piwik no script img

„Ruhig verhalten, niemanden anstecken“

In Emlichheim in Ostfriesland trafen sich Junkies aus der ganzen Bundesrepublik, um ihre Erfahrungen mit dem Ersatzstoff Methadon auszutauschen / Die Aids-Angst läßt bei den Ämtern zwar geheiligte Bedenken über Bord gehen, doch das Ziel ist nicht die Hilfe für die Süchtigen, sondern „Schutz“ der Gesellschaft  ■  Von Irene Stratenwerth

„Sie lassen uns unsere Abhängigkeit spüren wie noch nie“, sagt Gudrun (Name geändert - d.Red.) aus Düsseldorf, „aber wir müssen das miese Spiel mitspielen, um unser Methadon zu bekommen. Und alle warten doch nur darauf, daß wir einen Fehler machen.“

Gudrun mußte das dreitägige Treffen, das Ende vergangener Woche im ostfriesischen Emlichheim stattfand, vorzeitig verlassen. Und einige ihrer MitstreiterInnen vom Düsseldorfer „Junkiebund“ hatten gar nicht erst mitfahren können. Das Düsseldorfer Gesundheitsamt nämlich hatte es abgelehnt, ihnen ihre Methadonration für zwei Tage mitzugeben. Und ein ortsansässiger Arzt, der zunächst zugesagt hatte, die Methadonbehandlung für die SeminarteilnehmerInnen zu übernehmen, hatte nach Rücksprache mit der niedersächsischen Ärztekammer abgewinkt: Dort hatte man ihm erklärt, die sogenannte „Substitutionsbehandlung“ sei nicht einmal bei Aids-kranken Drogenabhängigen angezeigt.

Daß in einem Bundesland von Staats wegen verabreicht wird, was im anderen noch mit Verboten belegt wird, gehört zum Alltag der etwa 40 TeilnehmerInnen des Treffens, zu dem die Deutsche Aids-Hilfe e.V. eingeladen hatte. Der überwiegende Teil von ihnen waren „Betroffene“: Junkies, Ex-Junkies und neueste Wortschöpfung - „Substies“: Drogenabhängige, die mit Hilfe eines Ersatzmedikaments um den Ausstieg aus Illegalität und Verelendung kämpfen.

Neben TeilnehmerInnen des nordrhein-westfälischen Methadonprogramms waren das die ersten „Nutznießer“ der Hamburger Regelung, nach der Ärzte in Abstimmung mit einer Kommission der Ärztekammer Methadon im Einzelfall verschreiben können. Und, aus verschiedenen Teilen der Bundesrepublik, PatientInnen von ÄrztInnen, die inzwischen eine Substitutionsbehandlung auf eigenes Risiko durchführen

-meistens mit dem Hustenmittel „Remedacen“, das noch nicht unter das Betäubungsmittelgesetz fällt.

Für Hunderte von Drogenabhängigen, die inzwischen mit diesem Mittel leben, könnte der Rückfall in die Drogenszene vorprogrammiert sein, wenn wie beabsichtigt Remedacen im Laufe des kommenden Jahres unter Betäubungsmittel -Rezeptpflicht gestellt wird.

Die Unsicherheit über ihre weitere Zukunft verband denn auch alle „Substies“. „Der Boden, auf dem dieses Methadonprogramm ausgehandelt wurde, ist unheimlich dünn“, erklärt Dieter Sawalis, Drogentherapeut und einziger Nichtabhängiger im Düsseldorfer Junkiebund.

Und auch Helmut Ahrens, Drogenreferent der Deutschen Aids -Hilfe, kann eine grundsätzliche Wende in der staatlichen Drogenpolitik nicht erkennen. Der Faktor Aids habe zwar öffentlich gemacht, daß der Staat nur repressive Antworten auf das Drogenproblem habe, aber bislang sei nichts erfolgt als „die Erweiterung gescheiterter Konzepte“. Für die Deutsche Aids-Hilfe gelte im Gegensatz zum „Clean-Dogma“ der herkömmlichen Drogenarbeit der Grundsatz der „Akzeptanz unterschiedlicher Lebensstile“ - eben auch des Drogenkonsums.

Für Desillusionierung sorgten Vertreter aus den Niederlanden, aus bundesdeutscher Perspektive ein Eldorado fortschrittlicher Drogenpolitik. „Ihr sprecht über Methadon wie über ein Wundermittel“, meint ein Vertreter des Amsterdamer Junkiebundes, „dabei ist Methadon auch ein Mittel, uns vom Staat abhängig zu machen.“ Auch in den Niederlanden sei die Methadonvergabe an ein System von Kontrolle und Strafe gebunden, die Grenzen zwischen Gesundheitsämtern und Justizbehörden seien zunehmend fließend.

Ob die Forderung nach staatlichen Methadonprogrammen - und nicht vielmehr nach Verschreibungsmöglichkeiten für alle Hausärzte - überhaupt im Interesse der Junkies sei, wurde so zu einem der Diskussionspunkte der Tagung. Die Erfahrungen aus Nordrhein-Westfalen scheinen in dieser Beziehung wenig ermutigend. In Bochum und Essen zum Beispiel seien die Zugangsbedingungen zu diesen Programmen so hoch angesetzt, daß von den jeweils 25 Plätzen nur eine Handvoll besetzt sei.

In Düsseldorf müssen sich die TeilnehmerInnen unter anderem einem HIV-Test und verschiedenen Psychotests unterziehen: unter anderem müssen sie täglich eine Linie auf einem weißen Blatt Papier ziehen, um damit Auskunft über ihre psychische Tagesform zu geben.

In Hamburg ist der bürokratische Aufwand bei der Antragstellung so hoch, daß er eigentlich nur von Betroffenen zu bewältigen ist, die sich schon in einer „grauen“ Substitutionsmaßnahme befinden. „Wir haben zwar alle möglichen Pflichten, aber ein soziales Begleitprogramm, zum Beispiel Unterstützung bei der Wohnungssuche etc., gibt es nicht“, erklärt Gudrun aus Düsseldorf. So waren sich die „Substies“ denn auch einig, daß der Staat von ihnen keine wirkliche Wiedereingliederung in die Gesellschaft erwarte: „Die wollen von uns nur, daß wir uns ruhig verhalten und niemanden anstecken.“

Ruhig und isoliert eine weiterhin elende Existenz ertragen

-genau diesem Schicksal aber wollen die TeilnehmerInnen dieses ersten Selbsthilfetreffens entkommen. Die Diskussion um gemeinsame Forderungen steht noch am Anfang, genauso wie der Aufbau und die bundesweite Vernetzung von Junkiebünden. Aber immerhin, ein weiteres Treffen für das kommende Frühjahr wurde vereinbart. Und daß es nach 20 Jahren Drogenelend in der Bundesrepublik erstmals wieder Ansätze einer Selbstorganisation von Junkies gibt - das wäre ohne die Hilfe von Ersatzdrogenprogrammen kaum denkbar gewesen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen