: Halbsatzversammlungen aus Bremen
■ Der Bremer Verlag „Der Stint“ bringt sein 4. Heft heraus. Das Motto: Literatur aus Bremen mit Bremer AutorInnen oder: „Wir schreiben uns unsere Literatur selbst“
Vom endgültigen Zerfall der Literatur in zielgruppenorientierten, maßgeschneiderten Gesinnungskitsch konnte auch der kleine Bremer Selbstverlag „stint. Literatur aus Bremen“ profitieren: Weit entfernt davon, auf literarische Standards Rücksichten zu nehmen, versammelt sich in dreimonatlichem Rhythmus hier alles, was von etablierten und alternativen Verlagen zu Recht abgelehnt werden würde: Das Bremer Forum für den definitiven Zeitgeist hat nun zum vierten Mal Freizeitschreibern die Möglichkeit gegeben, Gedichte, Kurzgeschichten und kleine Essays zu veröffentlichen. Nach dem Motto wenn-es-keine-Literatur -mehr-gibt-schreiben-wir-selber-welche ist auf 158 Seiten so ziemlich alles versammelt, was man definitiv nicht lesen muß.
Von keiner Kritikfähigkeit gebeutelt, freuen sich die Herausgeber (Bernd Gosau, Peer Meter, Jan Osmers, Hans Peter Renz, Max Schmalz, Dieter Tönsmeier), die in jeder Ausgabe auch mit eigenen Beiträgen vertreten sind, über alles, was auch nur entfernt an Bremen erinnert, und
drucken es gern ab:
Wallgraben
Mein Freund, der Teichläufer,
surft übers Wasser
Stichlinge schneiden dort
silberne Streifen, rückenflossig
schon schnattert die
Entenflottille heran
(Bernd Jäger).
oder: Der Heilige Abend kam heran. Und er? Er stand mitten in der Neustadt (Hans Peter Renz).
Auf zu Versen gebrochenen Halbsatzversammlungen ist der größte Teil der Ohne-Fleiß-keinen-Preis-Möchtegern -Schriftsteller aboniert: Dieses Lied ist die Wahrheit das schwöre ich. Wenn Reisen reden rauher Tage Mühsal Oft durchlitten (Max Schmalz).
oder: Am nächsten Tag: Brötchen und Regen aus heiterem Himmel wäre jetzt genau das Richtige (Katja Heddinga).
oder: Der Wind weht, und die Straße ist leer. Die Straße ist leer und lang und dunkel. Die Nacht liegt schweigend vor dir, und du gehst allein in irgendeine Kneipe (Angelika Joswig).
Es gibt aber auch Ausnahmen in dieser Versammlung drittklassiger Autoren: Michael Augu
stins Koslowskis & Co, Rudolf Bauers Stadtbeschreibung und Sujata Bhatts Well, well, well. Michael Augustin, zum ersten Mal in „stint“ präsent, hat einige seiner bekanntgeliebten Koslowskis zum Abdruck freigegeben:
Achillesverse
Eine seiner Ehen scheiterte auf besonders tragische Weise: Immer wenn Koslowski sich seiner Frau einmal ausgesprochen zärtlich zugeneigt und beinahe nahe fühlte, verließ er das gemeinsame Bett, um in der Küche stundenlang Liebesgedichte zu verfassen. Gar nicht mal so schlechte übrigens
Sujata Bhatts „Well, Well, Well“ ist ein schönes Stück Lyrik, leider sehr schlecht vom Englischen ins Deutsche übersetzt. Das ist sehr schade. Rudolf Bauer verzichtet gottseidank auf gefühlsselige Ich-bin-ein-Bremer -Sicht und rechnet zynischwitzig mit dieser Stadt ab. Mit diesen drei Autoren könnte der „stint“ wirklich zu einer Bremer Literaturzeitschrift werden.
Regina Keichel
Der Stint Nr. 4, 12.80 Mark, in vielen Buchhandlungen.
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