Jetzt ist konkrete Hilfe wichtig

Marie Karaciyan, Mitglied der Armenischen Gemeinde in West-Berlin, zu Erdbebenhilfe und Nationalitätenstreit im Transkaukasus  ■ I N T E R V I E W

taz: Auch in der BRD ist eine Welle der Hilfsbereitschaft für die Erdbebenopfer in Armenien ins Rollen gekommen, die Armenier in aller Welt organisieren Hilfe. Wie sieht es bei der armenischen Gemeinde in Berlin aus?

Marie Karaciyan: Wir haben über die sowjetischen Behörden ein Flugzeug zur Verfügung gestellt bekommen, das am Freitag nach Eriwan abfliegen soll. In den letzten Tagen haben uns die Berliner sehr geholfen, über 40.000 Mark an Spenden sind schon auf unser Konto (siehe unten) eingegangen, aber auch Sachspenden, Decken, medizinische Geräte und anderes sind von Privatpersonen, von Ärzten und Apothekern gekommen. Einige Mitglieder der armenischen Gemeinde werden mitfliegen und bei der Verteilung der Güter helfen können.

Habt ihr denn Informationen über die Lage, die über das, was über die Presseagenturen kommt, hinausgeht?

Was die Erbebenopfer und das Ausmaß der Katastrophe angeht, nicht. Doch am Sonntag haben wir erfahren, daß fünf der 11 Mitglieder des unabhängigen Karabach-Komitees festgenommen worden sind. Sie hatten gefordert, daß die armenischen Waisenkinder nicht wahllos über die Sowjetunion verstreut werden sollen, sondern in armenische Familien kommen. Die Kinder sind nämlich schon zur Adoption freigegeben. Natürlich ist es sehr wichtig und eine große Hilfe, wenn die Kinder versorgt werden. Das Karabach-Komitee fürchtet, daß die armensichen Kinder mit dieser Art der Hilfe ihre Identität als Armenier verlieren.

Gorbatschow hat am Sonntag von Provokateuren gesprochen, die die Erdbebenkatastrophe ausnützten, um Instabilität zu säen. Was sagen Sie dazu?

Ich verstehe bei solchen Aussagen die Welt nicht mehr. Was ist das für eine Politik? Und das in der jetztigen Situation. Immer noch fliehen Zehntausende von Armeniern aus Aserbeidjan, weil sie das Risiko, in die Erdbebenregion zu gehen, für geringer halten, als in Aserbeidjan zu bleiben und dort massakriert zu werden. Über das Problem hat Gorbatschow kein Wort verloren. Stattdessen hat er gefordert, das Karabach-Komitee an der solle Forderung nach Eingliederung Berg-Karabachs in Armenien aufgeben. Trotz der Erdbebenkatastrophe hält aber das Karabach-Komitee an der Forderung fest. Und in Aserbeidjan sind die Armenier weiter in Gefahr.

Wie soll es nun weitergehen?

Für uns ist erst einmal wichtig, bei der Erdbebenkatastrophe zu helfen. Unsere Gedanken kreisen hier vor allem um dieses Problem. Alles andere muß erst einmal zurücktreten. Wir wollen den Opfern helfen und die Not lindern. Aber das heißt nicht, daß wir die Armenier alle politischen Forderungen aufgegeben haben.

Interview: Erich Rathfelder

Spenden für die Katastrophenhilfe der Armenischen Gemeinde können auf das Postscheckkonto 34365-100, Postgiro Berlin (BLZ 100 100 10) überwiesen werden.