: „Da ist, verdammt nochmal, das Land gefordert“
■ taz-Streitgespräch über die Folgen der AfG-Novelle mit Heinz Möller (Bremer DBG-Chef, Ernst Domino (Arbeitsamts-Direktor), Dagmar Lill (Abteilungsleiterin im Arbeitsressort), Agnes Wiechert (AG arbeitsloser Bürger) und Niko Diemer (Netzwerk)
taz: Was kommt im Januar auf die Bremer Arbeitslosen zu?
Agnes Wiechert (AGAB): Die Fakten sind klar: Die AfG-Novelle ist verabschiedet. Die Zahl der Arbeitslosen wird steigen. Und die kleine Perspektive, die bisher blieb - ABM, Fortbildung oder Umschulung - wird immer kleiner. Die Arbeitslosen sind total verunsichert. Und gleichzeitig sind wir als Arbeitslosenprojekt auch selbst gefährdet, weil wir von ABM-Stellen abhängig sind.
Bislang hat die Arbeitslosigkeit zumindest dazu geführt, daß die Verwaltung dieses Problems gewachsen ist. Was für ein Anteil dieser Beratungsarbeit ist selber auf ABM angewiesen?
Wiechert: Ein Drittel bis die Hälfte auf jeden Fall.
Macht der DGB seine Beratungsarbeit auch mit ABM-Stellen?
Heinz Möller (DGB): Nein, unsere Arbeitslosenberatung auf ABM-Basis läuft gerade aus und wird spätestens ab April in Kooperation mit den Arbeitnehmerkammern mit fünf Planstellen weiterarbeiten. Das ist ja auch das Ziel von ABM.
Wiechert: Genau das haben wir auch vor. Wir wollen natürlich auch Personalmittel haben, damit die AGAB als ältestes Arbeitslosenzentrum bestehen bleiben kann.
Haben Sie für die AGAB mitverhandelt?
Möller: Nein.
Wiechert: Da hört die Solidarität auf...
Möller: Nein, ich kann mich nicht erinnern, daß die AGAB um Unterstützung des DGB gebeten hat.
Ernst Domino (Arbeitsamt): Die Unsicherheit ist sicherlich sehr groß - auch für das Arbeitsamt selber. Wir erfahren vieles auch nur aus der Zeitung. Wir haben vor einer Woche versucht, die Linie für das kommende Jahr festzulegen. Man kann von einer sehr restriktiven Handhabung ausgehen. Wir haben im Bereich von Fortbildung und Umschulung einen Handlungsrahmen erhalten, der nur für ein zwei Monate ausreicht. Aber wir wissen noch nicht, wie lange wir damit haushalten müssen.
Aber von dem Punkt, an dem Sie sagen müßten, Sie können das nicht mehr verantworten, Sie schmeißen den Job hin, sind Sie noch weit weg?
Domino: So einfach geht es nicht. Auf der einen Seite gibt es die Verantwortung für den Apparat, aber es gibt auch eine Verantwortung für mich und meine Familie. So gerne ich manchmal etwas täte, so wenig bin ich letztlich realiter in der Lage dazu. Ich möchte mich ja nicht einreihen in das Heer der Arbeitslosen.
Niko Diemer (Netzwerk): Im ABM-Bereich wird es wirklich zu einer Zäsur kommen.
Domino: Bisher ist uns für das Jahr 1989 noch keine Handlungsgröße genannt worden. Aber ABM ist sicherlich ein Sektor, der sehr stark betroffen sein wird.
Diemer: Wir haben uns auf die Krücke ABM eingelassen. Das Spiel ist in Bremen bislang verhältnismäßig gut gelaufen. Es gibt eine bunte, vielfältige Trägerstruktur, um das Problem Arbeitslosigkeit und auch ein paar strukturpolitische Mängel anzugehen. Und da wird es jetzt wirklich zum Einbruch kommen. Es ist ganz klar, daß Projekte, die aufgrund ihres Klientels einfach keine Eigenmittel haben können, schon bei 90-prozentiger ABM-Förderung vor dem Aus stehen. Es gibt eine Prognose von minus 1.000 ABM-Stellen für Bremen. Das Bremer Arbeitsamt hat im letzten halben Jahr schon eine Praxis der vorbeugenden Einspa
rung betrieben. Die Stellen bei den autonomen Frauenprojekten sind um die Hälfte runtergekürzt worden von 52 auf 26. Ich denke, es ist eine politische Frage, ob die breite Trägerstruktur in Bremen erhalten bleiben soll. Das ist auch ein Stück Lebensqualität in der Stadt. Jetzt stellt sich die Frage, ob es gelingt, all diese Angebote und Dienstleistungen durch Bremer Mittel abzusichern. Zum Nulltarif wird es das nicht mehr geben.
