: Abtreibung und Tötungsvorwurf
■ Grüne Frauen debattierten über die feministische Antwort auf den „Tötungsvorwurf“ der LebensschützerInnen / Seit den 70er Jahren hat sich der gesellschaftliche Diskurs verändert / Sind neue Argumentationen notwendig?
Ursel Sieber
Nein, diesmal ging es nicht darum, das Beratungsgesetz zum x -ten Male zu zerpflücken. Diesmal wollten die grünen Fraktionsfrauen das Thema Abtreibung jenseits der Tagespolitik beleuchten, und haben deshalb zu einer Diskussion nach Bonn eingeladen, der sie ganz provokativ den Titel „Abtreibung neu diskutieren“ gaben. Ein Forum, das von der Presse kaum beachtet wurde und doch den Rahmen bot zu einer fundierten Debatte, wie sie gerade innerhalb der Grünen nur selten geführt wird: Gesucht wurde eine feministische Antwort auf den Tötungsvorwurf der Abtreibungsgegner. Gefunden wurde sie noch nicht - aber vielleicht gelingt es der Frauenbewegung ja auch über solche Debatten, in der Öffentlichkeit wieder ein bißchen in die Offensive zu kommen.
Die Idee kam im wesentlichen von der Abgeordneten Verena Krieger und ihren Mitarbeiterinnen. „Wir wollen eine Debatte um den Tötungsvorwurf anzetteln; wir wollten verschiedene Frauen an einen Tisch bringen und kritisch überprüfen, wo eigene Argumentationen nicht ausreichen oder in der Konsequenz sogar frauenfeindlich sein können“, sagt sie. „Die traditionellen Argumente der Frauenbewegung gegen das Abtreibungsverbot sind nach wie vor gültig, aber sie verlieren in der aktuellen Debatte an Gewicht“, meint sie und fügt hinzu: „Der Diskurs um Abtreibung hat sich seit den siebziger Jahren erheblich verändert, und die Frauenbewegung muß sich darauf einstellen, wenn sie politisches Terrain gewinnen möchte“. Ein anderer Diskurs
Für die siebziger Jahre war nach Meinung der grünen Frauen charakteristisch, daß Frauenbewegung und Abtreibungsgegner „völlig aneinander vorbei“ die eigene Grundhaltung zum Ausdruck brachten: Die Frauenbewegung setzte sich mit dem Tötungsvorwurf nicht näher auseinander, sondern hielt dem abstrakten Postulat des Lebensschutzes einfach das Recht auf Selbstbestimmung entgegen. Die Frauen argumentierten mit ihren Erfahrungen und sprachen über die furchtbaren Auswirkungen des Abtreibungsverbots, während die Abtreibungsgegner nur abstrakte moralische Forderungen hochhielten, die mit den Alltagsnöten der Frauen herzlich wenig zu tun hatten. Dadurch gelang es der Frauenbewegung damals mit ihrer Forderung nach einer Streichung beziehungsweise Liberalisierung des Abtreibungsverbots, in der Gesellschaft „hegemonial“ zu werden.
Das ändert sich zu Beginn der achtziger Jahre. Der „aufgeklärte“ Flügel der Konservativen greift Argumente von Feministinnen auf und beherrscht mit „frauenfreundlich aufgepeppten Angeboten“ zunehmend den öffentlichen Abtreibungsdiskurs. Verena Krieger zitiert CDU-Flugblätter, auf denen es etwa heißt: „Väter tragen auch Verantwortung. Rund 200.000 Abtreibungen im Jahr! Ein erschreckender und nicht hinnehmbarer Tatbestand.“ Die feministische Kritik am mangelnden Verantwortungsgefühl der Männer wird hier nahtlos in eine konservative Lebensschutz-Ideologie einbebunden und damit auf den Kopf gestellt.
