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GATT: Keine Runde für Entwicklungsländer

Die Expansion des Wirtschaftssektors „Dienstleistungen“ stagniert / Die Industriestaaten machen dafür „Handelsbeschränkungen der Entwicklungsländer“ verantwortlich / Doch der Anteil der Entwicklungsländer am Welthandel sinkt kontinuierlich  ■  Von Andreas Zumach

Berlin (taz) - Pünktlich vor ihrer Abreise nach Montreal erhielten die Wirtschaftsminister der GATT-Mitgliedsstaaten am letzten Freitag Post von British Petrol (BP). In dem Schreiben, das auch an die Brüsseler EG-Kommission ging, beklagt der Ölmulti Behinderungen seiner weltweiten Geschäfte durch „restriktive Bestimmungen einiger Länder im Bereich von Versicherungen, Telekommunikation und Bankdienstleistungen“. BP fordert die GATT-Runde auf, hier Abhilfe zu schaffen. Diese bislang einmalige direkte Intervention eines Privatkonzerns ist bezeichnend für eine immer schärfer werdende Auseinandersetzung zwischen Industrie-und „Entwicklungs„ländern über den Handel mit Dienstleistungen. Zwischen 40 und 70 Prozent des Bruttosozialprodukts der Industriestaaten werden heute im Dienstleistungssektor erwirtschaftet. In Banken, Versicherungen oder Kommunikationsunternehmen, Tourismus, Gastronomie, Autoverleihfirmen und immer neuen Service -Unternehmen arbeiten heute mehr Menschen als in Industrie, Handwerk oder Landwirtschaft.

Von den 17 Millionen neuen Arbeitsplätzen, deren Schaffung die Reagan-Administration für sich reklamiert, liegen rund 90 Prozent im Dienstleistungsbereich. Weltweit ist dieser Wirtschaftssektor zur Zeit rund 1,5 Billionen US-Dollar schwer. Doch die Expansion der Branche stößt auf Schwierigkeiten. Der internationale Handel mit Dienstleistungen stagniert bei knapp 20 Prozent des gesamten Welthandels. Zwischen 1975 und 1985 war er sogar rückläufig im Vergleich zum grenzüberschreitenden Warenverkehr mit Industrie- und Agrarprodukten. Die Industriestaaten machen Handelsbeschränkungen der „Entwicklungs„länder für diese Situation verantwortlich. Auf Druck vor allem der multinationalen Dienstleistungskonzerne wie beispielsweise der American Express Company fordern sie seit langem eine weltweite Liberalisierung im Rahmen von GATT.

Seit Beginn der Uruguay-Runde 1986 steht diese Frage auf der Tagesordnung der Genfer GATT-Gespräche. Die Produktion von Dienstleistungen - so das Argument der Industriestaaten

-werde auch für die „Entwicklungs„länder immer wichtiger. Deshalb müßten diese daran interessiert sein, durch Öffnung ihrer Grenzen für ausländische Anbieter für größere Konkurrenz und damit geringere Produktionskosten, höhere Effektivität und niedrigere Preise zu sorgen. Die meisten Entwicklungsländer weisen die Gleichbehandlung von Waren und Dienstleistungen und daraus folgende Liberalisierungsforderungen zurück. Viele Dienstleistungen wie etwa im Gesundheits- und Sozialbereich ließen sich nicht nach betriebswirtschaftlichen Kriterien messen. Durch ausländische Konkurrenz drohe häufig eine Qualitätsverschlechterung im Dienstleistungssektor. Schließlich befürchten sie eine Übertragung der bereits bestehenden Monopol- und Kartellstrukturen im internationalen Dienstleistungssektor auf ihre Länder. Doch die Front der „Entwicklungs„länder bröckelt. Sogenannte „Schwellenländer“ wie Südkorea sind zwecks Förderung ihres weiteren Industrialisierungsprozesses zumindest an einer beschränkten Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen interessiert. Andere Länder der Südhalbkugel, die in ihrem Kampf gegen den Agrarprotektionismus derzeit auf die Unterstützung der USA angewiesen sind, müssen an diesen Bündnispartner dafür Zugeständnisse im Dienstleistungssektor machen.

Führend, aber auch zunehmend alleingelassen im Kampf gegen die Eroberung der „Dritten Welt“ mit Dienstleistungen, sind Indien und Brasilien. Bei der laufenden Uruguay-Runde bestehen sie darauf, daß sich die GATT-Mitgliedsstaaten vor neuen Vereinbarungen erst einmal auf eine verbindliche Definition des Begriffes „Dienstleistung“ einigen.

Nicht nur im Streit um die Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen stehen die „Entwicklungs„länder mit dem Rücken zur Wand. Nie zuvor waren sie derart in der Defensive wie bei der laufenden achten GATT-Verhandlungsrunde. Mit einigen wenigen Ausnahmen haben nicht sie von den sieben vorherigen Runden, bei denen es um den Abbau von Handelshemmnissen ging, profitiert. Tatsächlich dienten diese Verhandlungen unter dem Etikett „Liberalisierung“ der Anpassung des Welthandels an die Bedürfnisse transnationaler Konzerne: Zugang zu ausländischen Märkten und Erleichterung des Handels untereinander sowie zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften. Die Multis wickeln heute bereits den Großteil des Welthandels untereinander ab. Der Anteil der „Entwicklungs„länder am Welthandel sinkt kontinuierlich. Ihre durchschnittlichen Wachstumsraten von jährlich über acht Prozent in den sechziger Jahren sanken auf drei Prozent in den Jahren 1980 bis 1987. Für ihre Rohstoffexporte erhalten sie immer weniger Gegenwert in Form von Industrieprodukten. Die Zölle, die Industrieländer für Produkte aus der „Dritten Welt“ erheben, sind zumeist höher als die Zölle der „Entwicklungs„länder auf Industriegüter. Nach Schätzung der UNO-Organisation für Handel und Entwicklung (UNCTAD) haben nicht zollgebundene Handelsbeschränkungen der Industrieländer gegen die Entwicklungsländer wie Mengenbeschränkungen, Qualitätsnormen et cetera von 1981 bis 1986 um 16 Prozent zugenommen. Die Regelung dieser existentiellen Fragen haben die westlichen Industriestaaten in den letzten zehn Jahren erfolgreich aus dem Forum der UNCTAD in den GATT-Zusammenhang verlagert. Innerhalb von GATT sind die „Entwicklungs„länder sowohl hinsichtlich ihrer Organisationsstruktur wie ihrer Verhandlungsmacht in einer sehr schwachen Position. Sie haben den Mythos akzeptiert, wonach GATT ein Vertragssystem zwischen einzelnen Staaten ist. Kollektive Verhandlungspositionen, wie sie in anderen UNO-Foren durch die blockfreie „Gruppe der 77“ vertreten werden, existieren bei GATT nicht.

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