: Reaktorfahrer starb an Blutkrebs
Biblis-Mitarbeiter gehörte zur Störfall-Mannschaft vom Dezember '87 / Berufskrankheit Leukämie? ■ Von Blum & Kriener
Wiesbaden/Biblis (taz/dpa) - Der Reaktorfahrer der Bedienungsmannschaft im Atommeiler Biblis ist an Blutkrebs gestorben. Das bestätigte gestern der Staatssekretär im hessischen Umweltministerium, Manfred Popp. Der RWE -Mitarbeiter gehörte zu der ersten Schicht, die am 16. Und 17. Dezember 1987 den Beinahe-GAU in Biblis verursachte. Im April dieses Jahres erkrankte der Mann plötzlich an Leukämie und starb im Mai. Nach Angaben Popps besteht zwischen den Störfällen in Biblis und dem plötzlichen Tod des Mannes angeblich kein Zusammenhang. Der Mitarbeiter habe bei den Pannen keine Strahlung abbekommen. Bei einer arbeitsmedizinischen Untersuchung des Mitarbeiters sei im September 1987 keine über dem zulässigen Grenzwert für diese Berufsgruppe liegende Strahlenbelastung ermittelt worden.
Zu der Frage, ob auch kleinste Strahlenmengen die Gesundheit schädigen können, gebe es keine gesicherten Erkenntnisse, sondern nur unterschiedliche wissenschaftliche Auffassungen. Dagegen erklärte der Radiologe und Strahlentherapeut am Wiesbadener Klinikum, Dr. Gerd Schneider, gegenüber der taz: „Es gibt keine feste Dosis/Wirkungsbeziehung. Die tatsächliche Strahlenbelastung ist im Regelfall höher als die von den Dosimetern gemessene.“ Nach Auskunft des Mediziners ist der Nachweis einer durch erhöhte Strahlenbelastung ausgelösten Leukämie schwierig. Gleichwohl gebe es einen akuten Blutkrebs, der wie bei dem Biblis-Mitarbeiter - schnell zum Tode führe.
Ein Sprecher der zuständigen Berufsgenossenschaft „Feinmechanik und Elektrotechnik“ sagte der taz, daß man in einem „routinemäßigem Verfahren“ der Sache nachginge. Es sei zu prüfen, ob das Leiden als Berufskrankheit anzuerkennen sei. Für Dr. Renz ist der Vorfall jedoch „nichts, was mit den Störfällen in Verbindung steht“. Die Staatsanwaltschaft Darmstadt wird den vom BBU in einer Strafanzeige gegen die Biblis-Betreiber vorgebrachten Sachverhalt prüfen. RWE lehnte jede Stellungsnahme ab: „Die Nachricht sorgt bei unseren Mitarbeitern und deren Familienangehörigen für erhebliche Unruhe.
Der schwere Biblis-Störfall wird weitere Konsequenzen nach sich ziehen. Hessens Umweltminister Weimar, der bisher die schwerwiegende Bedeutung des Zwischenfalls bestritten hatte, kündigte gestern die vorgezogene Abschaltung des Biblis -Reaktors für den 21. Dezember an sowie personelle Konsequenzen „oberhalb des Schichtpersonals“. Weimar nannte zwar keine Namen, aber allgemein wird vermutet, daß Kraftwerksdirektor Fred Meier gefeuert wird. Meier hatte unter anderem den Störfall als Folge des „allgemeinen Trubels im Anfahrbetrieb des Reaktors“ bezeichnet. Die Bürgerinitiativen werten die vermutete Entlassung Meiers als endgültiges Eingeständnis, daß sich in Biblis eben doch ein gravierender Störfall ereignet hat.
Weimar, der nach gerichtlicher Anordnung ein aufsichtliches Gespräch mit der Betreiberfirma RWE führen mußte, kündigte gestern außerdem eine Reihe technischer Veränderungen an.
Die vorgezogene Stillegung wurde vom RWE mit dem ohnehin anstehenden Brennelementwechsel begründet. Aufgrund der Änderungsliste von Weimar sei die Abschaltung vorgezogen worden. Weimar will am 3. Januar über den Zeitpunkt der Wiederinbetriebnahme entscheiden. Mit der Abschaltung von Block A wird das Kraftwerk bis Anfang Januar komplett stillegen, da Block B wegen eines Lecks ohnehin abgeschaltet ist.
Die Grünen in Hessen haben die Maßnahmen Weimars als unzureichend und verspätet kritisiert. Ihr Sprecher Georg Dick sagte, Der Minister sei erst auf Druck des Verwaltungsgerichts Kassel tätig geworden und inszeniere jetzt einen „faulen Zauber“. Atom-Bückling Weimar traue sich aber nicht, die Zuverlässigkeit des Betreibers RWE ernsthaft in frage zu stellen.
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