piwik no script img

„Mein Austritt aus den Hamburger Grünen“

■ Thea Bock, langjährige prominente Vertreterin der Grünen in Hamburg, ist aus der „Grün-Alternativen-Liste“ (GAL) ausgetreten Ihr Text fragt nach den Bruchpunkten: Schwarz-Weiß-Denken und Solidarisierungs-Zwang als Politik-Verhinderung

„Mein Austritt aus der GAL, nach zehn Jahren Arbeit in der ökologischen Bewegung, ist kein Abschied von der grünen Politik. Es ist ein wenig Luftholen, ein wenig Nachdenken und Abstand, den ich schon beinah mitleidig auch denen wünsche, die meinen, sie könnten jetzt mit “ Enthüllungen über meine persönlichen Verhältnisse eine schon lange gescheiterte Politik künstlich am Leben erhalten.

Ich erinnere mich noch gut an die vielleicht naiven, für mich aber realen Hoffnungen, Politik verändern zu können. Wir wollten völlig andere Strukturen der politischen Willensbildung, eine andere politische Kultur, Basisnähe und keine Abhängigkeit von vermeintlichen Sachzwängen und Apparaten.

Vieles erweist sich heute für mich als problematisch, weil es von meiner ehemaligen Partei dogmatisch angewendet wird: die Rotation aus den Parlamenten nach zwei Jahren, der Zwang zur Abführung der Diäten, auch wenn der einzelne in schwierigen sozialen Verhältnissen steckt, das imperative Mandat von Mehrhei

ten in zufällig zusammenge setzten Mitgliederversammlungen. Damals setzten ich und meine Freunde, teilweise jetzt Gegner, auf Hoffnung, glaubten an Neuaufbruch.

Hoffnung auf Neubeginn

„Wird Zeit, daß wir leben“, galt nicht nur für mich, nicht allein für unsere Initiativen, sondern sollte auch für die Politik gelten. Und es schien zu klappen. Leute wie den damaligen Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) oder Oppositionsführer Hartmut Perschau (CDU) - natürlich wollten wir sie vorführen, über sie lachen. Wir wollten aber auch reale Veränderungen: ökologische, um Hamburg aus der Umzingelung der Atomkraftwerke und von der Verseuchung durch die Chemie zu befreien; soziale, um die Menschen, die unter der sich ausbreitenden Armut leiden, nicht in die gewalttätige Verzweiflung zu treiben, die in Deutschland ja schon immer nur die rechte Law-and-order-Antwort provozierte.

Und wir wollten einen anderen Umgang der Menschen miteinander: offen und fröhlich, kreativ und tolerant. Das konnten wir damals teilweise vorleben. Heute finden innerparteiliche politischen Auseinandersetzungen bei der GAL und bei der Bundespartei der Grünen in einem haßerfüllten und menschenverachtenden Klima statt. Große Teile der Partei, die der politischen Kultur neue Impulse geben wollten, sind dafür heute alles andere als ein Vorbild. Die Zahl derer, die das nicht mehr ausgehalten haben und ausgestiegen sind, ist groß.

Wo lag der Bruchpunkt, fragen sich heute viele. Vielleicht in der Verführung, die im Schwarz-Weiß-Denken liegt. Es geht dem Risiko aus dem Weg, politische Gegner Innen zwar hart zu bekämpfen, aber sie gleichzeitig als Menschen zu achten. Vielleicht liegt es auch an dem Erfolg, den die GAL hatte, der sie in praktische Verantwortung brachte und die Frage nach dem Verhältnis zur Macht aufwarf. Das schnelle Hineinwachsen in das bestehende politische System erzeugte Angst, besonders bei denen, die dieses am rigorosesten ablehnten: bei unseren Fundis.

Teilhabe an der Macht mußte verhindert werden - das war immer das Ziel der Fundamentalisten. Dieses Ziel bestimmt ihre Politik, ihre Politikformen, ihren Umgang mit Andersdenkenden.

Das Austesten, politische Phantasie, wie zusammen mit der SPD eine bessere Politik gestaltet werden könnte, wurde schleichend mit Denkverbot belegt. Schlimmer noch: Weil uns die

Wähler Innen drängten, mit Hilfe der Grün-Alternativen in einem Koalitionssenat die Hamburger Politik zu ändern, und uns aufforderten, diese Verantwortung zu übernehmen, wurden sie in parteiinternen Diskussionen für dumm erklärt.

Hier beginnen für mich Trauer

und Zorn. Durch die faktische Absage an eine Koalition bei der Neuwahl 1987 haben wir die Stadt mit in die sozialliberale Koalition getrieben. Die Grünen, die ihre oppositionelle und reformerische Kraft aus der Erstarrung der Schmidt/Genscher-Regierung zogen, etablierten ausgerechnet

in meiner Stadt ein Gebilde, das weit hinter das sozialliberale Original zurückfällt. Aus dieser Katastrophe haben wir nichts gelernt. Fast schien es, als seien die Alternativen glücklich, endlich wieder einen identifizierbaren Feind zu haben. Einen Feind, zu dem der GAL nichts anderes einfiel, als die gebetsmühlenartige Formel: Wir haben recht und können nichts machen.

Wir schafften es noch, die friedliche Lösung in der Hafenstraße zu befördern. Doch das Debakel begann nach Vertragsabschluß. Plötzlich ging es vielen in der GAL nicht mehr um eine zivile Konfliktlösung, um Verhandlungen, gewaltlose Demonstrationen, sondern nur um den Barrikadenbau. Wer das nicht so sah, wurde wie ich von den Autonomen zur “ Staatsschutzlinken gemacht, ohne Widerspruch der GAL. Statt das Wohnmodell glaubwürdig zu verteidigen, machten wir uns zum kritiklosen Sprachrohr der Bewohner.

Ähnlich auch bei dem Vorfall in der Bürgerschaft am 30. November, als Autonome in den Plenarsaal stürmten und Parolen riefen. Mit der uferlosen Anwendung des Paragraphen 129a, der sich gegen terroristische Vereinigungen richten soll, mit diesem

Gesinnungsstrafrecht in teilweise abscheulichen politischen Prozessen bin ich genausowenig einverstanden wie die Protestierer Innen. Aber eine Überlegung, ob diese Aktion vor einer “ Aktuellen Stunde zur politischen Gewalt sinnvoll war, war in der Fraktion nicht möglich: Niemand war gefragt worden. Nachher herrschte in der Partei faktisch blinder Solidarisierungszwang, der uns zur taktisch vereinnahmten Masse machte.

Politikfähigkeit gefragt

Dagegen wehre ich mich. Bei der GAL ist dieser Solidarisierungszwang wesentlicher Politikinhalt. Der Ausschluß von der Teilhabe an Macht oder Verantwortung ist dadurch gewährleistet. Die Politikfähigkeit der GAL wiederherzustellen, erfordert ungeheuren psychischen und politischen Kraftaufwand. Dazu gehört vor allem, daß Bündnisse mit politischen Gewalttätern ein Ende haben müssen. Diese Kraft will und kann ich nicht aufbringen. Bei der inneren Struktur der GAL habe ich Zweifel, ob die Partei das schaffen kann. Trauer, Zorn, Entsetzen und Resignation beiseite - vielleicht hat der Karlsruher Parteitag der Grünen neue Perspektiven eröffnet. Thea Boc

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen