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„Leute, die nur Abi wollen, brauchen wir nicht“

■ SchülerInnen des selbstverwalteten „Instituts für Erwachsenenbildung“ (Ife) geben Auskunft über Lust und Frust des Lernens ohne Zwang und „Fünfen“ / 160 Mark Schulgeld vom Bafög - „Die finanziellen Verhältnisse sind brutal“

taz: Ein paar Stichworte zu „Ife“ - Wer seid Ihr?

Martha, Ife-Lehrerin: Das Institut für Erwachsenenbildung (Ife) ist eine Schule des 2. Bildungsweges; wir bereiten auf eine extexterne Abiturprüfung vor. Eigentlich gibt es uns seit 1980, aber anerkannt und Bafög-berechtigt sind wir erst seit 1986. Wir arbeiten seit 86 als Schule in Huchting, haben rund 250 Schülerinnen und Schüler in 10 Klassen, und rund 30 Lehrer und Lehrerinnen.

Was ist Besonderes an Euch?

Martha: Daß wir eine selbstverwaltete Schule sind: Wir haben keinen Chef, sondern Ausschüsse, da sitzen LehrerInnen und SchülerInnen drin...

paritätisch?

Martha: Nee. Wie sich das ergibt.

Wer kann bei Euch Abi machen?

Martha: Bei uns können SchülerInnen anfangen, die über 19 sind, Realschulabschluß haben und in den letzen beiden Jahren keine Ausbildung abgebrochen haben - auch, wenn sie keine Berufsausbildung haben, was bei der staatlichen Erwachsenenschule nicht geht. Wir geben auch grundsätzlich keine Noten, weil wir angstfrei lernen wollen. Wir sind eine Tagesschule. Die SchülerInnen bekommen elternunabhängiges Bafög und müssen davon 160 Mark Schulgeld bezahlen. Davon bezahlen wir die LehrerInnen und das Gebäude, Lehrmittel alles. Wir zahlen rund 6.000 Mark Miete!

Heiner, Ife-Schüler: Die japanische Schule zahlt eine symbolische Mark...

Wie sieht der Unterricht aus?

Werner, Ife-Schüler: Wir gestalten den Unterricht selbständig und möglichst fächerübergreifend - zum Beispiel: in Geschichte spanischen Bürgerkrieg, in Politik Anarchismus, in Deutsch Brechts 'die Gewehre der Frau Carrar‘, in Kunst Geschichte der spanischen Malerei... Oder: Wir haben eine Frauenklasse, die als Fauen gemeinsam arbeiten wollen.

Also es gibt Jahrgangsklassen und Lehrpläne?

Heiner: Ja, drei Jahre, wir richten uns nach den Lehrplänen der Sek.II.

Naturwissenschaften kann man sicher auch historisch -gesellschaftlich sehen, aber man muß es nachher auch rechnen können...

Werner: Zur Bevölkerungspolitik

arbeiten wir zu Genetik oder zu Statistik - aber das sind eher Ausnahmen.

Heiner: Wir müssen auch ganz normal Vokabeln lernen und so wir als Projektklasse machen zwei Stunden mit und dann zwei ohne Lehrer. Ich lerne am meisten, wenn ich selbst erklären kann. Das läuft sehr gut.

Also keine Null-Bock-Schule - pauken muß auch sein?

Martha: Wir bestehen drauf, daß alle regelmäßig kommen, sonst ist das eine Zumutung für die anderen. Ich bin Lehrerin, aber dieser Druck kommt auch von den Schülern.

Was sind die größten Stärken eures Laden, und was sind eure größten Schwächen und Probleme?

Heiner: Am Anfang war ich total euphorisch, wir haben ungeheuer viel reingesteckt. Das hat sich

auch teilweise geändert. Ein großes Problem ist: In der Selbstverwaltung muß viel geredet werden. Da laufen auch Machtkämpfe ab. Aber andersrum kann ich eben meine Ideen reinbringen und sagen das möchte ich, und das nicht.

