: Protest gegen Sicherheitsgesetze
Gewerkschaft der Polizei hält Artikelgesetz zur „inneren Sicherheit“ für „bedenklich“ / Auch der Börsenverein des deutschen Buchhandels übt Kritik / Humanistische Union sieht „Phalanx des Widerstandes“ ■ Aus Bonn Charlotte Wiedemann
Im Vorfeld einer Bundestagsanhörung zu den umstrittenen neuen Sicherheitsgesetzen haben zahlreiche Bürgerrechtsorganisationen und Berufsverbände gestern ihre Kritik an den Repressionsvorhaben erneuert. Das von der Bundesregierung nach den Startbahn-Schüssen im Eilverfahren beschlossene Artikelgesetz umfaßt unter anderem einen neuen Zensurparagraphen 130b („Befürwortung von Straftaten“), Vorbeugehaft für Demonstranten, die Verschärfung des Vermummungsverbots zur Straftat, die Kronzeugenregelung sowie eine Kooperationspflicht von Veranstaltern mit der Polizei.
Die „Phalanx des Widerstands“, so nannte es die Humanistische Union gestern auf einer Alternativ-Anhörung der Kritiker, reicht vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der sich insbesondere gegen den Paragraphen 130b wendet, bis zu den Strafverteidigervereinigungen der Länder. In einer gemeinsamen Erklärung von zwölf Verbänden heißt es, der Gesetzentwurf sei mit „grundlegenden demokratischen und rechtsstatlichen Prinzipien unvereinbar“, schade dem Rechtsbewußtsein von Bürgern, Polizisten, Staatsanwälten und Richtern und fördere „neue Gewalt“.
Auf einer gesonderten Pressekonferenz wandte sich die Gewerkschaft der Polizei aus vor allem polizeitaktischen und berufsständischen Gesichtspunkten gegen das Gesetzesvorhaben. Die „Handlungsfähigkeit“ der Polizei werde durch die Strafbewehrung des Vermummungsverbots „gefährlich beschnitten“, da die Beamten nicht mehr „flexibel“ und lageangepaßt eingreifen könnten. Auch die effektive Bekämpfung „reisender Gewalttäter“ müsse im Bereich des Polizeirechts bleiben und könne nicht durch die Strafprozeßordnung (Vorbeugehaft) geregelt werden. Es gebe kein Defizit an Gesetzen, sondern ein Defizit im Vollzug bestehender Gesetze.
Obwohl einige Innenpolitiker der FDP noch erheblichen Beratungsbedarf angemeldet hatten, wird der Rechtsausschuß morgen im Stakkato-Tempo die zahlreichen Experten zu den Sicherheitsgesetzen anhören. Mehr Zeit läßt sich der Ausschuß bei einer anschließenden einwöchigen Reise nach Paris, Rom und Madrid, um sich dort „über die Praxis der Kronzeugenregelung zu informieren. Nachdem für die erste Lesung der Gesetze im Bundestag die Gunst der öffentlichen Meinung nach dem Tietmeyer-Anschlag genutzt wurde, ist eine Verabschiedung jetzt erst für Februar anvisiert. Der Paragraph 130b hatte im Bundesrat keine Mehrheit gefunden.
Der grüne Abgeordnete Gerald Häfner rief gestern dazu auf, jetzt mit öffentlichen Aktionen und zivilem Ungehorsam zu protestieren. Grüne und andere Verbände veranstalten am kommenden Wochenende in Köln einen Kongreß Freiheit stirbt mit Sicherheit, der die Entwicklung von Repression und sozialen Bewegungen seit den Notstandsgesetzen thematisiert. Ein „Manifest '88 der bundesdeutschen BürgerInnen -Rechtsbewegung“ fordert die Bundestagsabgeordneten auf, die neuen Gesetzentwürfe abzulehnen und die alten „Anti-Terror -Gesetze“ aufzuheben.
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