Anders sieht sie es für die Frauenbewegung aus: Auch dort setzen sich inzwischen Frauen mit den Argumenten der Abtreibungsgegner auseinander, allerdings nicht bewußt, sondern „eher als hilflose Reaktion auf die seit einigen Jahren größer werdende Legitimationszwänge“. So diskutieren zwar auch immer mehr Feministinnen über den Tötungsvorwurf, beziehen sich jedoch, wie Verena Krieger meint, „unkritisch auf Denkmuster aus der konservativen und christliche Ehtik“ und „erzeugen damit Brüche in der eigenen Argumentation“. Diese Kritik bezieht sich auch auf Frauen, die heute den §218 mit der Gentechnik verknüpfen und behaupten, man könne die ersatzlose Streichung des §218 nicht mehr fordern, weil dadurch die Ablehnung von Embryonen-Experimenten unglaubwürdig werde. Der Tötungsvorwurf
Gibt es nun eine feministische Antwort auf den Tötungsvorwurf? Die Hamburger Journalistin Susanne von Pacensky war als Referentin geladen und ihre Antwort auf diese Frage bestimmte den Verlauf der Diskussion. Susanne von Pacensky bekennt, daß sie lange Zeit „überhaupt keine Lust hatte, sich mit dem Tötungsvorwurf der Konservativen und Kirchenmänner zu befassen“. Doch seit die Lebensschützer den Frauen wieder auf den Pelz rücken, seit sie immer häufiger emanzipierte Frauen und aufgeklärte Männer traf, die durch den scheinbaren Gegensatz von Lebensschutz und Selbstbestimmungsrecht verunsichert waren, ist sie zu dieser Auseinandersetzung fest entschlossen. Auch sie meint, daß die Frauenbewegung einen feministischen Standpunkt zum Tötungsvorwurf formulieren muß.
Drei Thesen hat Susanne von Pacensky vorgetragen:
1. Hinter diesem konservativen Lebensschutz-Postulat verbirgt sich eine allgemeine Frauenfeindlichkeit, die jede Eigenständigkeit der Frau bekämpft. Inmitten einer allgemeinen Bedrohung, die durchweg von Männern ausgeht, werden Frauen als die eigentlich Gewalttätigen dargestellt als wäre das Leben nur von Frauen bedroht: „Natürlich läßt sich darüber reden, daß ein Schwangerschaftsabbruch eine Form von Gewalt darstellt“, sagt sie. Und ergänzt: „Aber in mir staut sich großer Unwille an, wenn das einzige Delikt, wo Frauen gewalttätig sein können, so hochgespielt wird.“
2. Die Konservativen benutzen Bilder und Worte, die „verwirren und einschüchtern sollen“. Die embryonale Form löst Rührung aus („Kindchenschema“), ist jedoch noch kein Beweis für das menschliche Leben: „Diese Rührung hat mit dem menschlichen Leben nichts zu tun“, betont sie. Denn auch ein Affenembryo habe Herzschlag, Rückenmark und Füßchen; das Leben meine nicht automatisch den Menschen. Susanne von Pacensky warnt vor falschen Bildern: „Es sind noch keine Kinder, es sind Embryonen.“
3. Der Tötungsvorwurf geht selbstverständlich von einer Symbiose aus, als stünden sich zwei Individuen gegenüber: Das eine (die Frau) tötet demnach das andere (den Fötus). Eine Schwangerschaft sei jedoch eher eine „Herstellungsgemeinschaft“, die nicht zwangsweise eingefordert werden könne. „Gerade weil das Tötungstabu nicht relativiert werden darf, müssen sich Feministinnen wehren, wenn Abtreibung als Tötung bezeichnet wird“, sagt Susanne von Pacensky. Sie redet statt dessen von Trennung, Verzicht oder Scheitern: „Auch eine Ehescheidung wird sehr unterschiedlich verarbeitet, und auf einer ganz ähnlichen Ebene möchte ich gerne die Abtreibung sehen.“
Wahrscheinlich wäre die Debatte sehr viel hitziger verlaufen, wenn grüne Abgeordnete mit einer wertkonservativen und theologischen Tradition zu diesem Forum gekommen wären. So formulierte Christiane Wessels, eine Mitarbeiterin der evangelischen Beratungsstelle in Bielefeld, die Position, daß „Abtreibung in jedem Fall eine Tötung menschlichen Lebens“ sei. Allerdings sieht sie einen „deutlichen Unterschied“, ob ein ungeborener oder ein geborener Mensch getötet wird . Den Konsens der Diakonie Westfalen referierte sie so: Den Konflikt zwischen dem Lebensrecht des Ungeborenen und der Mutter lasse sich nicht lösen, ohne daß man im theologischen Sinn „schuldlos“ bleibt.
