: „Erhebliche Durchseuchung“
■ In internen Schreiben an ihren Ärztlichen Direktor beklagen zwei Ärzte des Krankenhauses Ost die hygienischen Zustände / Probleme: Abteilung Chirurgie und Ansteckungsgefahr durch offene TBC
Fall 1: Frisch Operierte liegen neben PatientInnen mit ansteckenden Krankheiten auf derselben Station, außerdem PatientInnen, die lediglich zur Diagnose eingeliefert sind. Als „undurchführbar“ hat sich der Versuch einer räumlichen Trennung durch geschlossene Flurtüren erwiesen; weil PatientInnen und Besuch nicht von den Gängen fernzuhalten und über Monate auch gar nicht zu isolieren sind, „kommt es bereits zu einer erheblichen Durchseuchung“.
Nicht etwa von der St.-Jürgen-Klinik ist hier die Rede, sondern vom Zentralkrankenhaus Ost, Station 51. In einem internen Schreiben vom 6.9.88 an den Ärztlichen Direktor, Dr. Horkenbach, das der taz zugespielt wurde, nimmt der leitende Arzt der Chirurgischen Klinik und der Lungen -Chirurgie Ost, Dr. H. Lüllig, kein Blatt vor den Mund. Er spricht von „vermehrt infektiösen postoperativen Verläufen“, also von einem Anstieg der Ansteckungen nach Operationen, in den letzten zweieinhalb Monaten und führt das auf den Personalnotstand zurück, der durch „Krankenpflegehelferinnen, Schülerinnen und Zivildienstleistende nur notdürftig aufgefüllt“ werde. Die hätten aber „keine Ahnung von den
Grundregeln der Hygiene“.
Fall 2: „Weitgehende Sorglosigkeit“ im Umgang mit Patienten, die eine offene Lungentuberkulose (TBC) haben, konstatiert „unter Umgehung der Hygienekommission“ Prof. W. Hartmann, Lungenspezialist der ehemaligen Holtheimer Klinik, in einem vertraulichen Brief vom 29.9.88 an denselben Ärztlichen Direktor: „In der Tat werden dadurch Mitarbeiter unnötig gefährdet.“ Auch dieses Schreiben liegt der taz vor. Seitdem das Lungen-Krankenhaus Holtheim im letzten Dezember aufgelöst und die TBC-PatientInnen nach Bremen-Ost überwiesen wurden, ist das Krankenhaus vor erhebliche hygienische Probleme gestellt.
Der Anruf der taz im Krankenhaus spricht sich wie ein Lauffeuer herum. „Woher haben Sie die Briefe?“, ist die erste Frage. Aber dann stehen drei Ärzte wie ein Mann und haben erklärtermaßen vor allem eins im Sinn: Schaden vom Krankenhaus abzuwenden. „Alles ist sehr gut geworden“, und „ich habe da keine Probleme“, erklärte Prof. Hartmann: Sein Brief sei inzwischen überholt. „Es gibt weltweit anerkannte Hygiene-Regeln - das wußten die alle gar nicht“ - aber jetzt, nach intensiver Mitarbeiter
Aufklärung gegen „Betriebs blindheit und Routine“, habe er keinen Grund zur Beanstandung mehr, außerdem habe sich „in sechs Jahren nicht ein Mitarbeiter infiziert“. Hartmann konnte sich durchsetzen mit seinem Vorschlag, nicht die TBC-Kranken aus ihrem separaten Gebäude Haus 5 über Trage und Wagen ins Haupthaus zu fahren, sondern möglichst bei erforderlichen Untersuchungen dem Arzt den Weg zuzumuten und so das Ansteckungsrisiko durch die Atemluft zu vermindern.
Auch Dr. Lüllig spricht jetzt gegenüber der Presse von einer „völligen Entspannung der Situation“. Alle Stellen seien wieder besetzt. An den von ihm selbst beanstandeten räumlichen Gegebenheiten auf Station 51 ändert sich nichts. „Als Kontrolle und zur Absicherung“, so erklärte gegenüber der Ärztliche Direktor, habe man eigens das staatliche Hygiene-Institut sowie Vertreter des Hauptgesundheitsamtes zum Ortstermin gebeten und einhellig die Unbedenklichkeit der Zustände bescheinigt bekommen. Horkenbach: „Zu ändern war nichts!“ Und nur „vorgeschoben“ sei das Hygiene-Problem, um Personalpolitik zu machen und „Personalvermehrung“ zu
betreiben. „Wir haben Herrn Lüllig einvernehmlich korrigiert“, faßte Dr. Schottky von der Hygiene-Kommission das Gesprächsergebnis zusammen. Lüllig: „Da
mit habe ich mich jetzt abzufinden.“ Neuerung: Man führt Buch und zählt aus, ob die Infektionen nach Operationen tatsächlich ansteigen. Susanne Paa
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