Eine Partei gerät aus den Fugen

Im Blickpunkt der heute in Karlsruhe beginnenden Bundesversammlung der „Grünen“ steht der „Skandal“ um den Umbau der Partei-Villa „Haus Wittgenstein“ / Über den Fehlschlag des großen Plans, nach ökologischen Kriterien und in Selbsthilfe mit ehemaligen Drogenabhängigen zu bauen, entzweite sich die Partei  ■  Von Ursel Sieber

Fast ein halbes Jahr ist es nun her, daß der 'Spiegel‘ die Grünen mit der Nachricht aufscheuchte, Parteifunktionäre hätten in die eigene Tasche gewirtschaftet: Von Barschecks ohne Belege, von unverhältnismäßig hohen Vorschüssen an Funktionäre, von Darlehen ohne Beschlüsse. Vorwürfe, die gerade die Grünen treffen mußten - und auch getroffen haben. Die 'Spiegel'-Veröffentlichung entpuppte sich als Ausdruck und Motor eines rapide voranschreitendes Prozesses der Entsolidarisierung der Grünen. Und eine Strategie von Zermürbung konnte gerade deshalb verfangen, weil nicht wenige Grüne dem 'Spiegel‘ alles glauben und ihrem eigenen Bundesvorstand nichts. Ein Kreisverband aus Roth hat ja sogar beantragt, daß in der Untersuchungskommission auch ein Mitglied der 'Spiegel'-Redaktion sitzen müsse. Schatzmeister Hermann Schulz hat die innere und politische Verfassung der Partei einmal so auf den Punkt gebracht: „Diese Partei ist nicht aus den Fugen, weil sie einen Finanzskandal hat, sondern sie hat einen sogenannten Finanzskandal und hätschelt den, weil sie aus den Fugen geraten ist“.

Was aus den im 'Spiegel‘ erhobenen Anschuldigen geworden ist, ist schnell zusammengefaßt: Sie sind vom Tisch, mit Ausnahme des Vorwurfs der Steuerhinterziehung beim Umbau der parteieigenen Villa Wittgenstein. Das gestehen inzwischen auch diejenigen zu, die den Parteivorstand nicht besonders mögen.

Zweimal sind die 'Spiegel'-Vorwürfe jetzt untersucht worden: Von einer parteiinternen Kommission und von dem Bonner Wirtschaftsprüfer Ingo Wieglos. Eine dritte Untersuchung folgt: Sie betrifft den ganzen Komplex „Wittgenstein“ und wird von der „Treuarbeit“, einem unabhängigen Institut durchgeführt. Bisher kommen beide Untersuchungen zum selben Ergebnis, und für die parteiinterne Kommission faßt sie Eberhard Bueb so zusammen: „Daß sich irgendein Mitglied des Bundesvorstands persönlich bereichert hat - das alles ist vom Tisch, das steht außer Frage“. Und: „Es haben in einzelnen Fällen Beschlüsse gefehlt, aber das ist nicht so gravierend, das kann man auf der Ebene von Schlamperei abhandeln“.

Und doch ist der innergrüne Streit ums liebe Geld noch nicht zu Ende. Denn daß bei bei der Renovierung der grünen Parteivilla in Wittgenstein gegen Steuer- und Sozialgesetze verstoßen worden ist, steht außer Frage: Ehemalige Drogenabhängige haben in Wittgenstein gearbeitet, ohne Sozialversicherung, in ungeschützten Arbeitsverträgen zu einem Lohn von 440 Mark. Und außer Frage steht auch, daß sich der Bundesvorstand erst vier Monate später zu diesen illegalen Manipualtionen bekannt und noch im Juni allein den damaligen Bauleiter Lothar Kämper dafür verantwortlich gemacht hat. Tatsache ist auch, daß sich die Mitglieder des BuVo während dieser Zeit in heilloses Taktieren hinter den Kulissen verstrickten, und mit diesem Verhalten Mißtrauen und Verdächtigungen gestärkt haben. Immerhin hat sich Parteisprecher Schmidt dafür mit den Worten entschuldigt: „Ein politischer Fehler, das will ich nicht in Abrede stellen.“ Der Parteitag wird nun entscheiden, ob das für einen Abwahlantrag trägt.

