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Schon so nah oder noch sehr weit

■ Über die „Tage der modernen arabischen Literatur“ in Berlin

Walter Saller

Spitzwegs Armer Poet am Portal der großbürgerlichen Villa des Literarischen Colloquiums Berlin steht in deutlichem Gegensatz zur Gediegenheit des Literaturhauses. In diesem feudalen Ambiente fand im Rahmen der Veranstaltungsreihe „15 Jahre Neue Gesellschaft für Literatur“ vom 28. bis 30.November ein für die Bundesrepublik außergewöhnliches Ereignis statt: Tage der modernen arabischen Literatur.

Die Veranstalter - die Neue Gesellschaft für Literatur (Berlin), Das Arabische Buch (Berlin), Der Andere Literaturklub (Frankfurt/Main) und das Literarische Colloquium (Berlin) - haben allen Grund zur Zufriedenheit. Die geladenen arabischen Gäste sind vollzählig eingetroffen: Fatima Mernissi, Feministin, Schriftstellerin und erste Soziologieprofessorin Marokkos; Michel Kilo, syrischer Schriftsteller und Journalist; Emile Habibi, israelischer Chefredakteur und Dichter; Assia Djebar, algerische Schriftstellerin und Feministin; ihre algerischen Kollegen Raschid Boudjedra und Tahar Wattar; Gamal Al-Ghitani, Dichter und Feuilletonist aus Ägypten, und die Lyriker Adonis (Syrien/Libanon) sowie Adel Karasholi (Syrien). An Publikum mangelte es nicht. Das Konzept, auf deutsch vorliegende Texte der arabischen Autoren von deutschen Dichtern vortragen zu lassen, kam gut an. Und auch das von Claudio Lange und Hans Schiler zu den arabischen Literaturtagen herausgegebene Lesebuch Moderne Arabische Literatur (verlegt bei „Das Arabische Buch“) ist seine 36 Mark wert.

Die einleitende Frage von Claudio Lange am Eröffnungsabend, ob man die „Tage“ denn nun deshalb veranstalte, weil man der arabischen Literatur schon so nahe oder eben weil der Weg zu ihr noch sehr weit sei“, beantwortete Professor Steppat indirekt sehr direkt. Er bringt noch einmal jenen unsäglichen 'FAZ'-Schirrmacher und dessen „Mahfuz?„- und Nobelpreis-Diskreditierung zur Sprache. Aber auch die Reaktion von Hans Magnus Enzensberger im Vorfeld der Veranstaltungen war bezeichnend. Er lehnte die ihm angetragene Schirmherrschaft der „Tage“ ebenso lakonisch wie unzutreffend ab. „Ich war ja noch nicht einmal in Tunis“, lautete seine Begründung. Nun will ich ja keineswegs dreist behaupten, Enzensberger sei gewiß schon einmal klammheimlich in Tunis gewesen. Aber immerhin verlegt er Autoren wie Mohamed Choukri und Driss Ben Hamed Charhadi in seiner „Anderen Bibliothek“.

Die arabischen Literaturtage hatten viele Höhepunkte. Einer davon war der Auftritt der 1940 in Fes geborenen Fatima Mernissi. Heute lebt die erste Soziologieprofessorin Marokkos - nach längeren Studienaufenthalten in Paris und den USA - in Rabat. Ihr letztes Buch Le Harem politique, eine polemische Abrechnung mit dem Frauenbild der islamischen Dogmatik, ist in Marokko verboten. In der Bundesrepublik sind mehrere Bücher von Mernissi auf deutsch erschienen.

