: Berlin - die Welthauptstadt der Spione
Die geteilte Stadt hat die höchste Agentendichte der Welt vorzuweisen / Allein die USA sind mit fünf verschiedenen Geheimdiensten präsent /1.000 DDR-Agenten im Westteil der Stadt / Abhörtürme reichen bis zum Ural ■ Aus Berlin Werner Maus
Tagelang schon heißt es für die Vertreter der Weltpresse: Warten, warten, warten. Die Parkstreifen der Glienicker Chaussee sind mit Wohnwagen zugestellt, bestückt mit aufwendiger Elektronik amerikanischer Mediennetworks. Angelockt hatte die Meute ein Gerücht, das sich täglich verdichtete. Auf der Glienicker Brücke, einem der alliierten Übergänge zwschen Ost und West, soll ein spektakulärer Austausch stattfinden. Erwartet wird der vor allem in den USA prominente jüdische Bürgerrechtler Anatolij Schtscharanski aus der UdSSR, für den im Gegenzug eine Handvoll im Westen geschnappter Ost-Agenten über die Brücke soll. Am Mittag des 11.Februar 1986 ist es endlich soweit. Hüben wie drüben kommen Limousinenkolonnen vorgefahren, man trifft sich am weißen Strich auf der Mitte der Brücke. Kurze knappe militärische Begrüßung, shake hands der Delegationsführer, und der Austausch ist vollzogen. Bevor noch alle Fotografen richtig in Stellung gehen konnten, sitzt Schtscharanski bereits im Fond beim amerikanischen Gesandten und rauscht ab.
Was wie die Schlußszene eines Spionage-Thrillers anmutet, ist tatsächlich immer noch Berliner Realität. Der Austauch im Winter 1986 erinnert in einer Momentaufnahme daran, daß Berlin bis heute, 43 Jahre nach Kriegsende, noch immer ein Superlativ bietet, welches der Senat in seinen Hochglanzbroschüren tunlichst unerwähnt läßt: Die geteilte Stadt hat die höchste Agentendichte der Welt vorzuweisen. Vor Genf, New York, Hongkong und dem Vatikan rangiert Berlin noch immer als Welt-Hauptstadt der Spione.
Darüber sollte auch die Tatsache nicht hinwegtäuschen, daß in der Öffentlichkeit vor allem der Berliner Verfassungsschutz für Schlagzeilen sorgt. Den rund 300 Berliner Dunkelmännern stehen - zumindest bei ihren Ost -Aktivitäten - noch erheblich stärkere Kontingente der Alliierten zur Seite.
Weitreichende Horchposten
vom großen Bruder
So sind allein die US-Amerikaner mit fünf verschiedenen „Diensten“ in Berlin präsent. Personell am stärksten vertreten ist der „geheimste Geheimdienst“ der westlichen Vormacht, die „National Security Agency“ (NSA) mit rund 600 Mann. Die NSA betreibt die weltweit gestreuten Abhorchposten der Amerikaner und ist längst zum eigentlichen Rückrad der US-Spionage geworden. Sie liefert fast 90 Prozent aller Geheiminformationen für Pentagon und Nationalen Sicherheitsrat des Präsidenten.
In Berlin-West betreiben sie die Abhörtürme am Teufelsberg und auf dem Flughafen Tempelhof. Das größe Ohr am Teufelsberg kann Gespräche noch in 4.000 Kilometer Entfernung erlauschen und reicht damit bis zum Ural.
Für Aktionen, die einen direkten Einsatz erfordern, stehen den USA in Berlin rund 60 CIA-Leute zur Verfügung. Aktivitäten der CIA in Berlin sind vor allem aus der Zeit der Anti-Kriegs-Bewegung bekannt. Rudi Dutschke wurde 1968 von der CIA beschattet, darüber hinaus versuchte der CIA natürlich die Gruppen zu infiltrieren, die desertierten GIs zur Flucht nach Schweden verhalfen.
Die Pentagon-Dienste sind für die Beobachtung ihrer Waffenbrüder im Osten zuständig. Dazu gehört, als Ergebnis des Krieges, das Recht der Sieger auf Inspektionsfahrten durch die DDR. In Potsdam unterhalten die West-Alliierten eine Militärmission, zu der ein ständiger Pendelverkehr aus West-Berlin besteht. Daß die Spionagefahrten durch die DDR aber auch für Angehörige der Siegermächte nicht ganz ungefährlich sind, zeigte ein Vorfall vor einigen Jahren. US -Major Nicholson trieb seine Neugierde zu weit und wurde am Zaun einer militärischen Anlage in der DDR erschossen.
Die Zeit der Legenden ist passe
Fast allen amerikanischen Geheimdienstmitarbeitern ist ein Merkmal eigen, das sie von ihren sonstigen Besatzungskollegen unterscheidet: Sie sprechen nicht nur englisch bzw. amerikanisch, sondern haben mindestens einen crash-kurs in Deutsch hinter sich. Wer darüberhinaus Telefongespräche in Kiew oder Warschau abhören will, muß mindestens auch ein wenig russisch oder polnisch verstehen.
Trotzdem soll die Effizienz der US-Dienste an mangelnden Sprachkenntnissen leiden. Als wichtigste Ursache gilt der obligatorische Wechsel in ein anderes Land nach zwei Jahren. Das mag zwar gegen Korruption und mögliches Fraternisieren mit dem potentiellen Gegner gut sein, erhöht aber nicht den Durchblick an den jeweiligen Stationen. „Die meisten US -Angehörigen“, die alle in Dahlem oder Zehlendorf residieren, „kennen Kreuzberg nur aus dem Fernseher“, weiß ein Insider zu berichten.
