Fidels Castroika braucht kein Vorbild

Gorbatschows Kubareise wurde vertagt / Der Lehrmeister in Sachen Umbau wäre in Havanna auf keine wißbegierigen Schüler getroffenß: „Reformen, die kapitalistischen Einflüssen unterliegen, lehnen wir ab“, meint Castro / Doch trotz vorsichtiger „Rektifikation“ läßt Qualitätssteigerung der Produktion auf sich warten  ■  Aus Havanna Jörg Hafkemeyer

Der stellvertretende Direktor der Zuckerfabrik in Cienfuegos, Gilberto Perez Valero, blickt ein bißchen betreten drein, als er die Frage beantworten soll, was denn in seiner Fabrik unbedingt verbessert werden müsse. Seit Fidel Castro auf dem Parteitag der kubanischen Kommunisten im Dezember 1986 den Prozeß der „Rektifikation“, der Verbesserung und Berichtigung, eingeleitet hat, vergeht kaum ein Tag, an dem die Parteizeitung 'Granma‘ nicht über irgendwelche Rektifikationen berichtet. Gilberto Perez Valero zögert noch immer und weiß so recht keine Antwort. Eigentlich sei man sehr produktiv und effizient. Der wichtigste Punkt sei die Arbeitsdisziplin. Da könne man wahrscheinlich noch etwas tun. Fidel Castro kann da natürlich sehr viel deutlicher sein: „Es darf kein Centavo und nicht ein Gramm Material verschwendet werden.“ Von niemandem ... Im Zuckerkombinat „14.Juli“ ist 1987 der Plan erfüllt worden und 1988 werde man ihn auch sicher schaffen, sagt der stellvertretende Direktor. Klar, fügt er hinzu, Schwierigkeiten gäbe es immer, aber die Arbeiter müßten eben mehr ran. „Die Qualität muß gesteigert werden“. Trotz einer ziemlich veralteten technischen Einrichtung.

Aber die hat die Parteizeitung von Cienfuegos, sie heißt '5.September‘, auch, weshalb sie pro Tag nur eine Auflage von 20.000 Exemplaren herausbringen kann. Beim Mittagessen meint der Zeitungsdirektor Franzisco Valoes Petiton, Perestroika und Glasnost seien sicher in der Sowjetunion notwendig und wahrscheinlich auch richtig, nur könne man das nicht eben nahtlos auf Kuba übertragen. Erstens findet er, seien hier die Probleme ganz andere, und zweitens habe sich Kuba auch anders als die UdSSR entwickelt. Beispielsweise habe es bei uns keinen Stalinismus gegeben. Beispielsweise ist die Sowjetunion auch nicht mehr als 25 Jahre von den USA im wahrsten Sinne des Wortes blockiert worden.“ Und schließlich sei Kuba noch immer in fast jeder Hinsicht ein unterentwickeltes Land, in dem seit dem militärischen Sieg der Revolution 1959 fast alles neu aufgebaut werden mußte. Direktor Valdes Petiton verneint nicht, daß die karibische Inselrepublik in einer wirtschaftlichen Krise stecke, wobei nach den Worten von Fidel Castro die beiden schwersten Jahre noch bevorstehen.

Castro hat im Sommer dieses Jahres allen jenen, die mehr oder weniger heimlich auf eine kubanische Form von Glasnost und Perestroika hofften, eine deutliche Absage erteilt: Kuba werde sozialistisch bleiben, im marxistisch-leninistischen Sinn. Reformen. die kapitalistischen Einflüssen unterliegen, lehnen die kubanischen Kommunisten nach den Worten des bei der überwiegenden Mehrheit der Kubaner nach wie vor beliebten Commandanten Castro ab. Kuba liege nicht am Schwarzen Meer, sondern vor der Küste Floridas und schon diese geopolitische Lage gestatte es den Kubanern nicht, die gleichen Wege wie die UdSSR zu gehen.