Eine politische Debatte ist nun ebenfalls dazugekommen, und da geht es um das Staatsverständnis der Grünen: War die Beschäftigung von ehemaligen Drogenabhängigen auch zum Nutzen der Betroffenen, und wären in diesem Falle Verstöße gegen Steuer- und Sozialgesetze nicht legitim - ja für das bisherige Politikverständnis der Grünen sogar geboten? „Wenn wir formelles Recht übertreten, ist das nicht dasselbe, als wenn der Graf Lambsdorff Millionen aus völlig illegitimen Gründen hinterzieht“, sagt Vorstandssprecher Christian Schmidt. Der Bundeshauptausschuß hat diese Haltung bekräftigt - doch für die gesamte Partei sprach er damit sicherlich nicht. Peter Sellin, grüner Abgeordneter aus Berlin, ist nicht der einzige Grüne, der den grünen Finanzskandal in einen direkten Zusammenhang mit dem Grafen Lambsdorff rückte. Eine andere Frage ist, ob es politisch klug war, den Umbau von Wittgenstein mit einer Selbsthilfegruppe von ehemaligen Junkies zu tätigen - eine Entscheidung freilich, die unter einem anderen Parteivorstand gefällt worden ist. „Die Grünen sind nicht so verfaßt, daß sie solche Kampagnen tragen“, sagte Ex-BuVo -Rainer Trampert, der deshalb dafür plädierte, daß die Partei darum künftig die Steuergesetze einhalten müsse.

Der Traum von Wittgenstein

Mit der Debatte um die illegale Beschäftigung ehemals Drogenabhängiger ist auch der gesamte Umbau der Parteivilla Thema geworden. Im Raum steht die Frage, warum die Renovierung so teuer geworden ist, die Frage, ob dort Mißwirtschaft betrieben wurde und Parteigelder dilettantisch verbuddelt worden sind. Die 'Spiegel'-Nachricht zum Steuerverstoß in Wittgenstein platzte schließlich auch in eine laufende Auseinandersetzung um den künftigen Fortgang der Umbauarbeiten in Wittgenstein: Der Parteivorstand wollte sich von seinem Bauleiter Lothar Kämper trennen und hat das inzwischen auch getan. Darüber sind Freundschaften zerbrochen, und das hat besonders bei Lothar Kämper sehr viel Verbitterung produziert. Das ist die menschlich -tragische Dimension.

Dabei fing vor vier Jahren alles so schön an. 1984, im September, hat der damalige Bundesvorstand schnell zugegeriffen und das Anwesen um den Preis von 1,4 Millionen Mark erworben. Die wunderschöne Villa am Rande Bonns diente einst der Bankiersfamilie Wittgenstein als Sommerresidenz und wurde später als geschlossene Anstalt genutzt. Fünf Gebäude, unter Denkmalschutz stehend, sollten umgebaut und eine grüne Zukunftswerkstatt werden. Damals herrschte Aufbruchstimmung in den Grünen, und voller Euphorie hat ein Parteitag dem Erwerb des Anwesens zugestimmt. Damals, 1985, hatten alle Mitglieder des Bundesvorstands den Wunsch, nicht nach kapitalistischen, sondern nach baubiologischen und ökologischen Maßstäben zu bauen und zu planen. Hermann Schulz, der Schatzmeister, hielt Umschau nach geeigneten Architekten.

Die ersten Pläne

Mit der Planung waren zuerst die Kölner Architekten Bußmann und Reith beauftragt. Sie entwarfen die ersten Pläne, schätzten die Umbaukosten allerdings allein für das Haupthaus schon damals auf 2,4 Millionen Mark - eine Summe, die bei bei den Grünen einen „Schock“ ausgelöst hat, wie Hermann Schulz heute sagt. In dieser Situation rückte ein Vorschlag in den Vordergrund, den der Bauingenieur und spätere Bauleiter Lothar Kämper dem Parteivorstand unterbreitet hat: Die Idee, den Umbau schrittweise und (zum Teil) in Selbsthilfe vorzunehmen.