„Das Hauptproblem der arabischen Welt“, so Mernissi, „ist nicht die wirtschaftliche Lage oder Israel, sondern die islamische Beziehung zu Zeit und Tod. In der gebetsmühlenhaften Beschwörung der großen islamischen Vergangenheit gerinnt diese dem gläubigen Moslem zur magischen Formel. Von der Zukunft aber ist er hypnotisiert.“ Der paralysierte Moslem, der unfähig ist, die nötige historische Distanz zu entwickeln, um die Zeichen der Vergangenheit tatsächlich zu entziffern. Aus dieser Haltung kann er auch keine wirkliche Zukunftsperspektive entwickeln. Die weibliche Negativrolle beginnt für ihn mit dem Begriff des Todes. „Denn wir alle sind aus einem Uterus gekrochen, wurden von einer Frau geboren. Und da wir sterblich sind, ist auch der Tod weiblich.“ Doch diesem abstrakt feministischen Ansatz wird sogleich heftig widersprochen. „Ich kann keine vier Männer heiraten, mich nicht scheiden lassen! Ja, nicht einmal allein ausgehen! Und du redest von Zeit und Tod!“ wirft eine junge Marokkanerin ein. Und eine andere meint fassungslos: „90 Prozent der Frauen sind Analphabetinnen, haben keinerlei Bewegungsfreiheit, und sie redet von Philosophie!

Diesen Frauen ist gewiß die 1936 in Cherchell geborene algerische Feministin Assia Djebar näher. Deren erster Roman ist bereits 1957 erschienen. La Soif, eine Auseinandersetzung mit den emotionalen und sexuellen Problemen der europäischen Algerierinnen. Neben ihrer literarischen Tätigkeit hat sie an der Universität in Algier und als Journalistin gearbeitet. „Die Befreiung der Frauen läßt noch auf sich warten“, steht im Reader Moderne Arabische Literatur zu Assia Djebar. „Diese Entwicklung artikuliert Assia Djebar in ihren späteren Werken schärfer.“ Harsch fällt Djebars Kritik des männlichen Chauvinismus aus. „Den Männern fehlt jegliche Selbstkritik. Sie kritisieren immer nur die äußeren Faktoren: Europa, den Kolonialismus. Noch immer sind die eigentlichen Machtmittel in Männerhänden. Und im Kopf der Frauen sind die Männer zu bedeutend, nehmen zuviel Platz ein. Die Frauen tragen auch einen inneren Schleier. Zwar ist die Situation heute etwas besser geworden, aber gut ist sie erst, wenn Frauen auch tatsächlich 50 Prozent der Macht in Händen halten.“

Emile Habibi, ein wahrer levantinischer Patriarch. Er fällt schon mal dem Übersetzer ins Wort und korrigiert ihn gleich selber: „Fatalismus? Defätismus!“ Und auch die Übervorsicht eines Schweizer Verlags kritisiert er mit deftigen Worten: „Dümmere Leute als diese habe ich nie erlebt. Behaupten da, mein Roman Pess-Optimist sei eine mögliche Beleidigung für Israel. Dabei ist das Buch bei meinen Cousins, den Juden, bereits veröffentlicht. Trotz Militärzensur! Und die BBC in London will einen Film darüber machen.“

„Welchen Adonis soll ich vorstellen“, fragt Michel Kilo, „den Denker? Den Philosophen? Den großen Essayisten? Oder den begnadeten Lyriker, den Erneuerer der Sprache?“ Und dann trägt Adonis, der 1930 als Ali Ahmad Said in Syrien geboren wurde, vor. Adonis knetet die Worte, haucht sie, läßt sie rollen und verebben. Eine Stimme, leicht, um sie mit der Feder zu kitzeln, dann fest, um mit der Faust draufzuklopfen. Der Zeigefinger der Rechten sticht Dreier-, Vierer- und Sechserrhythmen in die Luft. Der der Linken näht die Interpunktion. Und auch für den, der den Sinn der Worte nicht faßt, bleibt Adonis‘ Vortrag ein tiefes Erlebnis der archaischen Kraft menschlicher Stimme.

Im Verlauf der Vorbereitungen der „Tage moderner arabischer Literatur“ in Berlin bemerkte Claudio Lange, „nicht nur, daß arabische Literatur von angeblichen Freunden des jüdischen Volkes als antisemitische Anstrengung verdächtigt wurde; sondern auch, daß kein lebender deutscher Autor die moderne arabische Literatur bisher ernst genommen hat.“ Veranstaltungen dieser Art tragen dazu bei, Berührungsängste und Vorurteile abzubauen.

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