: Der Dichter als Erneuerer
■ Zum Abschluß der „Tage der modernen arabischen Literatur“ in Berlin liest heute abend der syrische Lyriker und Essayist Adonis, der seit 1980 in Paris an der Sorbonne lehrt, zum ersten Mal in der Bundesrepublik. Seine Bedeutung für das arabische Kulturleben beschreibt der syrische Literaturkritiker Faysal Darraj
Faysal Darraj
Adonis spielt eine Sonderrolle im gegenwärtigen arabischen Kulturleben: Er ist ein Intellektueller, der sich mit der aktuellen Entwicklung auseinandersetzt, und gleichzeitig ein forschender Wissenschaftler, ein äußerst kreativer Dichter und ein politischer Essayist, ein Verteidiger des Modernen und ein ausgezeichneter Kenner der vererbten Traditionen.
Seine Dichtung wurde in mehrere europäische Sprachen Französisch, Englisch und Spanisch - sowie ins Japanische übersetzt (auf Deutsch erschienen im Verlag „Das Arabische Buch“ einige Gedichte in dem Reader zur Berliner Veranstaltung Moderne arabische Literatur, eine Gedicht -Sammlung von Adonis hat der „Orient-Verlag“ angekündigt).
Wenn auch seine Dichtung wegen ihrer literarischen Qualität übersetzt wurde, so gründet sich sein Ruf doch weniger auf seine Lyrik - die angesichts ihrer Komplexität nur einem kleinen Leserkreis zugänglich ist -, sondern auf seine allgemeinen kulturellen, oft publizistischen Aktivitäten, in denen er gegen alles mögliche revoltiert: gegen die Niederlagen der Gegenwart wie gegen die despotische Vergangenheit, gegen die herrschenden Autoritäten wie gegen die religiösen Rituale.
Auch wenn der 1930 in der syrischen Hafenstadt Lattakia geborene Dichter längst zu den meisten großen kulturellen Ereignissen in der arabischen Welt eingeladen wird, ist er bei herrschenden Kreisen keineswegs in allen arabischen Ländern gern gesehen, doch auch von den Parteien der Opposition wird er oftmals abgelehnt.
In den frühen sechziger Jahren - damals lebte er in Beirut
-stand Adonis wie die meisten arabischen Intellektuellen dem Nasserismus nahe. Nach der Niederlage im Juni 1967 veröffentlichte er ein berühmtgewordenes Gedicht unter dem Titel Das ist mein Name. Noch vor der Zerplitterung des Libanons schrieb er 1970 ein anderes wichtiges Gedicht: Einführung in die Geschichte der Provinzfürsten. In ihm prognostizierte er die spätere Entwicklung im Libanon und in der arabischen Welt.
Selbst als in den siebziger Jahren die Zeit der palästinensischen Befreiungsbewegung anbrach, wehrte Adonis die „Revolutionspoesie“ ab, die er eher als zeitgemäß denn als revolutionär ansah. Gegen die übliche revolutionäre Dichtung verteidigte er den revolutionären Charakter von Dichtung.
In all seinen Positionen nimmt Adonis die Rolle des skeptischen Intellektuellen ein, der zunächst einmal alles anzweifelt, wodurch er natürlich immer wieder für heftige Debatten und Auseinandersetzungen sorgte - angefangen von seinen Beiträgen in der Literaturzeitschrift 'Si'ir‘ (Dichtung), die er 1957 in Beirut mitgegründet hatte, bis hin zu seinem Buch Das Beständige und das Änderbare.
Durch sein Engagement provoziete er andere arabische Intellektuelle, statt eigener Vorstellungen Gegenthesen zu ihm zu entwickeln: So wurden seine Beiträge ein roter Faden in den Debatten der arabischen Welt. Dabei will Adonis nicht etwa eine homogene, abgeschlossene Theorie entwickeln, sondern Anregungen liefern, das Denken für neue Gesichtspunkte öffnen.