Jetzt gibt es ja die Erwachsenneschule: auch Tagesschule, auch dreijährig bis zum Abitur. Also vergleichbar, nur völlig anders organisiert. Laufen Euch jetzt die SchülerInnen weg?

Werner: Franke sagt ja klar: Jetzt gibt es eine öffentliche Tagesschule, da seid ihr selber schuld, wenn ihr 160 Mark Schulgeld bezahlt. Unser Modell stößt an Grenzen. Einmal individuell: 670 Mark Bafög minus 160 Mark Schulgeld minus Miete - davon kann man nicht leben, und alle arbeiten zusätzlich. Und 160 Mark Schulgeld ist auch zu wenig für

die Schule, die LehrerInnenho norare sind sehr niedrig, und wir müssen unsere Lehrmittel selbst bezahlen... Das möchten wir verändern, deshalb haben wir auch Franke in der taz besucht. Die Stadt Bremen kann uns das Gebäude zum Beispiel umsonst überlassen. Eine Möglichkeit ist auch, das Schulgeld über die Sozialhilfe zu finnzieren.

Rechne das mal vor.

Werner: Wenn es die Schule Ife nicht gäbe, wäre ein großer Anteil der SchülerInnen und auch der LehrerInnen arbeitslos und würde sowieso von Sozialhilfe leben. Das käme für Brenmen aber wesentlich teurer!

Heiner: Ich möchte nicht zu der andern Schule gehen, da bezahl ich lieber 160 Mark. Ich will so nicht arbeiten, wenn alles vorgegeben ist und Notendruck herrscht. Wir haben viele Schüler aus Süd

deutschland, die nur für das Ife-Modell nach Bremen kommen. Wir sind in Westdeutschland konkurrenzlos.

Also Ihr habt nicht das Problem, daß euch die SchülerInnen weglaufen, weil sie woanders auch Abi machen können und 160 Mark mehr haben?

Martha: Überhaupt nicht. Einzelne sicher - die finanziellen Verhältnisse sind ja auch brutal - aber das ist kein Problem.

Heiner: Die Schule lebt vom Engagement, von Auseinandersetzung. Leute, die nur Abi wollen, brauchen wir eigentlich nicht.

Martha: Die Ife-SchülerInnenn haben jeden Tag 6 Stunden Unterricht, dann Schularbeiten, dann einen Job fürs Geld, dann noch Selbstverwaltung - da gehört eine wahnsinnige Disziplin dazu, weil nicht der Lehrer da ist, der die 'ne Fünf gibt oder dich anschreit. Ich kann natürlich auch schreien - aber das hilft überhaupt nichts!

Martha: Was an 'ner Staatsschule am Laxheit läuft - daß die sich ausrechnen, wieviel sie fehlen dürfen, dann dürfen sie nicht mehr krank werden, weil bis auf

die letzte Stunde so viel Fehlen ausgeschöpft wurde, wie erlaubt ist

Heiner: 100 pro jahrgang, im letzten jahr haben sich 120 beworebn.

Ihr werdet mit dem Abi auch die Effektivität Eurer Lernformen beweisen müssen. Kommt Ihr durch?

Martha: Unsere Prüfungen müssen so gut wie möglich laufen.

Heiner: Jetzt haben sich 27 zur Prüfung angemeldet, nächstes Jahr werden es 70, 80 sein. Da wird man was sagen können. Ich glaube, daß wir das schaffen - das hat einfach Vorteile, selbstorganisiert zu lernen und Bock zu haben.

Martha: Das wird ganz normal laufen. Ein paar werden's nicht packen, einige werden ein sehr gutes Abi machen - eine ganz normale Verteilung. Außerdem: Wie die Behörde sich seit Februar Zeit läßt und dann was in zwei Tagen abwickeln will mit der Drohung der Zulassung - wir sind so formal und korrekt, also, so chaotisch wie die Bildungsbehörde kann Ife gar nicht existieren! Gespräch: Susanne Paa

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