Moskau ist weit

Davon hätte sich Michail Gorbatschow vor Ort überzeugen können, wenn er nicht heute zu den Erdbebenopfern nach Armenien gereist wäre. Die Kubaner haben sich intensiv, wenn auch jetzt umsonst auf diesen für sie wichtigen Besuch vorbereitet. Mit seiner Distanz zur Perestroika wähnt sich Fidel Castro in sicheren Gewässern: Will Michail Gorbatschow Glasnost und Perestroika nicht zu einer Breschnew-Doktrin machen, muß er jeden sozialistischen Staat seinen eigenen Weg gehen lassen. Doch haben die Kubaner mit großem Interesse vernommen, welch deutliche Worte in dieser Hinsicht Gorbatschow an Nicolae Ceausescu richtete, der nach in Havanna bekannt gewordenen Informationen während seines kürzlichen Moskau-Aufenthalts von Gorbatschow regelrecht zurechtgestaucht worden sein soll.

Für Rosa Benavides Aparicio, Mitglied des Exekutiv-Komitees der Provinzregierung von Cienfuegos, sind Glasnost und Perestroika kein Thema. Die 40jährige sieht Kubas Entwicklung auf dem richtigen Weg und die eigentliche Schwierigkeit darin, die Qualität der Produktion zu steigern. Wahrscheinlich ist die Funktionärin ein Beispiel für das Heer von tausend mittleren Funktionären, die offenbar ausnahmslos davon überzeugt sind, daß in der Rektifikation der Schlüssel für jene noch unbekannte Tür zu sehen ist, die - erst einmal geöffnet - den Weg aus der Krise weist. Einer Krise, die nicht erst 1986 begonnen hat und die keineswegs nur konjunkturell, sondern in einem sehr starken Maß strukturell bestimmt ist.

Die Jugend fühlt

sich eingesperrt

Die kubanischen Funktionäre, allen voran der stets schneller als der Apparat denkende und sprechende Fidel Castro, haben zweifellos recht, wenn sie immer wieder darauf hinweisen, daß der Durchschnittskubaner auf einem höheren Niveau lebt als die meisten Menschen in den übrigen lateinamerikanischen und karibischen Staaten. Nur handelt es sich dabei in Kuba um eine Verwaltung des Mangels auf höherem Niveau. Genau das beklagt die Jugend, wenn sie sagt, daß es doch nicht einzusehen ist, daß sie Kosmetika und Jeans nicht kaufen können, obwohl sie in den für Westtouristen vorbestimmten Intourläden doch zu haben seien.

Die Unzufriedenheit in der kubanischen Jugend breitet sich aus. Die Nachfrage nach US-Dollars auf dem Schwarzmarkt ist ein Hinweis darauf. Hinzu kommt, daß für die geltenden Funktionäre, die vor 1959 mit Castro gekämpft haben oder der alten Kommunistischen Partei angehörten, Ende der achtziger Jahre die Lage deutlich besser ist als Ende der fünfziger Jahre. Nur stellt sich das für einen großen Teil der Kubaner (die Mehrzahl der zehn Millionen ist unter 30 Jahre alt) ganz anders dar. Nicht nur, daß sie die Zeit vor der Revolution nicht erlebt haben, sie haben auch keine anderen Vergleichsmöglichkeiten, beispielsweise mit den Verhältnissen in der Dominikanischen Republik, Jamaika oder Haiti. Die kennen sie nur vom Hörensagen. Die Auslandsberichterstattung in den Medien ist kläglich, und reisen dürfen sie nicht. Devisen sind knapp. Wollten Kubaner reisen, müßten sie Devisen mit ins Ausland nehmen, was sich aus wirtschaftlichen Gründen verbietet. Könnten Kubaner aber reisen, als Touristen beispielsweise nach Lateinamerika oder in die Karibik oder in die von ihnen so gehaßt-geliebten Vereinigten Staaten von Amerika, würden sie voraussichtlich Erlebnisse und Erfahrungen sammeln, die ihren häufiger geäußerten Wunsch, aus Kuba wegzugehen, erheblich dämpfen würde. Denn Arbeitslosigkeit oder Inflation, wie in Mexiko oder in Argentinien, gibt es eben auf Kuba nicht.

Fidel Castro, der graubärtige Guerillero, seinerseits glaubt, daß die kubanische Jugend weniger an den Konsum als an die Arbeit denke, wie er es einmal in einem Gespräch mit schwedischen Journalisten formulierte. Also: Nur keine radikalen Kurswechsel. Und Gorbatschow sei sicher ein ganz brillanter und besonnender Mann: „Wir verstehen genau die Apsekte von Glasnost und Perestroika, aber wir werden sie nicht übernehmen, auch wenn wir beide gegen die Korruption und die Privilegien einiger weniger kämpfen.“