piwik no script img

Iran liquidiert Opposition

■ Hinrichtungswelle in den Gefängnissen vor der angekündigten Amnestie / Gesamte iranische Linke betroffen / Oppositionelle Geistliche unter den Opfern

Berlin (taz) - Wenn iranische Flüchtlinge in der Bundesrepublik in diesen Tagen mit Verwandten in Teheran sprechen, um sich nach dem Schicksal von inhaftierten Familienangehörigen und Freunden zu erkundigen, müssen sie das Schlimmste befürchten: Nahid Sadeghie, die mit ihren achtjährigen Zwillingssöhnen seit fünf Jahren in Berlin lebt, mußte am 4.Dezember in einem Telefongespräch erfahren, daß ihr Ehemann, Farzad Dadgar, hingerichtet wurde. Er war Mitglied der pro-sowjetischen Tudeh-Partei und saß seit 1982 im Gefängnis, ohne jemals verurteilt worden zu sein. Auch Frau Rakhschaneh erhielt auf diesem Wege Nachricht von der Hinrichtung ihres Bruders, eines ehemaligen Geschichtsstudenten, der wegen seiner oppositionellen Haltung vom Studium ausgeschlossen und 1985 festgenommen worden war. Vor fünf Monaten hatte sie erfahren, daß ihm ein Todesurteil droht und die Gefängnisbehörden eine hohe Geldsumme verlangten, um es in lebenslängliche Haftstrafe umzuwandeln. Der Flüchtlingsrat Berlin brachte gemeinsam mit anderen Institutionen die geforderte Summe auf und übergab sie an den Iran - vergeblich.

Dies sind keine Einzelfälle. Die Zahl derer, die der jüngsten Hinrichtungswelle im Iran seit Ende Juli zum Opfer gefallen sind, wird auf mehrere tausend geschätzt. Die Mordkampagne in den Gefängnissen zeigt um so klarer, was ein Menschenleben im Iran wert ist, als führende Politiker bereits eine Amnestie und die Zulassung von Oppositionsparteien angekündigt haben. Wenn es soweit ist, werden die Gefängnisse weitgehend leer sein.

Betroffen von den Hinrichtungen sind Oppositionelle, die schon seit längerer Zeit im Gefängnis sitzen und zum Teil zu Haftstrafen verurteilt wurden, Schüler, die 1981, im Jahr der vollständigen Machtübernahme der Khomeini-Fraktion und der Hochzeit der bewaffneten Opposition, Flugblätter verteilten und festgenommen wurden, aber auch Personen, die bereits eine Strafe verbüßt haben und im Laufe der letzten Monate erneut inhaftiert wurden. Die Hinrichtungswelle zielt in erster Linie auf die iranische Linke in all ihren Schattierungen. Anhänger der oppositionellen, islamischen Volksmudjahedin fallen ebenso darunter wie Mitglieder der pro-sowjetischen Tudeh-Partei oder der linksradikalen Volksfedayin. Auch Mitglieder der gemäßigten „Freiheitsbewegung Iran“ von Mehdi Bazargan, dem ersten iranischen Ministerpräsidenten nach dem Sturz des Schah -Regimes im Februar 1979, wurden jüngst festgenommen. Bazargans damaliger Gesundheitsminister Kazem Sami wurde von einer Schlägertruppe überfallen und erlag am 25.11. im Krankenhaus seinen Verletzungen. Auch einige Geistliche aus dem Umfeld des designierten Khomeini-Nachfolgers Ayatollah Hossein Ali Montazeri wurden hingerichtet.

Die Hinrichtungswelle, die nach der Zustimmung des Iran zur Uno-Waffenstillstandsresolution im Golfkrieg im Sommer einsetzte, hat das offensichtliche Ziel, im Vorfeld von Amnestie und Parteienzulassung die Kader und aktivsten Mitglieder der Oppositionsparteien umzubringen, damit sie dem Regime nicht mehr gefährlich werden können. Damit soll der Boden für eine Liberalisierung vorbereitet werden, die aus ökonomischen Gründen für das Regime notwendig ist. Der Druck auf die „Freiheitsbewegung Iran“ und die Festnahme von Anhängern Montazeris verweisen jedoch darauf, daß auch Zwistigkeiten im Innern des Regimes eine Rolle spielen. Auch iranische Oppositionelle im Ausland gehen davon aus, daß zwar nicht das Faktum der Hinrichtungen, wohl aber deren Ausmaß in der Teheraner Führung umstritten ist. Dies bekam offenbar auch Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher zu spüren, der im Rahmen seines Aufenthaltes in Teheran Ende November auch eine Stunde mit seinem iranischen Amtskollegen Velayati über die Hinrichtungen sprach. Nach Angaben aus Delegationskreisen soll Velayati schließlich gesagt haben, in dieser Sache könne er nichts unternehmen.

Nun kann man eine solche Äußerung sicherlich unterschiedlich interpretieren. Tatsache ist jedoch, daß die sogenannten Radikalen, die die anvisierte Öffnung zum Westen mit Mißtrauen und Ablehnung beobachten, versuchen, die Politik Rafsandschanis, der für die Öffnung steht, zu torpedieren. Die zügellosen Hinrichtungen könnten im Falle einer entsprechenden internationalen Reaktion durchaus dazu beitragen, den Prozeß der Öffnung zu bremsen.

Ein weiteres Anzeichen für die innenpolitische Dimension sind auch Hausdurchsuchungen, die die Revolutionsgardisten seit einiger Zeit wieder durchführen. Ein Aufleben der Zustände von 1981/82 wird einen für den Wiederaufbau begehrten iranischen Experten im Ausland, der damals emigrierte, zweimal überlegen lassen, ob er zurückkehrt. Die Revolutionsgardisten, die im Krieg gegen den Irak in der vordersten Reihe standen und dabei viele Freunde verloren haben, blicken jetzt in eine ungewisse Zukunft. Das plötzliche Einschwenken des Iran auf die UNO -Waffenstillstandsresolution haben in den Reihen der kriegerischen „Pasdaran“ Befürchtungen ausgelöst, daß die Ziele, für die sie gekämpft haben, nun auf einmal infrage gestellt werden sollen.

Der Oberbefehlshaber der Organisation der Revolutionsgardisten, Mohsen Rezai, brachte diese Befürchtungen im Sommer auf den Punkt: „Die Revolutionswächter haben darauf zu achten, daß die Annahme der UNO-Resolution nicht etwa gleichbedeutend ist mit einem Ende des Kampfes gegen die Feinde der Revolution“. ai kritisiert Mainzer Asylpolitik

Wo in Teheran derartig offene Worte fallen, kann man sich nur wundern, wenn hierzulande ein Bundesland nun dazu übergehen will, iranische Flüchtlinge abzuschieben. In einer Pressemittei

lung wies die Gefangenenhilfsorganisation amnesty international am Montag darauf hin, daß in Rheinland-Pfalz abgelehnte iranische Asylsuchende, die ihre Zugehörigkeit zu einer linksgerichteten Organisation zu erkennen gegeben haben, abgeschoben werden sollen. Damit würde die Mainzer Landesregierung aus der bislang in der Bundesrepublik Deutschland üblichen Praxis ausscheren, abgelehnte iranische Asylsuchende nicht abzuschieben. Dieses Vorpreschen erscheint umso absurder, als der Bundestag anläßlich des 40. Jahrestags der Erklärung der Menschenrechte auch auf die Verschärfung der Situation im Iran hingewiesen hatte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen