Finanzkosmetik auf der Nato-Tagung

Die Verteidigungsminister der Allianz beginnen heute in Brüssel ihre Gespräche / Meinungsverschiedenheiten sollen durch Haushaltstricks verkleistert werden / Grundsatzentscheidung für „Lance„-Nachfolger laut US-General schon gefallen  ■  Aus Genf Andreas Zumach

Angesichts der bündnisinternen Meinungsunterschiede über neue Atomwaffen und künftige Strategie sind die Nato -Politiker bemüht, die sich verschärfenden Gegensätze bei der finanziellen Lastenteilung durch Verschiebung und Umtitelung von Haushaltsposten zu verkleistern. Bei ihrer heute in Brüssel beginnenden zweitägigen Planungstagung werden die Verteidigungsminister der Allianz im Konsens die Jahrestranchen 1991 und 92 für das Nato -Infrastrukturprogramm verabschieden. Die Grundsatzentscheidung für die Stationierung eines Nachfolgesystems für die Lance-Atomraketen hat die Nato nach Aussage von US-General Richards von der Europäischen Kommandozentrale (EUCOM) der USA in Stuttgart bereits getroffen. Auf einer Pressekonferenz in Washington am Vorabend der Brüsseler Nato-Tagung legten Friedensforscher und -bewegte aus den USA und Westeuropa das Protokoll einer Sitzung des Streitkräfteausschusses des US-Senats vom 15. April 88 vor, in dem Richards diese Aussage machte. Die Bundesregierung behauptet, bislang sei noch keinerlei Entscheidung oder Festlegung getroffen worden.

Die Ausgaben für das Infrastrukturprogramm der Nato belaufen sich für 1991 und 92 auf jeweils 1.150 Nato -Rechnungseinheiten. Das entspricht derzeit 7,7 Milliarden Mark, also insgesamt 15,4 Milliarden Mark. Die USA hatten ursprünglich über 16 Milliarden Mark gefordert, die Westeuropäer rund 10,8 angeboten. In den 15,4 Milliarden Mark, von der die Bundesrepublik 26,5 Prozent (4,08 Milliarden) zu zahlen hat, sind eine Reihe von Ausgaben verborgen, die nichts mit Nato-Infrastruktur zu tun haben: unter anderem über 500 Millionen Mark für die Verlegung des 401. US-Luftwaffengeschwaders von Spanien nach Italien. Deren Finanzierung war seinerzeit ein Streitpunkt in der Lastenteilungsdebatte zwischen USA und ihren Verbündeten. Eine kosmetische Erhöhung des westeuropäischen Anteils am Nato-Infrastrukturprogramm wurde dadurch erreicht, daß bereits von den USA national bezahlte militärische Bauprojekte in Westeuropa rückwirkend als Nato-Projekte umdefiniert wurden. Das Infrastrukturprogramm wird auf diese Weise immer mehr zum heimlichen Instrument des Lastenausgleiches.

Am Freitag werden die Minister in Brüssel einen Bericht des Nato-Exekutiv-Arbeitsausschusses veröffentlichen, der die militärischen und finanziellen Beiträge der einzelnen Mitgliedsstaaten auflistet und Vorschläge für die Zukunft macht. Die Bundesrepublik liegt mit ihren Leistungen an der Spitze der westeuropäischen Nato-Staaten. Zu dieser Beurteilung beigetragen haben nicht zuletzt die über den Etat des Außenministeriums abgewickelten „Rüstungssonderhilfen“ für Griechenland in Höhe von 1,67 Milliarden Mark sowie die Waffenlieferungen und Finanzspritzen für militärische Beschaffung an die Türkei (4,54 Milliarden Mark) und Portugal (0,9 Milliarden Mark). Die Grünen hatten vor zwei Wochen im Haushaltsausschuß des Bundestages gefordert, diese „Militarisierung“ des Außenetats rückgängig zu machen.

Hinter den Kulissen ist die Auseinandersetzung sehr viel härter, als von der Nato jetzt öffentlich verlautet. Der Vorsitzende des Nato-Militärausschusses, der bundesdeutsche General Altenburg, hatte noch vor wenigen Wochen intern die Sorge geäußert, die USA wollten den Anteil der Militärausgaben am Bruttosozialprodukt in den westeuropäischen Nato-Staaten von derzeit durchschnittlich 3,3 Prozent mit aller Macht auf den US-Anteil von 6,8 Prozent hochdrücken. Auf diese Weise, so Altenburg, wollten die USA auch die wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit Westeuropas und seine Attraktivität als Wirtschaftspartner für Osteuropa reduzieren. US-Verteidigungsminister Weinberger hatte am Montag mit einer Reduzierung der US -Truppen in Westeuropa gedroht, falls der US-Kongreß bei seinem Beschluß bleibt, die Militärausgaben in den Jahren bis 1994 nicht zu erhöhen. Der künftige Sicherheitsberater der Regierung Bush, General Scowcroft, schlug am Dienstag sogar eine Reduzierung der geplanten Ausgaben um mindestens 300 Milliarden Dollar vor.