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Unter den Konservativen der Beste

Bestsellerautor Thierry Pfister über Mitterrand und die französische Linke: „Die alten Revolutionäre sind zur linken Schickeria verkommen“  ■ I N T E R V I E W

taz: Sie gehörten über Jahre zu den wichtigsten Beratern der sozialistischen Regierung. In Ihrer Streitschrift formulieren Sie eine Kampfansage an Ihren alten Arbeitgeber, der wieder die Macht errungen hat. Was hat Ihnen den Kopf verdreht?

Thierry Pfister: Ich konnte es nicht mehr ertragen. Ich habe diesen maßlos übertriebenen Mitterrand-Kult, den derzeit überall gepflegten Gesellschaftskonsens nicht mehr ertragen. Alles zeugt von einer beunruhigenden Schwächung der demokratischen Kultur. Es ist unverzeihlich, daß dafür die Linke Verantwortung trägt. Sie, die die Moral für sich beansprucht, ist unmoralisch. Die Rechte ist da fast ehrlicher, sie hat keinen Anspruch und keinen Moralbegriff.

Wollen Sie vielleicht eine persönliche Rechnung begleichen?

Nein, ich bin wirklich empört. Wenn ich die alten Revolutionäre sehe, wie sie zur linken Schickeria verkommen sind und nun erklären, daß sich „unser Verhältnis zum Luxus verändert hat“, um damit besser ihre Selbstverleugnung zu rechtfertigen, dann bin ich außer mir.

Was läßt Sie an der Linken verzweifeln?

Sie liegt immer falsch. Jetzt lobt sie die „zivile Gesellschaft“, während sich in Wirklichkeit die Franzosen verstecken und nicht einmal mehr zur Wahl gehen. Sie redet vom politischen Konsens, und in Wirklichkeit läuft sie nur der Rechten hinterher.

Woran liegt's? Wer hat schuld?

Die Linke will - koste es, was es wolle - an der Macht bleiben. Die Linke ist in diesem Land nicht mehrheitsfähig. Mitterrand wurde nur aufgrund eines konservativen Reflexes wiedergewählt. Unbeweglichkeit ist zum Regierungsdogma geworden. Als ob nur die Tatsache, daß Fran?ois Mitterrand Präsident bleibt, schon einen Fortschritt bedeuten würde.

Wie regiert Mitterrand mit den Sozialisten?

Seit 1978 gibt es bei den Sozialisten keine politische Strategiedebatte mehr. Als eine Art Bandenchef regiert Mitterrand mit seinen Männern statt mit Ideen, er regiert mit Hilfe von pressure groups und nicht mit Hilfe sozialer Kräfte. Alle Welt verneigt sich vor ihm, und er verlangt Huldigung.

Ist Mitterrand ein Monarch?

Wir leben unter der Herrschaft einer Technokratie, die außerhalb jeder Kontrolle steht, und unter einem Monarchen, der sich mit sich selbst beschäftigt. Dabei duldet Mitterrand keine Meinungsfreiheit. Er ist geblendet von seiner eigenen Person, von der Bespiegelung seines Ichs. Das heißt für ihn: „Ich und die Kultur“, „Ich und die Kunst“ oder „Ich bin der aufgeklärte Monarch, der den Umgang mit den Künstlern seiner Zeit pflegt“. Seine großen Baustellen zum Beispiel der Triumphbogen von „La Defense“ - zeugen von seinem Streben nach Unsterblichkeit.

Warum ist Mitterrand trotzdem so beliebt?

Unter den Konservativen ist er der Beste.

Copyright: 'Le Point‘

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