Im Gegensatz zu anderen Dichtern, die sich mit ihrer Lyrik zufriedengeben, versucht Adonis unter der Parole einer „Revolution in der Dichtung“ eine neue künstlerische Ausrichtung, einen neuen Typ von Literatur zu entwickeln. Sein Werk durchzieht das Bemühen, eine Theorie der Moderne zu formulieren, die er sowohl auf seine Lyrik, seine Literaturkritik und Sprache als auch auf seine Haltung gegenüber den politischen Verhältnissen in den arabischen Staaten anwendet. Dabei geht er in seiner Suche nach der Moderne nicht platt von der Gegenwart aus, sondern entwickelt sie aus der islamisch-arabischen Geschichte, in der er die Basis seiner Modernität findet. Geschichte ist für ihn eine ständige Auseinandersetzung zwischen den Erneuerern und den Traditionalisten - wobei diese in der arabischen Welt seit langem dominieren.
Adonis kritisiert, daß in der arabischen Welt eine doppelte Hegemonie, die des Religiösen und der Despotie, besteht; was dazu geführt hat, daß nur eine einzige Zeit und ihre Kriterien als gültig anerkannt werden: die Zeit Mohammeds und seiner als ideal angesehenen islamischen Herrschaft. Die Gegenwart befindet sich dagegen ständig auf der Anklagebank. Die Nachahmung der Vergangenheit - in der Theorie wie in der Praxis - wird als der einzig zufriedenstellende Weg gepriesen. Dieses Verständnis von der Vergangenheit schafft in den Augen von Adonis eine zerstörerische Abhängigkeit von einem vergangenen „goldenen Zeitalter“ und verschließt den Blick gegenüber historischen Veränderungen und sozialen Entwicklungen. Für ihn besitzt die Ablehnung der tradierten Kriterien in Dichtung und Literatur eine politisch-religiöse Bedeutung.
In seiner politischen Ausrichtung ist er nicht festgelegt. In einem vielbeachteten Artikel wurde Adonis einmal von einem Dr. Sadek El-Azm als ein „alter Nationalist, ein unverbesserlicher Laizist, ein nasseristischer Sozialist und gleichzeitig auch noch Linksextremer“ bezeichnet. Trocken konterte Adonis: „Die Schlange, die sich nicht von Zeit zu Zeit häutet, geht ein. Die Menschen, die ihre Meinungen nicht ändern können, sind nicht länger Menschen.“
Doch zwei Eigenschaften blieb Adonis in der ganzen Zeit treu: Erstens ist er einer der wenigen arabischen Intellektuellen, die die Kultur der Herrschenden zurückweisen, ihr die Idee einer Herrschaft der Kultur entgegensetzen. Zweitens ist er einer der wenigen, die nicht aufhören, Freiheit und Demokratie kompromißlos und ohne Zögern zu verteidigen in einer Zeit, in der die Mehrheit der arabischen Intellektuellen den Annehmlichkeiten der Petrodollars zuneigten und demagogische Werke verfaßten, bekannt als „Erdöl-Kultur“.
Adonis ist wie ein Forscher nach der Wahrheit angesichts einer korrumpierten arabischen Kultur, die sich als alleiniger Hüter der ganzen Wahrheit glaubt. In einem Interview mit der in der Bundesrepublik erscheinenden arabischen Zeitschrift 'Fikr we Fen‘ betonte Adonis: „Die entscheidende Kraft der Menschen liegt nicht darin, schnelle Antworten zu fabrizieren, sondern darin, Fragen zu stellen. Das größte Problem unserer arabischen Kultur liegt darin, daß uns die richtigen Fragen fehlen. Eine Kultur, der es an Fragen fehlt, wird zu einer toten Kultur.“
Für Adonis ist Dichtung synonym mit Kreativität. Denn ein Dichter ist nicht einfach jemand, der in einer wundervollen Sprache schreibt, sondern der mit der Sprache Realität schafft und neu erschafft. Indem der Dichter eine eigene Sprache entwickelt, ist er ein Erneuerer. Er verwirft die dominante und ererbte Sprache genauso wie die alltägliche Umgangssprache.
