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MONOTAL VS. SUPERQUICK

■ Berliner Kleinverleger im Kalligramm und im Bethanien

In Berlin sitzen rund 280 Verlage. Vier von ihnen beteiligen sich an einer „Minibuchmesse“ (Radio 100) im Schöneberger Antiquariat Kalligramm. Es war die erste Veranstaltung dieser Art in Berlin. Man hätte sich auf der Frankfurter Buchmesse getroffen, alle wären am Ende besoffen gewesen, und dann hätte „der Olaf“ halt plötzlich angefangen, Verlagsnamensschilder zu sammeln, und dann „hat man das eben gemacht“. Einige hatten in letzter Minute nach abgesagt. Übriggeblieben sind der „gerhardt verlag“, „Brinkmann & Bosse“, „Alexander-Verlag“ und die „Edition Sirene“.

Zu Beginn meinte Alexander Werwerka, daß er's zum Kotzen fände, daß alles gleich zur Messe werden muß und „Kleinverlage - handgestrickte Bücher, ha, ha“. Während er das impertinente Nadelgeklapper der späten Siebziger und frühen Achtziger gemeint haben mag, sind die Bücher eines anderen, Wolfgang Schmidt („Sirene“), tatsächlich präzisestes Handwerk; „handverlesen“, wie man ausstellungsmäßig so sagt. Schmidt fing 1977 mit Handsatz an, das heißt, jeder Buchstabe ist irgendwann einmal in der Hand des Setzers gewesen. Inzwischen ist seine Druckerei auf dem Stand von 1965; Maschinen besorgen den Bleisatz. Die „Cicero Bembo Montalschrift“ steht gegen das „Linofilm Superquick“ (das ist zusammengequetschter Fotosatz) schlechter Taschenbücher.

Es ist natürlich nicht so, daß die Großverlage nur unsinnliche Bücher machen; im Gegenteil, ein merkwürdig melancholisches Gefühl stellt sich ein, wenn die ersten Begeisterungsbücher, Hesse, oder Kerouac, nach einmaligem Lesen auseinanderfallen; ein schöner symbolischer Abschied, wenn die Nietzsche-Ausgabe des Hanser-Verlages nach zweimaligem Angucken Buchrücken und -deckel verliert. TBs sind im Gebrauch poetisch, weil sie das „abschiedliche Dasein“ symbolisieren. Die Bücher der im Kalligramm versammelten Verleger sind dagegen als Bücher schön, weil sich ihr ästhetischer Gebrauchswert erhält.

Die Situation der Kleinverlage ist einigermaßen katastrophal; nicht, weil die Bücher niemanden interessieren, sondern weil die „Großen“ die Sortimente vollstopfen und der Einzelhandel zwischen Verlag und Käufer nicht mehr funktioniert. So sind die Bücher, obwohl sie gerade Bücher fürs Auge sind, unsichtbar und überspringen die Stufe öffentlicher Sichtbarkeit im Buchladen. Wenn man als Kleinverleger noch dazu keine Lust hat, ein „eindeutiges Programm“ zu machen - was immer das ist -, hat man auf dem Markt kaum eine Chance. Der „Sirene„-Verlag hat mit surrealistischen Büchern angefangen, also darf er auch nur noch surrealistische Bücher machen. Jedes andere Buch wird, selbst mit optimaler Presse, ein Fiasko - die Stammausgabe von „Sirene“ wurde in 'Zeit‘ und 'FAZ‘ jeweils auf einer Seite besprochen und liegt bei 100 verkauften Exemplaren.

