: Die Zell-Teilung der Gen-Kritiker
In Marburg, wo das erste öffentliche Genehmigungsverfahren einer gentechnologischen Anlage in der Bundesrepublik läuft, spaltet sich der Widerstand / Autonome sprengen Veranstaltung der Bürgerinitiative ■ Von Antje Friedrich
Marburg (taz) - Mit der Parole „Kein Dialog mit den Behringwerken“ sprengten radikale GentechnologiegegnerInnen und Autonome Ende vergangener Woche eine Podiumsdiskussion der Marburger Bürgerinitiative „FraGEN“, bei der neben KritikerInnen des Projekts auch ein Behring-Sprecher zu Wort kommen sollte. Durch ein lautstarkes Konzert mit Hupen, Pfeifen und einem Megaphon verhinderten sie im mit etwa 400 Menschen vollbesetzten Hörsaal den Vortrag eines Konzernmitarbeiters.
Vor dem Podium sammelten sich unterdessen sieben in weiße Overalls gehüllte Frauen, unter ihnen eine Rollstuhlfahrerin mit dem Schild „Spontanmutation“. Durch Zusammenrücken formten sie mit Buchstaben auf ihren Rücken die Worte „Klonen - nein danke“ sowie die zitierte Dialogverweigerungsformel und setzten die Verlesung zweier Beiträge durch. Darin griffen sie unter anderem die Haltung der Bürgerinitiative an, die durch ihren „Bürgerdialog den Behringwerken die Drecksarbeit der Öffentlichkeitsarbeit abnimmt“.
Mit dieser Aktion deutet sich in Marburg eine Auseinandersetzung an, wie sie von Projekten in Gorleben, Wackersdorf oder Mörfelden bekannt ist. Die kritischen Geister scheiden sich an der Frage, wie der Widerstand gegen das erste öffentliche Genehmigungsverfahren einer gentechnischen Anlage in der Bundesrepublik zu laufen hat.
Der Behring-Konzern will in der geplanten Produktionsanlage mittels gentechnisch veränderter Mäusezellen Erythropoietin (EPO) herstellen (siehe taz vom 5.8. 88), ein Stoff, der die Bildung roter Blutkörperchen anregt.
Mit der Bürgerinitiative „FraGEN“, einem breiten Bündnis von rund 25 Gruppen vom Marxistischen Studentenbund über Gewerkschafter bis zu den Marburger Grünen, hatte seit Mitte Oktober eine Initiative Informationsveranstaltungen zu zahlreichen Themen, die mit der Gentechnologie in Zusammenhang stehen, veranstaltet. Dabei war stets - en bloc - auch eine große Anzahl der Behring-Belegschaft unter den ZuhörerInnen, die gegen die kritischen Beiträge protestierten. Sie argumentieren mit der Schaffung von 1.500 Arbeitsplätzen. Während die Bürgerinitiative und die radikalen GegnerInnen noch bis in den November hinein planten, die erste bundesdeutsche Demonstration gegen Gentechnik gemeinsam durchzuführen, ist nun ein tiefer Riß entstanden.
In einem Gespräch mit „FraGEN“ und einem offenen Brief im alternativen Stadtmagazin 'Express‘ forderten die Autonomen die Bürgerinitiative auf, künftig keine Sprecher des Konzerns zu den Diskussionen einzuladen. Zur Begründung hieß es unter anderem, daß die Behring-Sprecher „über öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen ihr Projekt am besten verkaufen und die Richtung der Auseinandersetzung bestimmen können“.
Wenn die Diskussion jedoch im wesentlichen über sicherheitstechnische Aspekte - wie der Größe der Produktionsanlage oder die mögliche Verhinderung eines Entweichens gentechnisch veränderter Mikroorganismen geführt werde, habe man die Technologie „im Grunde bereits akzeptiert“. Franz-Josef Hanke, Mitglied von „FraGEN“, hält dem entgegen: „Man kann das Verhältnis zu einer neuen Technologie nur klären, indem man die mit ihr verbundenen Möglichkeiten und Gefahren abwägt. Am Ende einer solchen Diskussion kann dann die Bewertung stehen.“
Die Autonomen allerdings haben inzwischen keine Lust mehr, „FraGEN“ zu stellen. Dies hieße für sie, wie sie sagen, daß „immer nur eine Partei fragt und die andere antwortet“. Die Bürgerinitiative ihrerseits bedauert die nun entstandene „Polarisierung“. In der Aktion der Autonomen sehen sie allerdings eine so starke „Entmündigung der Bevölkerung, daß (sie) nicht mehr an die Möglichkeit glauben, eine Demonstration gemeinsam durchführen zu können“. Diese sollte nach den Vorstellungen der BI vor der Einreichung des Referentenentwurfs zum geplanten Gen-Gesetz der Bundesregierung im März stattfinden.
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