Dies war Teil seines Konzepts - ja man könnte fast sagen, seiner Philosophie: Lothar Kämper ist ein grüner Fundamentalist, einer, der sich gedanklich an Rudolf Bahro und an der Antroposophie eines Rudolf Steiners orientiert. Der Umbau sollte „organisch“ vonstatten gehen; er wollte „die politischen Ziele bereits im Mikrobereich des Projekts werkstattlich organisieren“. Es war auch seine Idee, die Umbauarbeiten mit ehemaligen, handwerklich ausgebildeten Drogenabhängigen auszuführen. Denn Kämper war nicht nur Bauingenieur, sondern auch Drogentherapeut und sah Wittgenstein als Möglichkeit, beides zu verbinden: Die grüne Zukunftswerkstatt sollte (auch) von einem Selbsthilfeprojekt ehemaliger Junkies gebaut werden. In der Hoffnung, der Umbau könne mit einer Kombination von Eigenleistungen und Fremdaufträgen billiger werden, wurde Lothar Kämper im Juni 85 eingestellt. Beim Bundesschatzmeister Hermann Schulz genoß er einen großen Vertrauensvorsprung: Sie hatten sich kennengelernt, lange bevor es die Grünen gab.

Junkies auf der Baustelle

Kämper stellte nun ehemalige Drogenabhängige ein, die eine handwerkliche Vor- bzw. Ausbildung hatten. Ein paar Mitarbeiter wurden fest angestellt; der Rest arbeitete ohne Sozialversicherung und wurde nach Stundenlohn bezahlt. Waren es mehr als 440 Mark, wurde die Beschäftigungszeit für das Finanzamt „gestreckt“. Der Bundesvorstand vertritt bis heute den Standpunkt, daß die ungeschützten Arbeitsverhältnisse zum Nutzen der Ex-Junkies gewesen sind: Bei „normaler“ Bezahlung wäre ihnen das Gehalt gepfändet worden. Eine Begründung, die nicht in allen Fällen stichhaltig ist, weil die Pfändungsgrenze viel höher (bei 950 Mark) liegt. Nun ist vom Vorstand zu hören, daß es keineswegs nur um die Pfändungsgrenze ging: Einige der dort Beschäftigten hätten gleichzeitig Sozial- oder Arbeitslosenhilfe bezogen und wollten kein anrechenbares Einkommen haben. Jede Beschäftigung unter 440 Mark gilt wiederum als geringfügig, so daß damit die Betroffenen weder dem Finanzamt noch der AOK bekannt geworden seien.

Inzwischen ermittelt der Staatsanwalt und versucht die Namen derjenigen herauszufinden, die damals Sozial- und Arbeitslosenhife bezogen.

Natürlich ist diese Art der Beschäftigung bei den Grünen umstritten. Eberhard Bueb etwa meint, hier werde etwas zu einer sozialen Tat hochstilisiert, wo doch ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse für Grüne immer einen Skandal darstellen müßten. In einigen Fällen hätte es Unterhaltsverpflichtungen gegeben und da, so meint er, wären Pfändungen sogar ganz sinnvoll gewesen. Lothar Kämper sagt heute, er habe da auf eine feste Anstellung gedrängt, wo er es aus der Sicht der Betroffenen für notwendig hielt. Das impliziert den Vorwurf, daß eigentlich mehr Leute einen „richtigen“ Vertrag haben wollten - wenn die Parteispitze nur gewollt hätte. Hermann Schulz, der Schatzmeister, betont, daß es in sieben Fällen auch zu einer festen Anstellung gekommen sei. Die Idee sei jedoch Hilfe zur Selbsthilfe gewesen, der Versuch, früheren Junkies einen Zugang zu einer sinnvollen Arbeit zu ermöglichen. Sie hätten nicht alle anstellen können, die Grünen hätten ein Tagungshaus bauen und keine Drogentherapie durchführen wollen.

Unbehagen wächst

Alle Umbaupläne wurde in einer sogenannten Baukommission diskutiert. Schatzmeister Hermann Schulzund Geschäftsführer Walde waren von der Parteispitze kontinuierlich dabei sowie für den jetzigen Vorstand die Parteisprecherin Regina Michalik. Neben naiver gemeinsamer Euphorie gab es Streit und Kritik: Lothar Kämper habe nach einem Prinzip gebaut, das einer seiner Kritiker, der Architekt und Ex -Bundestagsabgeordnete Walter Sauermilch das „trial-and -error-Modell“ nannte: Was richtig und falsch war, sollte am besten im Bau selbst erkannt und dann in die eine oder andere Richtung verändert werden. Doch Lothar Kämper erntete damit auch viel Lob: Das Gärtnerinnenhaus etwa galt allen als gelungenes Werk - daß der Einbau des herrlichen Kachelofens allein mit 200.000 Mark zu Buche schlug, sollte sich erst später herausstellen.

