: Ich will hinauf und nicht hinab
■ Henry Lamotte, Ex- und Importkaufmann, Altbremer Hugenottensproß, Dombauherr und Betreiber der Restaurierung der „heiligen Stätte, die nun fester auf der Düne steht als je“ / Eine Begegnung am Hohentorshafen
Wäre Henry Lamotte, Ex-und Importkaufmann von Öl und Tran aller Art, sein Großvater gewesen, er hätte sicher zu den protestantischen Kaufmannsaristokra
ten in Bürgerschaft und Senat gehört, die die Stadt regierten. Er „hätte Lust gehabt“ auf eine politische Funktion, sagt er, aber sein Betrieb hat ihm „keine Kraft ge
lassen, sich in der Hierarchie einer Partei aufwärts zu kämpfen“. „Daran krankt doch unsere Demokratie,“ bedauert er, die Bürgerschaft sei doch einseitig von Beamten und Gewerkschaftsfunktionären besetzt, die sich eben im Unterschied zum privaten Kaufmann freistellen lassen könnten. „Auf einen Lamotte kann man verzichten, auf 100 Lamottes nicht“, bedauert er die politische Marginalisierung der ehemals regierenden Klasse.
Wir sitzen im Bürotrakt der Firma unmittelbar am Hohentorshafen. Nachkriegsnüchterner Bau, schlichtes Arbeitszimmer, dickbauchiger alter Sekretär drin, bestimmmt vom Urur, dahinter kleines Verhandlungszimmer, in dem kriege ich einen Sherry und ein Gegenüber, das mir bekannt ist, obwohl ich es noch nie gesehen habe. Einer, der sich und mich konzentriert, wachsame, eindringliche, dunkle Augen. Einer, der sich vieles verkneift, nur nicht die Lust am präzisen Knallen unserer norddeutschen Konsonanten und des harten Rachen-Rs, mit denen er Sätze, in denen jetzt gerade Worte wie Bindung, Geist und Bildung sich häufen, in lauter einsam-freie Wort-und Silbenindividuen zerlegt. Unwichtig und eigentlich genierlich, bei so einem von so etwas wie schlankem Körper und Beinen zu reden, gar langen. Das soll alles nicht wichtig sein, nur korrekt, steckt in grauen Hosen und dunkelblauer Strickjacke, bloß das Wort „Größe“ muß irgendwie fallen in seinem Zusammenhang, „gestählt“ vielleicht noch. Er hat weiße Haare, ist so um die sechzig, aber auch das ist nicht wichtig.
Wichtig ist allein das Wort, außen schlicht, aber geladen mit dieser gewissen pastoralen Eindringlichkeit. „Ich glaube, daß
wir nicht das Recht haben, stolz zu sein, sondern nur das Recht haben, dankbar zu sein, für die Köstlichkeit dieses Lebens.“ Richtig, die Hoffart, sie kommt uns nicht zu, uns'an denen der Ehrgeiz nagt. Auf was er besonders stolz sei, hatte ich gefragt, wenn er auf seine Arbeit als Bauherr der Domgemeinde, mit 20.000 Mitgliedern Bremens größte, zurückblicke.
Die Bauherren sind eine jahrhundertealte Institution der vier Hauptkirchen, Lamotte die bestimmende Figur unter ihnen. Die Restauration des Doms ist sein Verdienst. Lamotte ist auch eine Schlüsselfigur für das konservative Gegengewicht der Innenstadtgemeinden Dom, Liebfrauen und Mai gegenüber den antiimperialistisch und ökopaxig aktiven Gemeinden. Eigench stien die Bauherren auch, welcher Pastor an die Kirche kommt, nur am Dom ist die Situation ein bißchen speziell. Da gab es den sozialdemokratischen Dompredi
ger Abramzik länger als den christdemokratischen Lamotte. Und so geht man sich denn seit Jahren still an die Gurgel.
Für Lamotte ist das Gotteshaus „heilige Stätte“, es dient „der Begegnung mit dem anderen, es ist ausgeklammert inmitten des uns immer mehr drohenden Kampfes um die Existenz“. Krach mit Lamotte gab es z.B.'als empörte GrohndedemonstrantInnen den Dom besetzten und wenn nach dem GAU von Tschernobyl Demonstranten vor dem Regen mitsamt ihren Lautsprechern im Dom Zuflucht suchten. Die berichteten, Lamotte habe sie draußen zu halten versucht. Wegen der „heiligen Stätte?“ frage ich. „Sind sie dabei gewesen?“ fragt er, wachsam, und erst, als ich verneine, antwortet er: Den Schutzsuchenden habe er sogar das 2. Portal geöffnet, gewehrt habe er sich gegen Lautsprecher auf der Kanzel, und dann wieder inbrünstig: „Entheiligen: Nie! Dagegen werde ich mich immer wehren.“
Bei aller Inbrunst verläßt ihn doch selten der kalkulierende Blick für das, was deutlich zu sagen öffentlich untunlich wäre. Ganz deutlich wird er erst, als es um Frauen geht: „Abtreibung ist ein Verstoß gegen das 5. Gebot.“ Und:„Ich klage die Abtreibung als eine Sünde an.“ Wo wir nun schon beim Geschlechterkampf angekommen sind: Warum dürfen die zwölf Diakone des Doms nur, wie die Domherren, Männer sein ? Die Diakone, aus denen sich in fortgeschrittenem Alter die Domherren rekrutieren, verwalten die beträchtlichen Domliegenschaften, und im Augenblick gehören ihnen Henry Lamottes Sohn und Schwiegersohn an. Die Antwort: Weil man da mit Soll und Haben umgehen müsse und weil Verwaltung und Organisationsfähigkeit „besondere Fähigkeiten sind, die haben Männer, die haben Frauen nicht.“ Ob er es Frauen verbieten würde? Nein, verbieten nicht wieder die Lamottesche Vorsicht -, nur die natürlichen Unterschiede nicht nivellieren. Deshalb sei auch die Quotenregelung „eine Beleidigung fürs Leben und für die Frau“. Was vielleicht Frau Süßmuth könne, könne man doch nicht Frau Meyerdirks oder Frau Lamotte aufzwingen. (Welch letztere im übrigen die Organisation eines riesigen Haushaltes mit sechs gelungenen Kindern betreiben soll, aber das blieb in diesem Gespräch im dunklen).
Mit dem Manne ist mit Anstand streiten. Letzte Frage: Wie er sein Credo zusammenfassen würde. Konzentriertes Nachdenken und dann: „Ich will hinauf und nicht hinab. Ich will die Menschen hinaufziehen aus der Niedrigkeit des kreatürlichen Daseins. Und dazu gehören Handel und Wandel, Kunst und Geist, Kirche und Religion.“
Uta Stolle
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