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Seineldin, Ideologe der Rebellion

Die Thesen des argentinischen Offiziers sind die Bibel der aufständischen Militärs  ■ P O R T R A I T

Montevideo (taz) - In den Kreisen der aufständischen argentinischen Militärs zirkuliert seit Monaten ein Ideologie-Papier mit dem Titel Synthese der langfristigen Strategie der Subversion. Es stammt aus der Feder des aktiven Offiziers Mohamed Ali Seineldin. Der Oberst mit libyscher Abstammung gilt als Mann Menems, des peronistischen Präsidentschaftskandidaten. Er hatte in der vergangenen Woche seinen Posten als Militärattache der Botschaft in Panama ohne Erlaubnis verlassen und sich an die Spitze der rebellierenden Soldaten gestellt, die ihn als Chefideologen verehren.

Seine Ergüsse über die Subversion heißen in Buenos Aires „Bibel der Aufständischen“, in der alle Menschenrechtsverletzungen der Militärs als Rettung des Abendlandes gerechtfertigt werden. In Form einer Zeichnung sagt das Dokument, daß die Geschichte seit der Zeit Jesu Christi bis heute ein Kampf zwischen der Wahrheit oder dem Reich Gottes und dem Irrtum oder dem Reich des Bösen sei. Die Bewohner des ersten Reiches sind die Christen, die des zweiten die Subversiven.

Die Geschichte des Reichs des Bösen und der Subversion beinhalte fünf große Offensiven gegen das Reich Gottes: 1. die Verurteilung von Christus durch die Juden und den nachfolgenden Gottesmord im Jahre 1 nach Christus; 2. die protestantische Reform des Jahres 1517; 3. die französische Revolution von 17891 4. die russische Revolution von 1917; 5. die immer noch anhängige Offensive, die auf eine Weltrevolution abzielt, die Auslöschung Gottes und der Religion sowie auf die Versklavung der Völker unter einer Weltregierung, ausgeübt von der Internationalen des Finanzkapitals und der Internationalen des Proletariats.

Das Reich des Bösen setze sich zusammen aus „allem, was gegen die natürliche Ordnung“ verstoße: Marxismus, Sozialismus, Demokratie, Liberalismus, Atheismus, Freimaurertum, Rationalismus, aus dem katholischen Liberalismus, den Menschenrechten und so weiter.

Seineldin begann seine militärische Karriere 1962 als Ausbilder am Militär-Kolleg. Ein ehemaliger Schüler schildert ihn so: „Er predigte 18 Stunden am Tag. Er holte auch Priester dazu, die zu uns sprechen sollten, vor allem vor besonders gefährlichen Übungen.“

Subversion vermutete der Oberst allerorten, den argentinischen Verteidigungsminister Horacio Jaunarena warnte er: „Das nordamerikanische State Department ist von Kommunisten unterwandert“. Während des Malwinen-Krieges im Mai 1982 soll ihm ein Offizier vorgeschlagen haben, die Generäle zu ermorden, die auf die Inseln abkommandiert waren, um das Kommando selbst zu übernehmen. Seineldin lehnte das damals mit dem Argument ab, der Soldat sei zum Gehorsam verpflichtet.

Gaby Weber

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