: BÜRGERMEISTERLYRIK, BANALFIXIERT
■ Die Bekenntnisse der Gebrüder Kriedner
Für alle Neuköllner CDU-Wähler ist gerade noch rechtzeitig das passende Weihnachtsgeschenk erschienen: Bezirksbürgermeister Arnulf Kriedner hat zusammen mit seinem Bruder Gerald das Buch Uferlandschaften der Öffentlichkeit vorgelegt. Am letzten Samstag vormittag fand die feierliche Vernissage am Rande der Buchabteilung des Neuköllner Hertie-Kaufhauses statt. 20 Leute umringen die Gebrüder Kriedner, darunter Spitzen aus Neuköllner Politik und Wirtschaft, Fans, Fotografen, ein Fernsehteam natürlich und etwa sieben Leibwächter in strammen C&A-Anzügen. Verlegen schiebt sich eine Kaufhausangestellte mit einem Tablett durch die Ansammlung und bietet Sekt und O-Saft an, während ganz locker-entspannt die üblichen Ansprachen gehalten werden. „Wir freuen uns...“, sagt Hertie. „Mein liebes Neukölln ... hab mich breitschlagen lassen ... lyrische Ausreißversuche...“, spricht der Bezirksbürgermeister. „Ich lebe. Ich male, weil ich fühle“, lautet das Bekenntnis seines Bruders. Nebenan tost unvermindert das Weihnachtsgeschäft weiter, Mütter mit quäkenden Kindern hasten vorüber, Rentner stöckeln vorbei, die Kassen rattern, eine rauchige Lautsprecherstimme wiederholt unbeirrt: „Die Drei bitte, die Drei an die Sieben.“ Der Neuköllner Umgang mit Kunst und Kultur scheint noch ausbaufähig zu sein.
Diesmal jedoch hat der ehemalige taz-Schreiber Kriedner wirklich voll zugeschlagen. Zu Aquarellen seines Bruders hat er stimmungsvolle vierzeilige Gedichte verfaßt und erlaubt uns einen Einblick in seelische Regionen, die bei unseren Politikern nur zu oft verborgen bleiben. Nicht Neukölln brachte jedoch seine dichterische Saite zum Erklingen, sondern die Landschaft der Rhön inspirierte ihn zu melancholischen Impressionen wie dieser beispielsweise: „Wo Wege sich entzwei'n / Bilden sich Inseln. / Wo Flüsse auseinanderfließen. / Stehst du als Insel. Allein.“ Durchgängiges Thema der Kriednerischen Verse ist eine traurige Schlappheit und gähnende Einsamkeit, die im Vokabular der Kitschnaturbilder ihren verschwommenen Ausdruck findet: Licht Mondschein Dunkel Moor Sehnsucht Bach Zeit Buch Sonne Schatten Binsengeflecht Traum Lufthauch. Nur selten ein Aufschrei wie hier: „Funken des Himmels stieben: / Vergeltung.“ Und zagend nur der Hoffnungsschimmer: „Noch ist Nacht. / Aber der Morgen steigt. / Dämmerung steht am Horizont / Wie ein Ausrufezeichen.“ Wie ein Ausrufezeichen steht auch das nächste Gedicht, das vorsichtig sein derzeitiges politisches Programm umreißt: „Fragen nach morgen, / Ohne Antwort. / We- ge nach vorne, / Ohne Ziel.“ Der künstlerische Stellenwert seines Bruders, dessen Aquarelle bestimmt jeden fortgeschrittenen Volkshochschul -Malkurs zur Raserei bringen würden, ist an anderer Stelle gewürdigt worden: „Als vielseitigst interessierter Mensch partizipiert G.Kriedner intensiv. Ob er als Kunsterzieher, als Pädagoge an den häuenden Existenzproblemen der Pubertierenden teilnimmt, ob er sich als Reisender in die pulsierenden Zentren der Moderne begibt oder sich als Wanderer der archaischen Einsamkeit der Rhön aussetzt, ob er als Miniaturlandschaftsgärtner und Bonsaizüchter den Wachstumsbedingungen der Organismen nachspürt oder aber mit eigener Körperkraft Steine für seine festungshafte Behausung türmt...“, immer wird er eine „sozio-kulturelle Regierungsschulrätin“ finden, die vor seinem pseudograuen Haar, seinem Walroß-Schnauzer und der Halbglas-Brille auf der Säufernase derartig den Verstand verliert. Und so, von allen guten Geistern verlassen, hockt diese Mischpoke in ihren Landhäusern unten in der Rhön, sabbelt sich mit ihren popeligen Existenzproblemen voll und besitzt dann noch die Rücksichtslosigkeit, ihre Ergüsse zu veröffentlichen. Egal wärs ja, wenn diese Hobbymenschlichkeit nicht von einem zahnharten Politalltag abgeknapst wäre, als fände der Politiker plötzlich in seinem Inneren die bequeme Einsicht, er sei auch ein Mensch. Arnulf Kriedner steht damit nicht allein. Uwe Barschel hat Lauenburgische Streiflichter verfaßt, Rainer Barzel hat Romane geschrieben. Zu solchen Banal-Geschichten jedoch hat sich bisher noch kein Politiker von Rang aufraffen können.
Nichts für ungut, Arnulf; wir haben alle unsere Grenzen. Auge um Auge übrigens, denn ich auch schreibe in meiner Freizeit, unter uns Pastorentöchtern, gern mal ein Gedicht. Drum will ich auch nicht mehr das Rampenlicht der Öffentlichkeit scheuen und ebenfalls meine Hosen runterlassen, mit einem melancholischen Liebeskummergedicht:
Dein Haar ist grau,
Dein Kuß schmeckt schal.
Du alte Borstensau
Bist mir egal.
Olga O'Groschen
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