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Noltesches Niveau-betr.: "Rechtsextremismus - ein Euro-Phänomen?", taz vom 23.11.88

betr.: „Rechtsextremismus - ein Euro-Phänomen?“,

taz vom 23.11.88

(...) Natürlich ist der „organisierte Rechtsextremismus in Europa“ keine „Nachkriegserscheinung“. Sind den Autoren wirklich die Versuche Mussolinis zur politischen und wirtschaftlichen Einigung eines faschistischen Europa von 1934 oder 1943 unbekannt, ebenso die Bemühungen des französischen Faschistenführers Drieu la Rochelle oder die Propaganda Ribbentrops 1943, zur Blütezeit der Waffen-SS -Legende als der „ersten europäischen Armee“? Die Rolle der Waffen-SS bei der Euro-Rechten von Priester (fünfziger Jahre) über die Entstehung der Nouvelle Droite (sechziger/siebziger Jahre) bis zu Schönhuber (achtziger Jahre) wird kläglich unterbewertet. Dabei wäre das Ziel der Waffen-SS-Ideologie: die Beseitigung der Sowjetunion und jedes sozialistischen Ansatzes (außer ihrer eigenen Sozialdemagogie) sowie die Herstellung eines geeinten, ethnopluralistisch-faschistischen „Europa der Vaterländer“ unter der allseits anerkannten Führung Großdeutschlands als dem angeblichen „Kernland“ europäischer Stabilität und Souveränität ein Schlüssel zum Verständnis der heutigen eurorechten Politik. Dudeck/Jaschke litten schon immer unter einer Marxisten-Phobie; das hindert sie wohl daran, das Ziel der Waffen-SS als Schlüssel zu sehen.

Darum müssen sie auch die „Xenophobie“, die Fremdenangst, die heute den Neofaschismus in Europa transportiert, zum „kulturellen Phänomen“ absetzen, die vor allem ökonomische Krisen dafür verantwortlich machen. Freilich können sie schon bald ihre kulturelle Argumentation nicht mehr durchhalten: dann ist es doch die „Austeritätspolitik“ Thatchers und die ökonimische Unterentwicklung des italienischen Südens, die die „Xenophobie“ bedingten. Dieser Widerspruch in ihrem Artikel ist nur ein Beispiel für die durchgehend schlampige Argumentation der Autoren.

Ein anderes: rechtsextreme Jugendliche hätten „Probleme beim Umgang mit dem anderen Geschlecht. Je radikaler und militanter... um so höher ist der Anteil der männlichen Jugendlichen.“ Bei der Unfähigkeit zur Zärtlichkeit selbst untereinander haben sie wohl ebenso große Probleme im Umgang mit dem eigenen Geschlecht. Wohin also soll uns die nur halbe Wahrheit führen? Gänzlich pauschal behaupten Dudeck/Jaschke, die „Entstehung politischer Orientierungen“ sei ein „Wechselspiel unterschiedlicher Einflüsse wie soziale Isolation, Stigmatisierungserfahrungen und Dequalifikation“. Qualifizierte, nicht isolierte Menschen haben demnach wohl gar keine politischen Orientierungen, oder wie?

Dudeck/Jaschke lassen ein gestörtes Verhältnis zum Rechtsstaat erkennen, wenn sie die ohnehin spärlichen Reaktionen von Polizei und Justiz auf den Neofaschismus als zu hart beklagen. Wenn Straftatbestände oder Verbotstatbestände vorliegen, tritt - bitte schön - der Rechtsstaat in Aktion. Er tut es leider nach rechts hin viel zu wenig; Dudeck/Jaschke beklagen, er täte es zuviel. Absurd. Was halten die Autoren da für ein merkwürdiges Plädoyer zugunsten eines waberigen Rechts, das gegen Neofaschisten tolerant sein soll? Die Lösung kommt noch:

Die realen faschistischen Gesellschaften nach 1945 tauchen bei ihnen nicht auf: Griechenland, Türkei und die Putsch -Probleme Italiens mit der Loge P2 werden erst gar nicht erwähnt. Spanien und Portugal werden kurzerhand zum „gesonderten Problem“ erklärt, auf das dann einfach nicht mehr eingegangen wird. Ob das nicht dann doch ein bißchen zu einfach ist? Als faschistische Gewalt sehen sie dann auch nicht die staatlich organisierte Unterdrückung, Verfolgung, Verhaftung, Folterung, Ermordung immer derer, die für soziale Gleichheit eintreten, sondern sie sehen lediglich den „Kampf um die Straße“ als Gewalt irregeleiteter jugendlicher Subkulturen. Die Ansicht dagegen, faschistische Gewalt diene in entsprechend groben Krisenzeiten zur Herrschaftssicherung des Kapitals, neonazistische Gewalt auf der Straße werde heute zur Einschüchterung derer toleriert, die für soziale Gleichheit (zum Beispiel auch für Ausländer) eintreten, war ja bereits vorher als „marxistisch“ ausgegrenzt worden.

Und dann drehen Dudeck/Jaschke den Spieß auch noch nach Nolte-Manier um: in Wirlichkeit sei die Linke mit ihrer Ausgrenzung und ihren Verbotsforderungen schuld an der neofaschistischen Gewalt, die lediglich eine Reaktion auf diese Isolierung sei, denn Arbeitslosigkeit gebe es ja bei uns nicht: „In der Bundesrepublik ist es weniger ein sozialer als ein politischer Ausgrenzungsmechanismus“, schreiben sie, „der die Gewalt von rechts fördert“.

Was bezwecken Dudeck/Jaschke mit dem Laissez-faire gegenüber dem Neofaschismus, mit ihrem Plädoyer für eine Integration der Faschisten? Die Integration der Nazis nach 1945, die sie ja als Beispiel erwähnen, geschah doch nicht aus Barmherzigkeit, damit sie ihre Seelen läuterten; sie geschah, weil die „Soziale Marktwirtschaft“ auf etliche Herrschaftsstrategien nicht verzichten konnte. Wenn die Autoren dann auch noch die erforderliche Eindämmung des Neofaschismus als „rigide politische Hygiene“ etikettieren, die angeblich „kontraproduktiv“ sei, um mit diesem Griff tief ins Wörterbuch des Ungeziefer vernichtenden Herrenmenschen den linken Antifaschismus als artgleich mit seinem Gegner zu diffamieren, ist zweifellos Noltesches Niveau erreicht.

Peter Kratz, Bonn

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