Deswegen ist ein Imitator seiner Meinung nach kein wirklicher Poet. Und mit Imitation meint Adonis nicht nur die Imitation anderer Dichter, sondern die Übernahme einer bereits eingeführten Sprache.
Diese Ablehnung aller bestehenden und früheren Diktionen ist der Grund, warum Adonis den wirklichen Dichter als einen Revolutionär per se ansieht. Für ihn spiegelt die Haltung zur Sprache diejenige zur gesamten sozialen Situation wieder: „Der moderne arabische Dichter befindet sich in einem grundlegenden Widerspruch zu den arabischen Regimen, die sich auf die Tradition berufen, doch auch zur westlichen Kultur, die von denselben arabischen Regimen übernommen und verbreitet wird.“
Wenn Adonis eine neue literarische Sprache fordert, ist dies keine Kritik an der traditionellen arabischen Poesie, sondern eine Kritik an einer Sprache, die im traditionellen gesellschaftlichen Bewußtsein steckenbleibt, in einem Selbstverständnis, das - religiös geprägt - Sprache als ein abgeschlossenes Phänomen begreift, als etwas, das bereits vollständig ausgereift und abgeschlossen ist. Im islamischen Verständnis stellt die Sprache des Koran die höchste Vollendung dar, ein nicht wiederholbares Wunder. Die arabische Sprache wird von diesem Standpunkt aus als eine vollendete Sache angesehen. Das Perfekte brauche keine Ergänzung.
Adonis Angriff auf die Vorstellung von der vollendeten Sprache ist ein Engagement für die Befreiung der Menschen vom Traditionalismus wie vom religiösen Verständnis, das der Sprache innewohnt. Die arabische Sprache, darauf verweist Adonis, trägt in sich die Züge eines bestimmten religiös -sozialen Selbstverständnisses. Er sieht das Arabische als eine religiöse Sprache an beziehungsweise als eine Religion, die zur Sprache geronnen ist.
Dabei unterscheidet Adonis sehr genau zwischen einer Dichtung, die revolutionäre Themen aufgreift und revolutionäre Parolen ausbreitet, und derjenigen, die den Leser durch ihre neue Sprache mit einer revolutionären Haltung konfrontiert. Adonis kritisiert die direkte politische Dichtung als Fortsetzung der traditionellen, falschen Dichtung. Dagegen vertritt er die zweite Variante: eine neue Sprache als Grundlage für eine unverbrachte Sensibilität. Sie verwirft die Gegenwart und sehnt sich nach einer anderen Welt, einer Welt der Wünsche und des Imaginären. Deswegen beschäftigt er sich mehr mit dem Unsichtbaren als mit dem Sichtbaren, mehr mit dem Inneren als mit dem Äußerlichen, mehr mit der Zukunft als mit der Gegenwart.
Seine Kritik und Verweigerung gegenüber eingespielten Sprachritualen und als unveränderlich angesehenen Heiligtümern führt ihn zu der Forderung nach einem Menschenrecht auf Gedanken- und Wahlfreiheit. Konsequenterweise lehnt Adonis auch die Vorstellung einer absoluten Wahrheit ab, die mit einem bestimmten Text verbunden sein soll, und fordert das Recht kreativer Menschen auf relative Wahrheit, eine Wahrheit, die Menschen durch ihre Tätigkeit entwickeln. Sie steht im Gegensatz zu einer angeblich letzten Wahrheit, die den Menschen des Rechts beraubt, Fragen stellen zu dürfen.
Übersetzung und Auswahl: Thomas Hartmann
Der Reader Moderne Arabische Literatur ist beim Verlag „Das Arabische Buch“, Horstweg 2, 1000 Berlin 19, für 36 Mark erhältlich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen