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PROST WEIHNACHTEN

■ Zeuge des Jahrhunderts, Willy Brandt, wird 75

Nun neigt sich das Jahr 1988 seinem Ende zu. Was hat es uns gebracht? Entlassungen, Konkurse, steigende Einschaltquoten und den einen oder anderen Scheintoten. Ja, und natürlich Jubiläen: 50 Jahre Anschluß Österreichs, 20 Jahre 1968, und viele fragten sich, was schlimmer war. Es herrscht also eine verwirrende Klarheit. Denn noch immer weilt ein Gott unter uns.

Ja, Willy Brandt ist einer von uns. Es ist gleichgültig, wer wir sind, er ist auf jeden Fall einer von uns. Willy Brandt, 15 Jahre und 10 Tage älter als der Verfasser von 'Neues Deutschland‘, Willy Brandt steht für ein komisches Wir-Gefühl - und das ist das Höchste, worum ein Mensch ringt im Leben über den Tag hinaus.

Das Wir-Gefühl, wie es sich in der sexuellen Ekstase, gerade beim intensiven Begatten, beim ungeheuerlichen Rumbumsen immer wieder frei entfaltet... Ja, das hat etwas mit der SPD zu tun, auch wenn es gegenwärtig dieser Partei fernzuliegen scheint.

Willy Brandt hat immer für das Wir gestanden, so auch als er 1972 richtungsweisend und bahnbrechend eine weltweit beachtete Aktion startete: das Berufsverbot, den sogenannten Radikalenerlaß. Nun ist ein Berufsverbot an sich eine vernünftige Angelegenheit, denn manche Berufe sind wirklich schrecklich. Aber das Berufsverbot wollte ja nicht den überflüssigen Beruf des Lehrers treffen, sondern diejenigen, die sich überflüssigerweise als Erzieher begreifen. Leute sollten nicht Beamte werden dürfen, die revolutionärer Gesinnung verdächtig waren. Diese Vorschrift gilt zu Recht heute noch.

Denn sie beweist, wie unglaublich korrupt, doppelzüngig und feige die Neue Linke war - ein Grund zum Jubel, denn das war der Abschied vom deutschen Heldentum, vom deutschen Tiefgang und vom deutschen Allein-Sein. Wir wollen, daß jeder Idiot und jede Idiotin in den Staatsdient darf. Willy Brandt und Herbert Wehner haben damals herzlich gelacht. „Revolution machen wollen, aber mit Pensionsberechtigung als Staatsdiener“, hat der Onkel Wehner gesagt, „das gibt's bloß bei uns.“ Und der Willy hat gegrinst und gesagt: „Vor denen haben wir mal Angst gehabt!“ Ja, ja, der Willy Brandt ist eben ein Buddhist, und Buddha hat gesagt: „Wer den Staat stürzen will, darf ihm nicht dienen, und wer beides tut, der wird sich auf die Couch legen müssen.“ (Buddha prophezeite hier gewitzt Siegmund Freud und das Berufsbeamtentum.)

Aber Willy Brandt schloß eben unverdrossen die Ostverträge, um den Sozialismus mit dem Osten, den weisen Lehren des Lao Tse zu verbinden. Wer macht heute noch so was? Und so schließt sich der Kreis. Willy Brandt wurde von einem stalinistischen Spitzel namens Guillaume nahe an den Abgrund geschoben, der Club of Rome entdeckte, daß die Welt ökologisch vorm Zusammenbruch steht, und dann kam auch noch die Ölkrise dazu, als der Araber, ein gewisser Achmed Ibn-el Hara Mya, den Ölhahn kurz zudrehte. Da fielen Weltgeschichte und Brandtgeschichte zusammen.

Das muß jetzt alles aufgearbeitet werden, da müssen mal die Fakten auf den Tisch, und wer kann das besser als, sagen wir, das Fernsehen. Ich will Willy sehen. Wen haben wir denn sonst noch? Eben, lauter Arschgesichter, bei deren Anblick einem sogar die Lust aufs Attentat vergeht und man sich verstohlen einen Strick kauft. Es ist halt Vorweihnachtszeit. Amen.

Matthias Beltz

Willy Brandt im Gespräch mit Horst Schättle heute um 22 Uhr 10 im ZDF als Zeuge des Jahrhunderts und am Sonntag um 22 Uhr 35 in der Sendung Willy Brandt ein deutsches Leben mit Hansjürgen Rosenbauer

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