Zu Beginn des Jahres wuchs das Unbehagen in der Baukommission: Ob der Umbau Ende Juni fertiggestellt sein konnte, war nicht abzusehen. Die drei früheren Termine waren verstrichen, Handwerker beklagten sich bei der Baukommission über mangelnde Planung, die Rechnungen wurden höher und höher. Lothar Kämper verlor immer mehr an Vertrauen, auch bei Hermann Schulz.

Im April und Mai griff der Parteivorstand ein. Lothar Kämper (und den anderen festangestellten Mitarbeitern) wurde mitgeteilt, sie seien nur für die Umbauarbeiten da, und die sollten ja Ende Juni beendet sein: Man wolle die Stelle für den Tagungsbetrieb ausschreiben, die könne nicht automatisch vom Bauleiter übernommen werden. Lothar Kämper stellte sich nun auf den Standpunkt, er habe sich von Anfang an für die Bauleitung und den späteren Tagungsbetrieb beworben. Eine Erwartung, die er in seinem Bewerbungsschreiben auch so geäußert hatte, und die wohl auch so lange berechtigt war, wie ein Vertrauensverhältnis mit der Parteispitze bestand. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag existierte jedoch nicht. Der Streit eskalierte, der Vorstand arbeitete bis Ende September befristete Arbeitsverträge aus. Als der Bundesvorstand die Steuerhinterziehung zunächst auf Kämper abwälzte, war der Bruch da. Kämper erhielt schließlich 40.000 Mark Abfindung.

Geld verschwendet

Anfang Juni setzte der Parteivorstand den Architekten Walter Sauermilch als „Berater“ für Wittgenstein ein. Als Sauermilch begann, die Akten zu studieren, war er, wie er heute sagt, „entsetzt“. Er wirft Lothar Kämper „Dilettantismus“ und „unqualifiziere Bauführung“ vor: „Es gab keine Pläne für die Handwerker, keine Kostenvoranschläge, keine Ausschreibungen. Mit den Firmen hat er meistens nur auf Vertrauensbasis zusammengearbeitet; Unternehmen haben Rechnungen geschrieben, die zu hoch waren, und die dann niemand kontrollieren konnte.“ Und Lothar Kämper habe sich übernommen: Zumindest die therapeutische Betreuung der ehemals Drogenabhängigen hätte er an einen anderen Therapeuten abgeben müssen.

Das Ausmaß der Fehlplanung, sagt Sauermilch, habe die Baukommission zu spät erkannt: „Lothar Kämper hat es verstanden, die ganze Misere bis zum Schluß zu verbergen.“ Dem Parteivorstand (und ihren Mitgliedern in der Baukommission) muß man jedoch vorhalten, daß sie zu lange naiv und gutgläubig gewesen sind, weil sie diese Kontrolle nicht schon früher eingebaut haben.

Dennoch sieht Sauermilch keinen Grund zu dieser großen Aufregung: Was die Grünen letztlich an Baukosten bezahlen, trifft sich fast exakt mit der Summe, die die ersten Architekten als Schätzung (für das Haupthaus) abgegeben haben. Die Gesamtkosten für Wittgenstein werden sich laut Walter Sauermilch auf 4,3 Millionen Mark belaufen. Das umfaßt alle Baunebenkosten samt Außenanlagen. Die reinen Baukosten werden wohl 2,3 Millionen Mark betragen; Lothar Kämper hatte in einer Parteitags-Vorlage die reinen Baukosten um 500.000 Mark niedriger gesschätzt.

Sicherlich wäre ohne das Selbsthilfeprojekt Wittgenstein einiges billiger geworden: Sauermilch hat ausgerechnet, daß die Grünen wahrscheinlich 300.000 Mark gespart hätten, wenn die Arbeit, die von der Selbsthilfegruppe in Eigenleistung gemacht wurde, von „bürgerlichen Betrieben“ ausgeführt worden wäre. Wahrscheinlich. Doch 1985 hat Kämper mit seinem Vorschlag die damaligen VorständlerInnen überzeugen können. Und heute sagt Lothar Kämper zu Recht, er habe ein politisches und kein architektonisches Konzept vorgelegt, als er sich beworben hat. Die Grünen wären damals genauso gerügt worden, hätten sie das Selbsthilfeprojekt Wittgenstein abgewiesen, und schlicht „bürgerliche Firmen“ beauftragt. Schließlich gibt es auch eine gute Nachricht: Walter Sauermilch schwört, daß die neue Parteivilla im Frühjahr endgültig eingeweiht wird.