: In Bremen auf Platte
■ Aneignung von Heimat, mal anders
„Wenn ich breit bin“, sagt Heinz (Namen geändert, d. Red.) und preßt Daumen und Zeigefinger aufeinander, „dann bin ich so klein. Kleiner als Fliegendreck.“ Jetzt ist Heinz nicht breit. Er sitzt mit Kumpel Werner und zwei anderen Obdachlosen im Cafe des Jakobushauses, im Volksmund wegen der bunten Balkons auch Papageienhaus genannt. Als ungeliebte Paradiesvögel verbringen Heinz und Werner sonst des nachmittags gerne auch mal ihre Zeit unter den Rathausarkaden in Bremens guter Stube. Doch jetzt ist wieder das Heim der Inneren Mission angesagt.
„Ich putz‘ Platte“, sagt Werner, „warum soll ich's nich zugeben? “ Platte putzen, soll heißen nirgends zuhause sein und überall und vor allem: Bremen ganz genau kennen. Beide sind hier aufgewachsen, haben früher bei der Stadt gearbeitet, der eine beim Gartenbauamt, der andere bei der Müllabfuhr. Der Lebensweg, der Leidensweg, das alte Lied: Immer schon kräftig gezecht, Ehe gescheitert, Arbeits-, bzw. Verkehrsunfall, arbeitsunfähig und ohne Arbeit unfähig, dem langen Tag eine Struktur zu geben. Also noch mehr gesoffen, Wohnung aufgegeben, in Zufluchtsstätten von Wohlfahrtsorganisationen untergekommen.
Kein Heim zu haben, heißt noch lange nicht heimatlos zu sein. Es bedeutet lediglich sich eine Stadt auf ganz andere Art und Weise anzueignen, als diejenigen, die mit Einkaufstüten schwer bepackt durch die vorweichnatlich geschmückte Obernstraße laufen. Von denen weiß niemand, daß im Haus des Reichs öffentlich zugängliche Duschen sind, kaum einer, daß man bei Fielmann Brillen umsonst reparieren lassen kann, daß bei Aldi Schnaps am biligsten, bei Horten aber momentan Bier preiswerter ist. Gutes Essen gibt es am Wochenende umsonst in der Stephanigemeinde und wenn das Geld trotzdem alle ist, dann weiß ein alteingesessener Bremer Penner - anders als Zugereiste, die bettelnd in der Sögestraße sitzen - immer noch einen Pastor, der ein paar Mark springen läßt, „wenn ich 'ne Träne drücke“.
Aber sonst: Bloß kein Selbstmitleid erkennen lassen. Nur nachts, wenn die Kiste Bier alle ist, dann hilft auch das sich zu helfen wissen nicht mehr weiter. „Dann lieg ich aufm Bett“, sagt Heinz „und heul, daß die Stahlnägel im Bein klappern.“
hbk
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