Was ist denn nun das Leben, entgegnete Susanne von Pacensky, ist das menschlich oder ist das das Frühstücksei, das ja auch gekocht worden ist? Das mit dem Frühstücksei führe ihr zwar zu weit, gab Christiane Wessels zur Antwort, aber „wir können nicht leben, ohne zu töten“. Susanne von Pacensky drückte an dieser Stelle ihr Anliegen sehr klar aus: „Ich möchte nicht sagen, Abtreibung ist Tötung, aber das ist nicht so schlimm. Ich möchte die Achtung vor dem Menschen sehr hochhalten.“
Die Abgeordnete der Grünen Waltraud Schoppe stellte in Frage, ob die Argumente der Hamburger Journalistin tatsächlich aus der Defensive führen können: Alle wüßten doch, daß die Frau keinen Affen auf die Welt bringe, gerade daher rühre ja der Konflikt: „Du relativierst das wieder durch den Vergleich mit dem Frühstücksei.“
Susanne von Pacensky versuchte es noch einmal: Keiner Frau wolle sie ausreden, daß eine Schwangerschaft als Symbiose empfunden werden kann. Und doch gebe es einen „Schwall von falschen Bildern“, seit „einem die Lebensschützer so auf die Pelle rücken“. Sie beharrte auf ihrem Standpuntk: „Wir haben uns daran gewöhnt, den Menschen in seiner Vorankündigungsform als Menschen zu sehen - und es ist doch noch kein Mensch.“
Conny Hühn, Mitarbeiterin des feministischen Frauengesundheitszentrums in Frankfurt, brachte den „alten Blick der Frauenbewegung“ in die Debatte: „Ich werde dem Tötungsvorwurf weder antworten noch ihn zu widerlegen versuchen.“ Er ist das Problem derjenigen, die ihn formulieren, sagt sie. Dem Tötungsvorwurf zu antworten, das hieße in ihren Augen, sich auf die Logik der Abtreibungsgegner einzulassen.
Conny Hühn analysierte statt dessen, woher der Tötungsvorwurf kommt. „Gebärneid“ und „Abtreibungsangst“ lauten ihre Stichworte: Aus Wut und Trauer, selbst „unerwünscht“ und ungeplant auf die Welt gekommen zu sein, machten sich die Gegner der Abtreibung zu „ungebetenen Sprechern von Embryonen“. Die Funktion des Tötungsvorwurfs faßte Conny Hühn so zusammen: Frauen dürften nach einer Abtreibung nicht erleichtert und gestärkt nach Hause gehen, sie stünden unter einem gesellschaftlichen „Leidenszwang“. Darum müsse sich die Frauenbewegung gegen den Konfliktbegriff wehren; er diene nur dazu, Frauen zu denunzieren.
Auch sie führte den Tötungsvorwurf letztlich auf tief verankerte Frauenverachtung zurück: Es sei ein historisches Novum, daß in dieser Gesellschaft Embryonen so früh als „Kinder“ personifiziert würden und für den Embryo eine völlig einseitige Parteinahme erzwungen werden soll: „Die Anwaltschaft für die Leibesfrucht gegen die Frau stellt eine massive Form von Frauenverachtung dar, und zwar in der Negation der Frau als Subjekt.“
Aber wie konnte es zu dieser „einseitigen Parteinahme für den Embryo“ kommen? Helga Satzinger, Biologin und Feministin, zeigte, wie eng der Vorwurf, Frauen töteten bei einer Abtreibung einen „unabhängigen“ Menschen, mit der modernen Medizin und Naturwissenschaft verbunden ist: Mit dem Ultraschall habe die moderne Medizin den „öffentlichen Embryo“ erst erfunden; die falschen Bilder habe die Naturwissenschaft erst einmal hergestellt.
Die Isolation des Embryos aus der biologisch-sozialen Einheit mit der schwangeren Frau sei im §218 rechtlich und moralisch festgeschrieben worden, sagt Helga Satzinger. Die Gentechnik setze diesen Prozeß fort; nun werde der „unabhängige Embryo“ auch technisch und stofflich geschaffen.
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