentlich ab Sommer 89 von meiner Mannschaft reden kann.
Zudem sind eine Reihe Probleme aufgetaucht, die mit der finanziellen Situation zusammenhängen. Bremen hat einen im Vergleich mit anderen Standorten sehr geringen Kulturetat, gemessen am Gesamthaushalt. Man muß damit leben lernen: expandiert kann in den nächsten Jahren nicht werden. Zum zweiten: Das Theater muß umgebaut werden (siehe Seite 17). All das fällt in meine Tätigkeit der letzten drei Jahre. Das ist gar nicht so einfach zu vermitteln, das ist auch unpopulär und hat tiefgreifende Wirkungen auf eine Spielplangestaltung.
Wenn man sich im Bereich des Musiktheaters den Spielplan ansieht, so wird man neben den üblichen Stücken, die zum Repertoire gehören, auch in jeder Spielzeit ein oder zwei Stücke finden, die aus dem Üblichen herausfallen. Wenn man das über die Zeit betrachtet, könnte man sagen, daß sich aus jedem einzelnen Stück eigentlich eine programmatische Reihe entwickeln ließe. Projekte, die angekündigt waren mit „Bildende Künste im Musiktheater“ oder „Filmregisseure inszenieren Oper“ deuten auch auf ein gewisses programmatisches Wollen. Man hat aber das Gefühl, daß unendlich viel angefangen wird, ohne daß eine stringente Reihe sichtbar wird. Beispiel: „La Wally“, eine unbekannte italienische Oper. Es wäre doch vorstellbar, daß man alles, was in das Um
feld von Catalani fällt, aufgreift. Es wird etwas gezeigt, dann kommt es weg, die Linie geht verloren, es kommt eine neue Linie. Wäre es nicht möglich, daß man weniger Projekte anreißt, sondern einmal stringente Linien durchzieht?
Ich glaube, die programmatische Linie, die Sie vermissen, ist doch vorhanden: Wir haben vergessene oder selten gespielte Werke aus einer Periode hervorgeholt, in der man von Musiktheater überhaupt sprechen kann. Zum zweiten ist es natürlich so: Ein Stadttheater fordert eine Pluralität im Spielplan. Und insofern gibt es viele Zwänge, die hier zusammenwirken, wie ein Programm für eine Spielzeit entsteht. Das oberste Gebot für einen Opernspielplan ist meiner Meinung nach: Man kann nur die Stücke aufführen, die man auch besetzen kann. Ein Ensemble wie in Bremen ist relativ klein, es gibt nicht einmal 30 fest engagierte Sängerinnen und Sänger, die schränken auch den Kreis der Werke ein, die in Frage kommen. Im Spielplan des Musiktheaters werden z.Zt. etwa 6 Musikpremieren in jeder Spielzeit neu erarbeitet. Da müssen sehr viele Positionen berücksichtigt werden. Ich kann z.B. nicht zwei Jahre hintereinander eine Belcanto-Position mit unbekannten Werken besetzen. Das hat sich auch bei „la Wally“ gezeigt: wenn wir die Position nur einfach besetzen können und wir einen Krankheitsfall haben, dann fällt uns eine Vorstellung aus. Und dann haben wir auf einmal Zwänge, wo ich sagen muß: Wenn dieses Stück jetzt nicht auch in der Inszenierung zusammenbleibt, dann kann ich es nicht mehr dann ansetzen, wann es sinnvoll ist. Und dann, wenn ich es ansetzen könnte, weil es technisch sinvoll ist, ist es künstlersich eben nicht mehr sinnvoll. Insofern leben wir in einer unbefriedigenden Situation, die uns ein bißchen das Konzept vermasselt, wenn wir sagen, wir wollen eigentlich diese Linie aufrecht erhalten.
Das Besondere eines Stadttheaters wie Bremen ist, daß man nicht über bekannte Sängernamen oder Mimennamen eine Attraktivität für ein Publikum bewirkt, das am Abend seinen Fummel spazieren führt, sondern daß man eben durch Besonderes, woanders nicht zu Erlebendes, Höhe
punkte setzt, Nur, die Dauer, in welcher eine solche Produktion dann ein Leben entwickelt oder auf der Stelle tritt, ist von uns noch nicht so beeinflußbar, wie wir das gerne wollten. Und auch da sind noch nicht erfüllte Hoffnungen zu sehen.
Insgesamt ist das ein sehr pluralistischer Ansatz, den Sie hier verfolgen.
Ja, sehr.
Wäre es dann nicht zu überlegen, ob man nicht angesichts der Ausgangszwänge eines Stadttheaters auch ein gleichbleibenderes künstlerisches Niveau erziehlt, wenn man sich auf wenige Projekte beschränkt. Beispielsweise die Bildende Kunst im Theater. Wenn man über lange Zeit Stücke auswählt und mit bildenden Künstlern zusammenarbeitet, dann mag das auf die Dauer tragfähiger sein, als was im letzten Jahr als Ergebnis aus dieser Kooperation herausgekommen ist.
Das ist eine interessante These: Die Zeit meines Beginns bis jetzt sehe ich als eine Konsolidierungsphase. Und solange sie nicht eine Mannschaft auf eine zumindest mittelfristige Dauer fest zusammenhaben, wechseln natürlich auch mit den Personen gewisse Programmpunkte. Trotzdem ist es gelungen, einen gewissen Faden aufrecht zu erhalten. Aber er ist nicht so prägnant sichtbar, wie es wünschenswert wäre. Ich glaube auch, daß es richtig ist, sich nach der Konsolidierungsphase auf ein paar Punkte zu konzentrieren, die jetzt angesprochen sind und daß man anderes mehr vernachlässigt. Aber Voraussetzung dafür ist, daß man nicht nur auf die technischen Zwänge reagiert. Das ist auch einer der Gründe, weshalb man den Umbau vorgenommen hat.
Können Sie den roten Faden, der aber nicht deutlich sichtbar ist, knapp skizzieren?
Vieles, was man wagt oder nicht wagt, ergibt sich aus vielen Komponenten. Zum einen: die Besetzung. Zum anderen: Was hat man für ein Regieteam und warum hat man das zur Verfügung. Solange sich nicht eine klare Linie abzeichnet, warum gerade diese Künstler hier mit diesem Projekt beschäftigt werden, scheint mir der rote Faden eigentlich nicht stark genug sichtbar und darauf möchte ich mich stärker konzentrieren. Die Frage
stellte Mario Nitsch
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