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Gesucht: Neue Kleider für Berlin

■ Stadtplaner, Bauexperten und ein Spekulant diskutierten am vergangenen Donnerstag über die neue Wohnungsnot / Wird Berlin zu eng? / Bauträger Graalfs: Wohnungsnot gibt es auch im Grunewald

Der Titel versprach nicht nur eine Analyse der Krise, er ließ auch auf politische und planerische Auswege hoffen. „Neue Wohnungsnot - neues Planungsgebot“, unter diesem Motto hatte der Berufsverband der Stadt- und Regionalplaner (SRL) am Donnerstag zum Werkstattgespräch geladen. Der Anspruch wurde nur teilweise eingelöst, denn allein in der Analyse war die Debatte stark, auf wegweisende neue Ideen wartete man vergeblich. Alle forderten das, was sie immer schon wollten. Bauträger Dieter Graalfs will endlich Hochhäuser bauen, Senatsstadtplaner Hajo Bergandt will seinen Flächennutzungsplan (FNP) retten und Stadtplaner Karl Pächter will in der Senatskanzlei die Planungsleitstelle neu installieren, mit der die SPD schon in den siebziger Jahren scheiterte.

Daß die Lage ernst ist, enthüllte jetzt, wie berichtet, auch die Volkszählung. In Berlin gibt es über 60.000 Wohnungen weniger als gedacht. Grund zur Provokation für Urs Kohlbrenner vom SRL. „Berlin kommt mir vor, wie wenn man eine neue Badezimmerwaage kauft“, lästerte der Planer. „Man wiegt auf einmal 85 Kilo statt 75. Aber die alten Kleider passen ja trotzdem noch.“ Daß der FNP mit seinen Wohnbauflächen zwar ein weiter Mantel sei, daß aber dennoch neu geschneidert werden muß, das räumte dagegen selbst Senatsplaner Bergandt ein.

Armin Hentschel vom Mieterverein stellte neueste Zahlen vor. Zuzug einerseits, Wohnungsverlust durch Abriß und Zweckentfremdung andererseits, das ergibt allein von 1985 bis 1987 ein Defizit von 12.000 Wohnungen. Bergandt, wollte jedoch nicht die Aussiedler verantwortlich machen: „Die werden als Instrument der Baulobby benutzt, um auf die Politik Druck zu machen.“ Rainer Autzen vom Deutschen Institut für Urbanistik (DIfU) sieht zwar die Zuwanderung in den Ballungsgebieten als Problem, doch auch für ihn ist die Wohnungsnot in erster Linie ein Defizit im „Teilmarkt“ der billigen Wohnungen. Einer größer werdenden Zahl einkommensschwächerer Haushalte stehe überall ein schrumpfendes Angebot preisgünstiger Wohnungen gegenüber. Autzen sieht diese „Schere“ bundesweit sich öffnen, besonders im kriselnden Norddeutschland.

Die Liberalisierung des Wohnungsmarktes und der Rückzug von Staat und Kommunen aus der Wohnungspolitik hat überall die gleichen Folgen: Der Bestand an Sozial- und Altbauwohnungen ist bedroht. Seit Altbauten auch in Berlin nicht mehr preisgebunden sind, lohnt es sich für Hausbesitzer eher, freifinanziert zu modernisieren, da dann die Miete nicht begrenzt werden kann. Nur noch jede dritte Wohnung, rechnete Bergandt vor, wird mit öffentlichen Mitteln modernisiert und unterliegt dann einer Mietbindung. Dabei sei selbst diese Miete für viele nicht mehr bezahlbar, klagte Bergandt. Hinzu kommt ein anderes Problem: trotz schrumpfender Bevölkerungszahl steigt die Zahl der Haushalte, weiß auch Autzen. Studenten nehmen statt einer Bude heutzutage gleich eine ganze Wohnung“, bestätigte Bauträger Graalfs. Er sah eine Wohnungsnot allerdings „quer durch alle Bevölkerungsschichten“. Auch im Grunewald, bei Kaltmieten von 30 Mark pro Quadratmeter „stehen die Leute Schlange“, meinte Graalfs. Fritz Schmoll vom Mieterverein hielt dagegen: „Die Ausweichmöglichkeiten sind doch sozial sehr unterschiedlich verteilt.“ Doch welche politischen Ausweichmöglichkeiten es in der engen Stadt West-Berlin gibt, blieb einigermaßen diffus. Kleingärten dürften kein Tabu sein, meinte Karl Pächter. Wulf Eichstädt von S.T.E.R.N. assistierte: „Natürlich fehlen Wohnbauflächen.“ Das gleiche meint auch Graalfs - nur will Franziska Eichstädt die Flächen ihm, dem „Abschreibungsjobber“, nicht überlassen. Die derzeitige Wohnungsbauförderung des Senats, mit dem Schwergewicht im teure Wohnungen produzierenden Dritten Förderungsweg, ginge „voll am Markt vorbei“, klagte Bergandt. Er würde gerne neue Wohnformen fördern Wohngemeinschaften und selbstverwaltete Häuser. Bergandt plädierte außerdem für „mehr Dichte“ in bestehenden Wohngebieten. Aber auch die Kita im Altbau nimmt Wohnfläche weg, daran erinnerte dann wieder Wulf Eichstädt. Was der Bausenator plant, blieb offen. „In der derzeitigen Situation“ sah er sich nicht in der Lage, einen Vertreter zu der Diskussion zu entsenden, berichtete Kohlbrenner.

hmt

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