Unsere Forderungen: Vorrang für die strukturpolitisch wichtigen selbstverwalteten Projekte bei der Verteilung des verbliebenen ABM-Kuchens, Aufstockung der ABM-Mittel auf 100 Prozent und Einstieg in Personalmittelförderung des Landes.
Domino: Im letzten Jahr hat es noch gar keine großen Einbrüche im ABM-Bereich gegeben. Die Mittel sind von 129 auf 122 Mio gesunken. Wir hatten aber in diesem Jahr erstmals mehr Anträge als Geld. Deshalb mußten wir ganz klar selektieren. Bisher wurden 80 Prozent der Maßnahmen mit 100 Prozent gefordert. Ich meine, daß man in einer Zeit, in der wir aufgerufen sind, Ausgaben zurückzunehmen, fragen müssen, was wollen wir mit dem Geld machen. Die Bundesanstalt erklärt, daß sie mit weniger Geld die gleiche Anzahl von Leuten erreichen will.
Für uns bleibt die Frage, in welche Projekte packt man das verbliebene Geld hinein. Ich meine, daß sicherlich bei der öffentlichen Verwaltung das Eigeninteresse an Maßnahmen größer ist, als es vielleicht bei Einzelmaßnahmen der sogenannten freien Träger ist.
Nun hat der Senat in seiner Suppenrunde schon mal über 14 Mio Mark Bremer Ausgleich für die AfG-Kürzungen geredet. Die sind aber nicht für den Projekt-Bereich gedacht, der jetzt selber 20 Mio fordert. Wie ist Ihr Ressort auf die Situation vorbereitet?
Dagmar Lill (Arbeitsressort): Zur Zeit sind wir außerstande, die tatsächlichen Konsequenzen zu quantifizieren, weil es nicht nur um die Auswirkungen der 9. AfG-Novelle geht, sondern darüber hinaus um weitere Einsparungen von über einer Milliarde Mark, die jetzt noch im Ermessensspielraum der Arbeitsämter erwirtschaftet werden müssen. Dies wird sich ganz besonders auch auf ABM-Politik auswirken.
Die Milliarde muß eingespart, nicht erwirtschaftet werden...
Lill: Ja, sie soll erwirtschaftet werden durch Einsparungsmaßnahmen. Die Selbstverwaltung des Arbeitsamtes wird zwischen den Jahren zusammenkommen und erneut über den Haushalt beraten. Erst auf der Grundlage dieser Beratungsergebnisse werden wir genau feststellen können, welche Auswirkungen sich für Bremen dann zeigen.
Es gab ja hier schon einen gewissen Gleichklang von Formulierungen zwischen Arbeitsamt und Projekte-Szene, was die Subventionierung des öffentlichen Dienstes durch ABM angeht. Gibt es beim Arbeitssenator eine Bereitschaft dafür, dieser Linie zu folgen und z.B. eine neue Stelle beim Kultursenator mal nicht zu genehmigen?
Lill: Wir sind uns einig, daß wir unter den erschwerten Rahmenbedingungen unsere Prioritäten auf solche ABM-Projekte gelegt werden sollte, die im Stande sind, auch über die ABM -Phase hinaus Beschäftigungsperspektiven aufzuzeigen. Das ist für uns immer das entscheidende Kriterium gewesen: Nicht Arbeitstherapie zu organisiseren, sondern ABM mit Ziel zu verwenden, am Ende ei
ner Maßnahme Chancen für Dauerarbeitsplätze zu entwickeln.
Gibt es also keine ABM-Stellen mehr im öffentlichen Dienst, bis der Stellenstopp beendet wird?
Lill: Wir dürfen den öffentlichen Dienst nicht als Gesamtheit sehen, dann hätten Sie recht. Aber es gibt auch noch Bereiche, die ausgebaut werden können. Beispiel: Recycling-Höfe.
Obwohl die Müllpolitik ja eigentlich eine staatliche Aufgabe ist.
Lill: AB-Maßnahmen haben die Funktion, hier eine Vorreiterrolle einzunehmen. Ich könnte mir auch einige Beispiele im kulturellen Bereich vorstellen.
