Knapper Punktsieg für Walesa

Leergefegte Straßen während des Fernsehduells Walesa vs. Miodowicz in Polen  ■  Aus Krakau Klaus Bachmann

Die Straßen Krakaus sind leergefegt an diesem Abend. Vermutlich haben nicht nur die Krakauer beschlossen, an diesem Tag rechtzeitig um 19.30 Uhr zu Hause zu sein. Nicht weil sie die Fernsehnachrichten besonders liebten - sie gelten im allgemeinen als heimtückisches Propagandainstru ment -, sondern um das „Duell“ am Bildschirm verfolgen zu können: Zum ersten Mal seit der Verhängung des Kriegsrechtes wird der Arbeiterführer Lech Walesa im polnischen Fernsehen auftreten; über eine halbe Stunde lang im Streitgespräch mit dem Vorsitzenden der offiziellen Staatsgewerkschaft (OPZZ), Alfred Miodowicz.

„Treten Sie doch bei uns ein!“ bietet Miodowicz Walesa gleich zu Anfang an, worauf die Gäste eines Krakauer Hotels am TV in lautes Lachen ausbrechen. Wenn die Arbeiterschaft dies wolle, könne er sich auch in die Führung der OPZZ wählen lassen, meint der offizielle Gewerkschafter weiter. Walesa lehnt ab. Es könne keine Verständigung geben, wenn man der anderen Seite das Recht auf ihre Existenz abspreche. Walesa, mit einem „Jungfrau-Maria-Button“ und einem Solidarnosc-Anstecker dekoriert, gehören laut Abmachung die nächsten zehn Sendeminuten. 1980, so beginnt er, sei die Chance auf weitgehende Reformen in Polen vertan worden. „Breschnew hat einfach zwei Jahre zu lange gelebt!“ erklärt der gläubige Katholik. „Was wir tun, ist das Modell des Stalinismus über die Runden zu retten!“ Der Pluralismus habe sich überall bewährt. Man solle also nicht darüber reden, ob, sondern wie man den Pluralismus einführen könne.

Miodowicz ließ erkennen, daß er Walesas Vorschlag, wie in der Bundesrepublik üblich mehrere Gewerkschaften in einem Betriebsrat zu vereinigen, erwägenswert findet. Auf Walesas Forderung, die Details in öffentlichen Diskussionen zwischen Spezialisten beider Seiten abzuklären, geht er vor laufender Kamera nicht ein. Walesa, am Anfang sichtlich nervös, redet sich immer mehr in Fahrt, und aus den Monologen der beiden Kontrahenten wird langsam so etwas wie ein Streitgespräch. Walesa verweist auf Ungarn; dort gebe es viel mehr Meinungsfreiheit als in Polen. „Warum nicht auch hier so?“ fragt er - aber da sind die vierzig Minuten auch schon vorüber. Die meisten Zuschauer im Hotel sind eher enttäuscht. Daß Walesa fast staatsmännisch, sehr ruhig und fast ohne Polemik aufgetreten ist, wird ihm bei seinen radikaleren Gefolgsleuten eher schaden denn nützen.