: Generalstreik in Spanien
Jugendarbeitslosigkeit: Links-Gewerkschaften mobilisieren gegen die Sozialisten-Regierung ■ Aus Madrid Antje Vogel
Schlag zwölf Uhr Mitternacht kippte der Nachrichtensprecher aus dem Fernsehbild des spanischen Rundfunks und wurde durch eine Störungstafel ersetzt. Millionen Spanier wurden sich bewußt, daß mit dem gestrigen Mittwoch der Tag des Generalstreiks begonnen hatte: Die Gewerkschaften hatten gegen die Wirtschafts- und Sozialpolitik der sozialistischen Regierung mobilisiert. Am Morgen dann: Die Fabriken wie ausgestorben, Verwaltungen verwaist, Schulen geschlossen, Züge verkehrten nur sporadisch.
Auf einer Pressekonferenz erklärten Sprecher der beiden großen Gerwerkschaften, der kommunistischen Arbeiterkommissionen (CCOO) und der sozialistischen Arbeiterunion (UGT), der Erfolg des 24stündigen Generalstreiks habe die kühnsten Erwartungen der Optimisten übertroffen. Die Forderung der Streikenden: vor allem ein Beschäftigungsplan gegen die Jugendarbeitslosigkeit. Dahinter: der allgemeine Unmut über die Wirtschaftspolitik der seit fünf Jahren regierenden Sozialisten.
Fast acht Millionen Arbeiter waren nach einer ersten Einschätzung der Gewerkschaften im Ausstand. Auch die Regierung, die noch keine Daten über die Befolgung des Streiks nennen wollte, gestand ein, daß der Aufruf zum Ausstand massiv befolgt wurde. Regierungschef Felipe Gonzalez mußte vor der Presse Neuwahlen im nächsten Jahr ausschließen; über vorgezogene Wahlen war heftig spekuliert worden. Gonzalez kündigte an, er wolle sich erneut mit den Gewerkschaften an den Verhandlungstisch setzen. Befriedigt zeigten sich alle Seiten darüber, daß zumindest bis zum Nachmittag die von manchen befürchteten Auseinandersetzungen mit der Polizei ausgeblieben waren. Lediglich in einigen Städten hatte es kleinere Scharmützel zwischen Streikposten und der Polizei gegeben. Im Laufe der Nacht waren einige Personen bei dem Versuch festgenommen worden, die Eingangsportale von Banken zu überkleben.
In Madrid herrschte ein Art angespannter Sonntagnachmittagsruhe. Die städtischen Busse hatten den Betrieb fast völlig eingestellt, die U-Bahn fuhr nur gelegentlich, die Industriesiedlungen am Stadtrand lagen wie ausgestorben. Sämtliche Geschäfte waren geschlossen, es gab keine Zeitungen, in der Hauptpost hatten nur wenige Schalter geöffnet. Bars und Restaurants waren leer, und noch nicht einmal aus der Konditorei „La Majorquina“ an der Puerta del Sol drang der übliche liebliche Tortenduft. Selbst die Untergrundwirtschaft streikte: Die ambulanten Zigarettenverkäufer waren zu Hause geblieben. Von den etwa 30 Prostituierten auf dem Billigstrich in einer Staße des Zentrums hatten sich nur zwei eingefunden. „Ich mache doch keinen Hungerstreik“, erklärte eine der beiden der taz. Unter die Familien, die sich - trotz der Warnungen vor Revolten und Brandsätzen - zu einem Feiertagsspaziergang aus dem Haus getraut hatten, mischten sich Gruppen resoluter Gewerkschafter, die siegesfroh fahnenschwenkend durch die Innenstadt zogen. Teil zwei der Mobilisierung, die Massendemonstration, soll am morgen folgen.
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