: Er nimmt ein Messer und sticht sich auf
■ Interview mit Elke Lang über Pasolini und über Botho Strauß, den sie als nächsten inszenieren wird
taz: „Orgia“ ist eines der persönlisten Pasolini-Stücke.
Elke Lang: Es ist wie ein Testament, das er zehn Jahre vor seinem Tod geschrieben hat, ein sehr todessehnsüchtiges. Pasolini verfaßte es damals, obwohl er todsterbenskrank war. Er hatte einen Magendurchbruch und schrieb im Krankenhaus innerhalb von vier Wochen zum ersten und zum letzten Mal fürs Theater - mehrere Stücke und Entwürfe. Orgia ist das persönlichste davon.
Ist das Stück pornographisch?
Überhaupt nicht. Pasolini ist sehr prüde, sehr katholisch, trotz seiner Exzesse. Es ist ein implodierendes Stück, und würde man es mit Theateremotionen hochpumpen, wäre es unerträglich. Es ist vielmehr ein Diskurs über eine versinkende Welt, und genau deshalb mag ich das Stück so, weil Pasolini schon Mitte der 60er Jahre vorausschaut und unsere Zeit beschreibt, was damals versank und was dafür heute Realität geworden ist. Die Frau beschwört immer wieder diese versinkende Welt, und der Mann beschreibt den Vorgang durch seinen Lebensweg: daß er aus dem Dorf wegging, in die Stadt, in den Sumpf, in die schmutzige Liebe. Darum geht es viel mehr als um Sado-Masochismus.
Welche Welt geht verloren?
Die Welt, „wo ein Glühwürmchen über langgestreckte Gräben fliegt“. Oder: „Wenn die Mutter sagt, die Primeln blühen, dann blühen die Primeln.“ Eine Welt, die aus sich heraus autonom gelebt hat und nicht zerstört war.
Pornographie hat vor allem etwas mit den Machtverhältnissen zwischen Mann und Frau zu tun. Pasolini zeigt in Orgia aber, daß gerade die nicht so einfach und eindeutig zu fassen sind.
Er ist nicht banal, und gegenüber seinen Gedankengängen rutscht die Pornographie-Debatte im Moment in eine unglaubliche Banalität ab. Was da passiert, das zeigt mir die Erfahung der letzten Abende: Es gibt Frauen, so um die vierzig, die hassen das Stück, die werden verrückt, daß man als Frau solche Texte spricht. Es kommt ihnen so vor, als würden die letzten 25 Jahre und die Emanzipation der Frau geleugnet. Das stimmt nicht. Sie kommen einfach nicht damit zurecht, daß im Stück alles ambivalent ist. Wenn er versucht, sie zu demütigen, sagt die Frau zum Mann: „Du bist mein Werkzeug.“ Beide leugnen, daß einer nur das Opfer ist.
Was ist Pornographie überhaupt?
Pornographie ist für mich etwas sehr Obszönes, etwas Armes. Ich gehe häufig hier ins Bahnhofsviertel, in die Peep-Shows. Es ist so banal, es ist so arm, so unheimlich traurig. Aber Pasolini beschwört mit seinem Stück ja genau das Gegenteil, er beschwört nicht die Öffentlichkeit, nicht das nach draußen Tragen, nicht das dafür Bezahlen. Wir haben gerade auch deshalb den Zuschauerraum sehr klein gemacht. Unsere Inszenierung hat Scham. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dieses Stück öffentlich zu spielen, was bedeuten würde: in einem Guckkasten mit dreihundert Leuten, die da drinsitzen und denken, jetzt gebt es uns mal. Ich wollte dagegen bewußt diesen Effekt, daß der Zuschauer zuerst einmal in das Dunkel eintaucht, in diesen intimen Raum mit fünfzig bis sechzig Leuten. Dann wird langsam der Kopfraum von Pasolini enthüllt und der Zuschauer mit etwas ganz anderem konfrontiert, als er erwartet.
Pasolini nennt als Grund dafür, daß seine Welt verschwindet, den „Konsumismus“.
