: Wenn Bankdrücker schnüffeln
Ammoniak und Power-Pillchen helfen den KraftsportlerInnen bei der Ermittlung ihrer Stärksten ■ Aus Marburg Torsten Haselbauer
Athleten, und darin sind sie Schauspielern nicht unähnlich, werden im allgemeinen nur unter ihrem körperlichen Aspekt betrachtet. Ein Spektakel der ganz besonderen Art dieser Wahrnehmung wurde am Samstag auf den Brettern des „Schauspiels der Stadt Marburg“ inszeniert: die Deutschen Meisterschaften im Bankdrücken. Hauptakteure dieser Hantelsportart aus dem Bereich des Gewichthebens sind, in einer seltsamen Symbiose vereint, der Mensch und die Maschine.
89 Athleten und 48 Athletinnen aus der Bundesrepublik zeigten sich in ihrer liebsten Pose, nämlich der der Stärke. In einer zum Teil exzessiven Demonstration des eigenen Körpers, der durch tägliches Muskeltraining aufmodelliert wird, drückten die Herren in elf, die Frauen in zehn Gewichtsklassen ihre Meister aus.
Der für den Sportclub „1888 Marburg“ startenden Ulrike Herchenhain scheint nichts zu schwer. Mit dem Rücken auf das Sportgerät, die Drückerbank, gelegt, den Kopf, die Schultern und das Gesäß in Kontakt mit der flachen Bankoberseite, streckt sie beide Arme von sich. In die empfangsbereiten Hände legen zwei Helfer die Hantel. Die Heberin senkt das Gewicht auf die Brust ab und wartet auf das Zeichen des Kampfrichters. Das Signal, ein Händeklatschen, erfolgt erst, wenn sich die Hantel bewegungslos auf dem Brustkorb befindet. Innerhalb einer Minute muß es nun gelingen, die Hantel soweit emporzudrücken, bis die Arme wieder gestreckt sind. In dieser Haltung verharrt die Sportlerin rund 20 Sekunden, erst dann hat der Kampfrichter ein Einsehen, gibt langsam das Kommando „Ablegen“, und die beiden Assistenten befreien sie von ihrer Last. Mit 127,5 Kilogramm stellte Ulrike Herchenhain gleich einen neuen Europarekord auf und wurde zusätzlich mit dem Titel einer Deutschen Meisterin belohnt.
Das Bankdrücken ist die Lieblingsdisziplin der Muskelmenschen, Kniebeuge und Kreuzheben vervollständigen die zweite Leistungssportart neben dem olympischen Zweikampf, Reißen und Stoßen, zum Kraftdreikampf. Arnold Schwarzenegger war übrigens in dieser Disziplin einmal österreichischer Meister, bevor er sich gänzlich dem einzigen hingab, was er wirklich kann, dem Bodybuilding.
Die Herren der Drückerbänke entsprechen äußerlich durchaus diesem Klischee und benehmen sich zeitweilig genauso wie Schwarzenegger in seiner Filmrolle als Terminator. Durch das Schnüffeln von Ammoniak gewinnt so mancher Drücker schnell die nötige Aggressivität, die in diesem Sport wohl unvermeidlich dazugehört. „Es macht einfach wild“, ist aus Insiderkreisen zu hören. Andere stoßen vor dem Wettkampf mit dem Kopf kräftig gegen eine Eisenstange oder lassen sich vom Trainer ins Gesicht schlagen, um der folgenden Belastung mental gewachsen zu sein. So ist es nicht verwunderlich, daß die Meisterschaften in Bayern, der Hochburg des Bankdrückens, grundsätzlich in Bierzelten stattfinden, denn dort ist ja gemeinhin die Beziehung von Publikum und Athlet besonders intim.
In Marburg hingegen fanden zumeist nur die direkt Betroffenen, also die Angehörigen der Sportler, den Weg in die Halle, und bevor die Männer ihre Muskeln spielen ließen, durften die Frauen ran. Zumindest in den niedrigeren Gewichtsklassen umgibt diese eher ein erotisierendes Ambiente, nicht zuletzt durch die Kleidung, deren einzige Intention zu sein scheint, daß sie das, was sie gerade so bedeckt, besonders zu betonen versucht. Mit der Steigerung der Leistung jedoch tritt wieder ein altbekanntes Phänomen offen zutage. Die Stimmen werden tiefer, die Körper maskuliner. Anabolika und andere muskelproduzierende Substanzen waren und sind gerade im Kraftsportbereich gang und gäbe.
Zuflucht aus der schweißtreibenden Atmosphäre findet der aufmerksame Beobachter des bunten Treibens schnell bei einem der zahlreichen Mineraldrinks, Aufbaukonzentrate mit Waldmeistergeschmack oder Power-Pillchen, die darauf spezialisierte Firmen massenhaft offerieren. Für die Kraftsportler ein lebenswichtiges Zubrot, braucht der einmal so geformte Körper doch zwei Gramm Eiweiß täglich pro Kilo Körpergewicht. Feines Rindfleisch ist viel zu teuer, denn verdienen kann der Athlet bisher bei der Ausübung seiner Sportart so gut wie nichts. Doch wie das bei allen Randsportarten so üblich ist, setzt man auf die Olympischen Spiele, an denen die Bankdrücker endlich teilnehmen wollen. Die Show für sich selbst und vor den Augen aller.
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