: Lesbenliteratur in der Diskussion
■ Erstmalig: Bremer Lesbenliteraturmonat / In Holland, England und Nordamerika ist lesbische Literatur ein anerkanntes Genre / In Deutschland vom Faschismus zerschlagen und nach dem Krieg kaum neu aufgelegt
Verlegerinnen lesbischer Bücher, lesbische Autorinnen, Buchhändlerinnen und die Herausgeberin von 'Virginia‘, der einzigen bundesdeutschen Zeitschrift für Frauenbuchkritik, fand im Rahmen des Bremer Lesbenliteraturmonats im November statt, den der Hagazussa-Buchladen inszenierte, um „Lesbenliteratur öffentlich zu machen und sie durch Austausch und Kritik zu beleben“. Einen Monat lang gab es Lesungen, Vorträge, Diareihen und Videovorführungen zu Themen wie „Lesben in der Weimarer Republik“, die Geschichte der deutschsprachigen Lesbenliteratur der letzten Jahre und Lesben und Aids.
Zu Beginn der Diskussion wies Chris Paul (Autorin und Mitbegründerin des Ätna-Verlages) darauf hin, daß Lesbenliteratur nicht im geschichtslosen Raum existiere. Es gebe keine historische Kontinuität, an die deutschsprachige lesbisch-feministische Autorinnen anknüpfen könnten. „Die blühende homosexuelle Kultur der zwanziger Jahre ist durch den Faschismus zerschlagen worden. Viele Lesben - und darunter waren sicherlich mehr als nur eine lesbische Schriftstellerin - sind in den Konzentrationslagern ermordet worden. Ihre Bücher wurden verbrannt und auch in der Nachkriegszeit kaum wieder aufgelegt. Das Vergessen dauert an. So ist auch zu erklären, warum ich unter holländischen, englischen und nordamerikanischen Lesben ein immenses Selbstbewußtsein finde, das deutschsprachigen Lesben fehlt.“ Chris Paul appelierte an ihre Kolleginnen und die Besucherinnen, sich mit der traumatischen Faschismuserfahrung auseinanderzusetzen. Nur so könne ein unterschwelliges Bewußtsein ständiger Bedrohung, das sie bis heute fortgeführt sieht, aufgefangen werden.
In diesem historischen Kontext ist zu begreifen, warum es in der Bundesrepublik bis heute nur wenige Publikationen gibt, die lesbische Lebensrealität offen behandeln und von Autorinnen verfaßt sind, die ihre lesbische Identität nicht verschweigen. Im Unterschied dazu sind lesbische Autorinnen in Holland, England, Kanada und den USA mit dem Aufkommen der Neuen Frauenbewegung sehr viel mehr dazu übergegangen, sich als Lesben zu erkennen zu geben. Lesbische Literatur konnte in der Folge zu einem anerkannten Genre avancieren, das nicht nur in Frauenbuchläden gleich mehrere Regale füllt.
Susanne Amrain gründete 1984 den Daphne-Verlag, um zumindest einige dieser Bücher auch dem deutschsprachigen Publikum zugänglich zu machen. Ihren Schwerpunkt legt sie dabei auf Unterhaltungsliteratur. Auf eine Bemerkung aus dem Publikum, die von ihr veröffentlichte Literatur sei trivial, erklärte sie schmunzelnd: „Meine Bücher sind von Lesben geschrieben und von Lesben handelnde Bücher. Deswegen können sie schon gar nicht trivial sein. Trivial ist das tausendmal Wiedergekaute - stilistisch und inhaltlich -, und das ist immer heterosexuell. Das wissen wir.“
Bei der Diskussion zur Lesbenliteraturkritik meinten viele Besucherinnen, die Lesbenliteratur sei häufig überfrachtet. Themen würden angerissen, aber nicht aufgearbeitet. Viele Bücher seien oberflächlich. Dem wurde vom Podium entgegengehalten, daß dies Verallgemeinerungen seien, die sicherlich auf einige Lesbenbücher, mit Bestimmtheit aber nicht auf alle zuträfen. Die Westberliner Autorin Traude Bührmann: „Autorinnen wie zum Beispiel Audre Lorde, Adrienne Rich und Monique Witting sind dem Namen nach zwar vielen bekannt. Sie scheinen aber kaum gelesen zu werden. Zumindest werden sie hier so gut wie nicht verkauft. Dabei handelt es sich bei allen um exzellente Schriftstellerinnen, die in ihren Ländern sehr bekannt sind.“
Im Verlauf der Diskussion wurde deutlich, daß es eine ausgearbeitete Lesbenliteraturkritik nicht gibt, auf die zurückgegriffen werden könnte. Die Kriterien der patriarchal geprägten traditionellen Literaturkritik aber können dem Genre der Lesbenliteratur kaum gerecht werden, und die feministische Literaturkritik steckt erst in den Anfängen.
Um Kriterien für eine Lesbenliteraturkritik entwickeln zu können, braucht es umfangreiches Material, das ausgewertet werden kann. Das aber gibt es - zumindest im deutschsprachigen Raum - noch lange nicht. „Wir sollten so viele Lesbenbücher haben, daß nicht jedes das absolute Buch für jede Frau sein muß“, erklärte Hinrike Gronewold, die gemeinsam mit Anke Schäfer vom Frauenliteraturvertrieb 'Virginia‘ herausgibt.
Mit 'Virginia‘ wurde ein wichtiges Medium geschaffen, das auch die Bücher kleinerer Frauen- und Lesbenverlage einem größeren Publikum bekannt macht. 'Virginia‘ erscheint mit einer Auflage von 60.000 Exemplaren und wird über Frauenbuchläden und fortschrittliche Buchhandlungen in der BRD, Österreich und der Schweiz vertrieben.
Diese Zeitschrift und auch die Podiumsdiskussion im Rahmen des Bremer Lesbenliteraturmonats sind entscheidende Schritte in Richtung auf ein Netzwerk, das lesbische (und/oder an lesbisch-feministischen Fragen interessierte) Verlegerinnen, Autorinnen, Kritikerinnen, Buchhändlerinnen und nicht zuletzt Leserinnen miteinander verbindet. Nur so kann eine Literatur entstehen, die das benennt, was Frauen seit langem zu begreifen verboten wurde. „Du kannst nicht schreiben 'Frauen unter sich‘, ohne gegen die Schrift auf den patriarchalen Mauern zu prallen, wo alle Gesetze eingemeißelt sind, die uns von uns selbst trennen, die uns von anderen isolieren.“ (Nicole Brossard, lesbisch -feministische Theoretikerin aus Montreal, Quebec, Kanada).
Lea Morrien
Zum Lesbenliteraturmonat in Bremen wird demnächst eine Dokumentation erscheinen, die über den Hagazussa -Frauenbuchladen (Friesenstraße 12, 2800 Bremen) angefordert werden kann.
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