Ja, und Konsumismus ist ja vor allem, daß wir unsere Ausrichtung nach Konsumdiktaten nicht bemerken. Pasolini hat das alles vorausgeahnt, und Konsumismus, das ist sein absoluter Feind. Ich glaube, wenn Pasolini heute noch leben würde, brächte er sich um, wie der Mann in Orgia. Er könnte das körperlich nicht ertragen, was passiert. In Sieben Türen von Botho Strauß gibt es da keine Probleme mehr. In diesen Bagatellen, diesen zehn kleinen Stücken, haben die Figuren sich abgefunden. Sie sind Sprechblasen und Jargonträger. Alles ist durchsichtig, offen, obszön.
Warum inszenieren sie diese beiden Stücke zeitlich so eng?
Wir wollten das zusammen rausbringen, und wir werden nach der Premiere von Sieben Türen die beiden Stücke zusammen an einem Abend spielen, zuerst Sieben Türen, dann Orgia. Wir haben auch parallel geprobt, und ich habe durch den Kontrast viel davon verstanden, was Botho Strauß auch haßt. Der wehrt sich nur anders. Er ist viel distanzierter, er ist weniger leidenschaftlich, und er ist arroganter als Pasolini. Bei Pasolini hat man immer den Eindruck, er nimmt ein Messer und sticht sich auf, während der Strauß wahrscheinlich in seiner wunderschönen Berliner Wohnung sitzt und auf den Wittenbergplatz sieht, wo die Menschen für ihn wie Insekten herumlaufen. Und dann denkt er sich: So einer war ich auch mal. Es ist faszinierend, daß ein Mensch wie Botho Strauß, der 1943 geboren ist, mit dieser Kühle und dieser merkwürdigen selbstmitleidigen Trauer auf die Welt sieht, während Pasolini daran kaputtgegangen ist, wirklich daran gestorben ist.
Wegen dieser selbstmitleidigen Trauer wird Botho Strauß inzwischen von einem Teil der Kritik abgelehnt.
Vielleicht wollen wir wieder blutende Wunden sehen, daß jemand wirklich schreit, es wirklich meint. Der Strauß ist ja eigentlich ein Schönfärber. Aber diese Bagatellen sind zum Teil eben unheimlich witzig und sehr intelligent. Es ist nur so, daß Authentizität fehlt. Pasolini hatte noch was zu sagen, während Botho Strauß über alles mögliche redet. Es sind nur Anrisse, aber er hat ja recht. Was soll man heute noch schreiben.
Kaum zu glauben, daß es heute kein Fleisch und Blut mehr geben soll. Stiehlt sich Botho Strauß nicht doch zu leicht von der Bühne?
Er stiehlt sich ja auf die Bühne rauf. Besucher, das jetzt gleichzeitig mit Sieben Türen herauskam, ist ja ein ganz witziges Stück über unseren Beruf, über das Theater. In Sieben Türen zieht er alle durch den Kakao, mit dieser Geste: „Ich bin drüber“. Aber ich muß sagen, es ist sehr schwer, die Menschen heute nicht als Hüllen zu beschreiben.
Sie haben letzte Spielzeit Tschechows Möwe inszeniert. Botho Strauß hat sich intensiv mit Tschechow auseinandergesetzt. Die Zeit, die Tschechow beschreibt, hat sogar Parallelen zu unserer. Wo ist der Unterschied?
Die Strauß-Figuren haben keine Melancholie, und sie leisten wenig Trauerarbeit. Da ist der große Unterschied. In den Hypochondern von Strauß gab es vielleicht noch so etwas, aber das ist ja nun schon sechzehn Jahre her. In der Trilogie des Wiedersehens gibt es noch eine Geschichte, es gibt noch ein Leid. Susannes Leid aber wird von allen anderen Figuren verlacht, denunziert. Aber es ist schon noch mehr Fleisch als jetzt zum Beispiel in Sieben Türen.
Wird da nicht nur noch denunziert?
Kommt drauf an, wie man das macht. Es stimmt: Man müßte den Figuren in den Bagatellen Leben einhauchen. Keine Psychologie, das geht nicht mit dem Stück, aber so, daß man Menschen erkennt und die Normierung unserer Welt zeigt. Eigentlich sollten alle Besucher Orgia und Sieben Türen sehen, aber leider gehen in Orgia wesentlich weniger Leute rein als in Sieben Türen. Das ist schade, denn insgesamt könnte das Projekt „20 Jahre danach“ heißen. Was ist heute, nach dieser furchtbaren Trauerarbeit, die Pasolini geleistet hat? Die Zuschauer bräuchten eigentlich den Kontrast des Nacht- und des Tagstückes.
Das Gespräch führte Jürgen Berger
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