Anfangs macht man ein oder zwei Bücher, aber dann merkt man, daß man keine Bücher mehr wird machen können, wenn es so weitergeht. Also fängt man an, drei zu verlegen, von denen man annimmt, daß sie sich verkaufen, um das eine zu machen, daß unter Garantie nicht laufen wird. Irgendwie läuft es, das heißt, die Verlage existieren noch, und das ist immerhin ermutigend - es gibt Tricks, die es ermöglichen, immer kurz vor dem Kollaps dennoch weitermachen zu können: Schmidt druckt auch für andere, Werwerka arbeitet im Renaissance-Theater als Statist... Und es gibt Ermutigungen: Bestellungen von der Zugspitze oder von der UNO-Truppe im Libanon, komische Leserbriefe und kleine Siege über die Großen, Rowohlt zum Beispiel, der, als er merkte, daß die Lautreamont-Ausgabe von „Sirene“ lief, mit einer Billigfassung nachtrat und sie jetzt nicht los wird.

Es war gemütlich im Kalligramm. Frau Tax (Bri & Bo) las aus der Unica Zürn Werkausgabe Anagramme vor. Und es ist schön bis zum Delirium, wenn aus dem Buchstabenmaterial von Das Spielen der Kinder ist streng untersagt dannKinder rettet den Sprung! Sagt leise: Reis, Sand... wird. Eine Art manisch-magische Logik der Sprache, die ja auch aus Debatte, Klaus Hartung: Infamie und Opferlust ein launiges HB-Klaus (läufig: Titten raus und Damen opfern) werden läßt. Die Sprache spricht im Zentralorgan der Suchenden.

Frau Gerhardt erzählte aus der Verlagsgeschichte: von Ezra Pound, Gertrude Stein etc., deren Bücher den Weg aus Prag, wo sie von jüdischen Intellektuellen zurückgelassen worden waren, über Amerika, wohin die Russen sie geschickt hatten zwecks Umerziehung deutscher Kriegsgefangener, wieder zurück nach Deutschland in eine kleine Quäkerbibliothek gefunden hatten. Mit Auszügen aus dieser Bibliothek in schmalen Heften begann der „gerhardt verlag“ seine Arbeit.

„Brinkmann & Bose“, deren Verlagsprogramm sich so traumhaft schön liest (Zerstören, sagt sie (Duras), Grammophon, Film, Typewriter (Kittler), Feuer und Asche (Derrida); Revolte gegen die Lebensnagst (Jung), Ermunterung zum Genuß (Hessel)) präsentieren Verdrängtes, Vergessenes und Eingeschlossenes aus der Geschichte der Psychoanalyse (Sabina-Spielrein-Ausgabe) und Werwerka („Alexander“) redete über Max Jacob (Ratschläge für einen jungen Dichter), den er verlegte, weil er immer wieder in Traumtagebüchern des französischen Ethnologen und Surrealisten Leiris aufgetaucht war.

In der Diskussion stellten 25jährige Zuhörer 50jährige Verleger, die immer und notwendig unter den gegenwärtigen Marktbedingungen mit Schulden arbeiten müssen, als Blödmänner da: „Was bringt dir das denn? - Komische Welt.“ Schmidt sagte zwar, daß Buchempfehlungen, gerade in der taz, „überhaupt nichts“ bringen würden, dennoch am Schluß ein paar Weihnachtstips: Euren Kindern schenkt ihr am besten das erste revolutionäre Kinderbuch von El Lissitzkj (von zwei quadraten, „gerhardt-verlag“, 22 Mark), dem Hartung der Familie den wohl furiosesten, mystisch obszönen Vorläufer des Surrealismus Ladislav Klima (Die Leiden des Fürsten Sternenhoch, „Sirene“, 32 Mark), der kleinen, theaterspielenden Schwester das Butohbuch Die Rebellen des Körpers („Alexander“, 38 Mark) und dem philosophierenden Bruder in der Fremde schickt ihr eine Postkarte von Derrida („Bri & Bo“, zwei Bände, 70 bzw. 80 Mark).

D. Kuhlbrodt

Verlagskataloge und Kataloge des „Arbeitskreis der kleineren Verlage“, u.a. im Kalligramm, Kolonnenstr. 54. Ausstellung „handverlesen - Die Tradition des Büchermachens in kleinen Berliner Verlagen“ vom 13.12.88-26.2.89 im Bethanien.

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