Außer den Amerikanern sind offiziell selbstverständlich noch der britische und französische Geheimdienst in Berlin vertreten. Für die Briten in Berlin gilt ganz allgemein: der Lack ist ab. Kein Spion mehr, der aus der Kälte kommt, die Legenden des MI6 sind Geschichte. Da auch die IRA-Zentrale nicht in Ost-Berlin vermutet wird, werden die Ressourcen des einst weltweiten operierenden brtischen Geheimdienstes wohl hauptsächlich in Nordirland eingesetzt.
Die Franzosen haben dagegen in Berlin einen Vorteil, den US - und britische Agenten nicht so leicht wettmachen können: Sie rekrutieren ihre Leute aus dem Elsaß und haben damit wenigstens die Kosten für den Deutsch-Kurs gespart.
Aufgrund des Besatzungsrechts können diese Dienste der drei Westalliierten in West-Berlin schalten und walten, wie sie möchten. Der Berliner Verfassungsschutz muß ihnen bei Bedarf zuarbeiten. So lassen die Alliierten deutsche Bewerber für zivile Jobs (die Amerikaner sind einer der größten Arbeitgeber in Berlin) durch den VS sicherheitsüberprüfen, genauso wie Anträge Berliner Bürger auf USA-Visa im Einzelfall durch den Verfassungsschutz gegengecheckt werden. Im Prinzip haben die Alliierten aber sowieso einen generellen Zugriff auf die Daten des Verfassungsschutzes. Der Berliner Bundestagsabgeordnete Wartenberg (SPD) machte erst vor wenigen Monaten darauf aufmerksam, daß über Berlin die alliierten Geheimdienste auch den Datenverbund (Nadis) aller übrigen westdeutschen Dienste abfragen können. „West -Berlin ist eine offene Stelle ohne Bindung der Einschränkung, die für das Bundesgebiet gilt“, resümiert der Bundesdatenschutzbeauftragte in seinem Jahresbericht 1987.
Der kurze Dienstweg
Im Gegenzug wird der Berliner Verfassungsschutz bei seinen eigenen Abhöraktionen gedeckt. Formal lauschen sie im Auftrag der Alliierten, die ihnen offenbar problemlos Blanko -Genehmigungen ausstellen, die kein deutscher Richter oder Parlamentarier überprüfen kann. Praktischerweise grenzt das Hauptquartier des Berliner Verfassungsschutzes an der Clay -Allee unmittelbar an das US-Headquarter, so daß der kurze Dienstweg ganz wörtlich zu verstehen ist.
Zur Welthauptstadt der Spione gehört natürlich auch die Gegenseite. Auch hier bietet Berlin nach wie vor die besten Voraussetzungen. Nach dem Viermächtestatus regieren in Berlin die vier alliierten Stadtkommandanten, der West -Berliner Senat und das Politbüro der SED. Genauso wie die West-Alliierten nach Ost-Berlin, dürfen die KGB-Offiziere nach West-Berlin. Täglich patrouillieren russische Offiziere in ihren Moskowitschs vor den Hauptquartieren der West -Alliierten und nehmen ihre Inspektionsrechte wahr. Dazu kommt Unterstützung von Agenten aus den anderen Warschauer -Pakt-Staaten, die in Berlin alle ihre Militärmissionen haben und dort ihr Geheimdienstpersonal stationieren.
Polnische Agenten konnte man früher immer am Zaun des Flughafen Tempelhof antreffen, wenn wieder einmal eine entführte Maschine herunterkam. Seit diese nun legal in den Westen dürfen und auch aus anderen Ostblockländern immer mehr Menschen entweder aussiedeln, abgeschoben oder ausgebürgert werden, wächst in Berlin die Zahl der Emigranten, die beobachtet werden will. In jüngster Zeit hat sich vor allem der rumänische Geheimdienst auf diesem Sektor hervorgetan. Mit massiven Drohungen gingen sie Exilrumänen an, die unter anderem in der taz über die Verhältnisse unter dem Conducatore berichtet hatten.
Das Hauptkontingent in der Stadt insgesamt stellt allerdings der Staatssicherheitsdienst (Stasi) unter dem Uraltkommunisten Mielke (81). Allein im Ost-Berliner Hauptquartier sollen 3.000 festangestellte Mitarbeiter sitzen, dazu weitere 30.000 Gelegenheitsspitzel, die die Stasi mit Informationen versorgen. Nach vorsichtigen Schätzungen soll die Stasi in West-Berlin rund 1.000 freie Mitarbeiter beschäftigen, die bei Bedarf aktiviert werden können.
Im Ernstfall immer
nichts gewußt
Nach westlichen Quellen sind Stasi, KGB und andere Dienste aus den befreundeten Ländern mit Elektronik immer noch stark unterversorgt. Informationsbeschaffung bleibt deshalb ein hartes Brot, und an Devisen mangelt es sowieso. Von einem sowjetischen Major ist überliefert, daß ihm vor Rührung die Tränen in den Augen standen, als ihm beim 'Extradienst‘ (frühere linke Zeitung in West-Berlin) eine Broschüre über Zivildienstleistende überreicht wurde. Deren Ausforschung hatte er sich schwieriger vorgestellt.
Wenn es drauf ankommt, nützt allerdings auch den West -Schnüfflern die ganze Elektronik nix. Im Ernstfall waren sie überrascht wie alle anderen auch: Weder Mauerbau noch Währungsreform noch den nächsten Generalsekretär konnten sie vorhersagen.
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