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„Amtseid vergessen?“

■ Coming-out, taz vom 2.12.88

Der Arbeits-und Sozialminister Dr. Norbert Blüm, bekannt als hervorragender Büttenredner, sagt ganz unverblümt den jungen Leuten den Kampf an, die beabsichtigen, ein medizinisches Hochschulstudium zu beginnen. Sollte der Minister seinen Amtseid vergessen haben (“...Gerechtigkeit gegen jedermann üben...“), wenn er den zukünftigen Medizin-AbsolventInnen den Berufsweg verbauen will? Übelzunehmen ist dem Minister, daß er die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht kennt. In seinem „Numerus Clausus„-Urteil (BVerfGE 33, 303) hatte der Erste Senat 1972 festgestellt, es ergäben sich grundlegende Ansprüche aus dem Gleichheitssatz (Art. 3 des Grundgesetzes), in der Verbindung mit Art. 12 (Berufsfreiheit) und dem Sozialstaatprinzip auf Zutritt zu den Hochschulen.

Der Staat habe Leistungen anzubieten, damit das Recht jedes hochschulreifen Staatsbürgers, „an der gebotenen Lebenschance prinzipiell gleichberechtigt beteiligt zu werden“, erfüllt werde. So weit das Bundesverfassungsgericht, dessen Entscheidungen die übrigen Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden binden. Der Sozialminister ist Mitarbeiter des Verfassungsorgans „Bundesregierung“. Der Bundeskanzler, der auch die Verfassungstreue seiner Minister im Auge behalten muß, sollte in dieser schwerwiegenden Mißachtung der Grundrechte durch ein Mitglied seines Kabinetts dem Bundespräsidenten vorschlagen, „Sozialminister“ Blüm zu entlassen, denn ein Ministeramt ist gewiß nicht der Ort, vom dem aus ein Kampf gegen grundrechtlich verbriefte Rechte geführt werden darf. Jörn Dor

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