: Reiseerleichterungen für DDR-Bürger
■ West-Reisen werden ab 1989 berechenbarer / Beschwerden vor Gericht möglich Reisen nur bei West-Verwandtschaft möglich / CDU und SPD begrüßen Regelungen
Berlin (ap/taz) - West-Reisen werden für DDR-BürgerInnen vom Januar 1989 an berechenbarer. Das 'Neue Deutschland‘ und andere DDR-Zeitungen veröffentlichten gestern zwei Verordnungen des Ministerrats der DDR. Danach sollen Reisen von DDRlerInnen ins Ausland, „ständige Ausreisen“ und die Gewährung des ständigen Wohnsitzes für Ausländer in der DDR sowie Eheschließungen mit West-BürgerInnen geregelt werden. Zusätzlich wird eine gerichtliche Prüfung der abgelehnten Anträge möglich.
Während CDU und SPD-Sprecher übereinstimmend die Reiseverordnung als „Schritt in die richtige Richtung“ bewerteten und das 'Neue Deutschland‘ selbst in einem Kommentar von „einem bedeutsamen Akt des guten Willens“ sprach, interpretierte der DDR-Schriftsteller Lutz Rathenow das Paragraphen-Werk gegenüber der taz als insgesamt „weder positiv noch negativ“.
Besonderes Gewicht wird bei der Beurteilung den umfangreichen Paragraphen beigemessen. Gründe für eine Ablehnung von Westreisen aber auch west-östlicher Hochzeiten gibt es gleich im Dutzend. Die auffallendsten dieser Kann -Bestimmungen: Totalverweigerern kann eine Reise genauso verweigert werden wie den in den Westen geflohenen DDRlerInnen der Besuch untersagt ist. Man darf als DDR -BürgerIn bei einer Besuchsreise im Westen z.B. nicht an Veranstaltungen teilnehmen, durch die das „Ansehen der DDR geschädigt werden“ könnte. Andererseits hat die Verwaltung die Pflicht, über Reiseanträge innerhalb von 30 Tagen zu entscheiden und über Ausreiseanträge innerhalb eines halben Jahres. Überhaupt muß es als Fortschritt angesehen werden, daß Ausreise-AntragstellerInnen künftig nicht mehr kriminalisiert werden können. Die Reiseverordnung räumt nicht die im Westen erhoffte Senkung des generellen Reisealters auf 55 Jahre ein. Betroffen von der Reiseordnung sind nach wie vor nur diejenigen, die Verwandte im Westen haben. Ohne West-Verwandtschaft und Familienfeier, ob Taufe oder Beerdigung, runder Geburtstag oder Konfirmation läuft so gut wie gar nichts. Der Kreis der Antragsberechtigten wurde erweitert, er erfaßt auch Verwandte zweiten und dritten Grades. Bestenfalls eine Dienstreise oder eine Touristenreise können diejenigen ohne West-Verwandtschaft beantragen, wenn sie nicht gleich ganz hier bleiben wollen. Aber Touristenreisen in den Westen, die vermittelt kein Reisebüro, die gibt's überhaupt nicht. Und trotzdem regelt ein Paragraph in diesem Verordnungswerk die West -Touristenreisen. Der zwischen den ND-Zeilen lesende Beobachter kann sich nun fragen, ob solche Reisen geplant werden oder ob das ganze nur als Beruhigungspille für die immer unduldsamer werdenden DDR-Bürger gedacht ist.
Die DDR-Volkskammer jedenfalls wollte auf ihrer Sitzung am Mittwoch auch noch weitere Rechte für DDR-BürgerInnen gegenüber der Verwaltung beschließen. Dies betrifft vor allem Staatshaftungsfragen und Entschädigungen über Grundstücksenteignungen. Ab Juli nächsten Jahres werden von der gerichtlichen Nachprüfbarkeit auch die neuen Reise- und Übersiedlungsbestimmungen betroffen sein.
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