MUSEUMS-„WÜRDIGE“ KUNST?

■ Podiumsgespräch der Lessing-Hochschule in Zusammenarbeit mit RIAS Berlin in der Reihe „Die unbewältigte Moderne?“ unter dem Titel „Angst vor NS-Kunst heute?“ am 25.11. im Martin-Gropius-Bau

Wer oder was war eigentlich mit dem Titel „Angst vor NS -Kunst heute?“ gemeint, unter dem die Handvoll Experten des Kulturbetriebs am letzten Freitag im Gropius-Bau diskutieren und streiten sollten? Gemeint war damit die Angst der Museumsleute vor dem heißen Eisen der Nazi-Kunst, vor dem Wagnis, sie auszustellen, die Angst vor dem Beifall von der falschen Seite, die Angst, etwas falsch zu machen, kurz: die Angst vor dem Jenninger-Syndrom. So erklärte es Moderator Rainer Höynck auf Anfrage aus dem Publikum, das es nach etwa einer Stunde endlich wissen wollte. Angst aber hatte anscheinend keiner von den geladenen Experten. Werner Hofmann, Direktor der Hamburger Kunsthalle, der die NS-Kunst gern ausgestellt sähe, begründete sein Anliegen mit der Bemerkung, man solle nicht „verschonen durch Verschweigen“, sondern die Banalitäten zeigen. Dem neuen, unbefangenen Umgang mit der lange abqualifizierten Kunst des 19. Jahrhunderts, so im Musee d'Orsay in Paris, müsse sich die Beschäftigung mit anderen Epochen wie die der „Hitlerherrschaft“ anschließen.

Jörn Merkert, als Direktor der Berlinischen Galerie verantwortlich für den kleinen Ausschnitt aus der Großen Deutschen Kunstausstellung von 1937, der zur Zeit als Teil der „Stationen der Moderne“ im Gropius-Bau zu sehen ist, fand es hingegen unerträglich, Täter und Opfer in der Sammlung zusammenzubringen. Das hieße, Geld für Nazi -Machwerke ausgeben, das dann bei wirklich großer Kunst fehle. Anders wäre es allerdings bei temporären Ausstellungen, so müsse man im Sinne der Wahrheit bei „Stationen der Moderne“ auch die Nazi-Ausstellung dabei haben.

Hans-Ernst Mittig, Professor für Kunstgeschichte an der Berliner Hochschule der Künste, empfand eine reine Kunstdiskussion als zu kurz greifend. Sie hätte eine Alibifunktion und lenke von den vielen Fällen des Umgangs mit dem Erbe der Nazi-Zeit ab, zum Beispiel beim Olympiastadion oder bei den Autobahnen, zum Teil sogar über das Maß des Unvermeidlichen hinaus. Obwohl man die Faszinationskraft der NS-Kunst ernstnehmen müsse, wäre sie aber andererseits durch den veränderten historischen Kontext schon stark gebrochen. Unzureichend sei das Argument der Qualität, das den Kauf eines Kunstwerks zu einem Weiheakt mache.

Ernst Aichner, vom Armeemuseum in Ingolstadt sah sich gezwungenermaßen als „advocatus diaboli“. In seiner Obhut befindet sich ein Konvolut von Nazi-Gemälden, das vor einiger Zeit von den Amerikanern an die Bundesrepublik zurückgegeben wurde. Die Bilder sind der Öffentlichkeit oder den Kunsthistorikern nicht zugänglich. Die Verantwortlichkeit liegt als Rechtsnachfolger beim Bundesfinanzministerium.

Das historische Museum frage nach dem Dokumentationszweck. Aichner beteuerte, bei den betreffenden Bildern unterscheiden zu können zwischen harmloser Kunst und böser Propaganda, daher wäre ein differenziertes Urteil notwendig. Propaganda„kunst“ könne man nur im erklärenden Kontext zeigen.

Christoph Stölzl, Leiter des noch immateriellen Deutschen Historischen Museums, erklärte, es sei unverständlich, sich auf das heilige Tafelbild zu kaprizieren. Ein Mercedes hätte für ihn einen genauso großen Stellenwert zur Erhellung der Wahrheit. Man müsse die Kulisse des damaligen Systems besser verstehen, von der die Kunst nur ein kleiner Teil gewesen sei. Es handele sich nicht bei dem Thema um Kunstgeschichte, sondern um Gegenwartspolitik.

Für Peter Conradi, SPD-Bundestagsabgeordneter, ist die NS -Kunst ein Teil einer Geschichte, die einmalig ist und nicht eine Epoche unter vielen. Alles andere sei Relativieren, das ihn an die Auseinandersetzung im Historikerstreit erinnere. Mittig wandte sich gegen einen „Begriffsfetisch von der Einmaligkeit“, der auch so verstanden werden könne, daß Phänomene des Faschismus der Vergangenheit angehören würden.

Ein Herr Schmidt aus dem Publikum bekannte, verwirrt zu sein. Es handelte sich offenbar um einen Schlachtenbummler. Er sei schon in Heidelberg bei einem ähnlichen Thema dabei gewesen. Über die Kunst der Nazi-Zeit habe es in der Epoche keine Diskussion gegeben. Entschieden hätten schließlich die Sieger. Die Russen hätten erbeutete Breker-Figuren rund um ihren Sportplatz in Eberswalde aufgestellt.

Auch ein Maler meldete sich zu Wort. Kunst gäbe es nur im „Selbstauftrag“. Hat es also Nazi-Kunst überhaupt gegeben? Stölzl widerlegte diese These von der Autonomie der Kunst mit der Feststellung, daß sich Künstler immer auch verkaufen müßten. Darin beantworte sich auch die Frage nach der Kontinuität. Ein Herr aus dem Publikum gab ein Beispiel. Nazi-Künstler wie Padua hätten unten in Bayern nach dem Krieg die amerikanischen Generäle gemalt. Die letzte Wortmeldung stammte von Werner Hofmann, der damit quasi ein Schlußwort sprach. Das Kunstmuseum müsse sich von der Kunst mit dem großen „K“ emanzipieren. „Kunst als Teil eines widersprüchlichen Geschichtsprozesses läßt sich zeigen, wenn man sich davon befreit, die Gemälde mal dorthin, mal hierhin zu hängen und wo zwischen zwei Bildern in der Regel eine Skulptur anzutreffen ist.“

Ronald Berg