Möller: Herr Diemer, Sie haben gesagt, daß die Krücke ABM viele gesellschaftlich notwendige Felder abdeckt. Das ist richtig und muß sehr wörtlich genommen werden. ABM hat nicht zum Ziel, Kulturpolitik zu fördern, sondern Strukturveränderungen zu befördern, um dadurch dauerhafte Arbeitsplätze zu schaffen. Ich bin auch der Auffassung, daß Kulturarbeit in den Stadtteilen gefördert werden muß, aber ob das mit ABM passieren muß, das wage ich sehr zu bezweifeln. Ich empfinde das als staatlichen Auftrag.
Ich bin sehr gerne bereit, einzutreten für eine besondere Fonds-Förderung von selbstverwalteten Betrieben, damit die endlich unabhängig werden von dem ABM-Instrumentarium.
Es ist natürlich schon sehr wider
sinnig, wenn der öffentliche Dienst auf der einen Seite mit Stellenstopp Arbeitsplätze abbaut und auf der anderen Seite der Eindruck entsteht, daß er den Stellenabbau mit ABM kompensiert.
Ich möchte endlich mal herauskommen, aus diesem sehr grob formulierten Widerspruch zwischen Gewerkschaften und Initiativen. Es müssen Rahmenbedingungen her, die die Möglichkeit bieten, über ABM Dauerarbeitsplätze zu schaffen. Das ist erstmal völlig unabhängig vom Träger.
Wenn ich Sie richtig verstehe, dann heißt das: Die AGAB hätte nie eine ABM-Stelle kriegen dürfen, denn die Perspektive dort einen Dauerarbeitsplatz zu schaffen, ist gleich Null.
Wiechert: Wenn immer nur auf den ersten Arbeitsmarkt orientiert wird, dann ist doch klar, daß nicht alle Arbeitslosen in AB-Maßnahmen einen Dauerarbeitsplatz erhalten können. Das ist doch illusorisch. Man muß auch einen Bereich schaffen, der sich von dieser herkömmlichen Vorstellung loslöst, wir könnten wieder Vollbeschäftigung bekommen.
Domino: Es war immer ein sehr geringer Prozentsatz der ABM -Stellen, der in Dauerarbeitsplätze umgewandelt wurde. Das sind weniger als zehn Prozent. Das wird auch nie anders sein.
Der DGB-Chef schiebt Euch auf einen langen Weg: Ihr sollt dem
Senat klar machen, daß die selbstverwalteten Kulturprojekte in den Stadtteilen Planstellen bekommen sollen.
Möller: Nein, ich habe gesagt, ABM ist dafür keine Perspektive, das sagen die doch auch selbst...
Diemer: Aber wir hatten bisher zumindest die Krücke ABM, und die bricht jetzt zusammen. Die Frage ist, ob wir mit verbundenen Augen zugucken wollen, wie hier in der Stadt ein Stück Lebensqualität kaputtgeht.
Der Bereich der selbstorganisierten Projekte hat im letzten halben Jahr sicher ein Drittel der Stellen eingebüßt. Nicht durch formale Ablehnung, sondern duch Aufschieben, durch das Arbeitsamt, das sich Zeit gelassen hat, die neue ABM -Anordnung umzusetzen. Da wurde erstmal gesagt: Die ganzen kleinen Träger raus.
Domino: Ihre Krücke ABM kracht deswegen zusammen, weil die Bundesanstalt kein Geld hat. Aber wo steht eigentlich geschrieben, daß Kulturarbeit bei freien Trägern grundsätzlich nach BAT 2 bezahlt wird?
Diemer: Das ist doch die Ausnahme.
Domino: Dann nehmen Sie drei. Selbstverständlich sind wir gut beraten, daß wir 1989 wesentlich weniger machen werden, als im vergangenen oder in diesem Jahr. Ich bin sicher, daß viele Maßnahmen schon deshalb am Leben bleiben, weil sie im Grunde aus
einer Bewilligung dieses Jahres stammen. 1989 werden wir so große Einbrüche noch gar nicht haben.
Es mag sein, daß die Zahl der Neubewilligungen zurückgeht. Und dann stellt sich die Frage: Wem gibt das Arbeitsamt 100 Prozent Förderung? Da würde ich immer sagen: Ein Arbeitsamt kann nur solche Maßnahmen zu 100 Prozent fördern, bei denen feststeht, daß dieser Träger die 100 Prozent aus eigenen Mitteln einfach nicht erbringen kann. Aber was Sie erwarten, daß wir für gewisse Gruppen eine Tabu-Zone schaffen, das kann ich als Verwalter des Arbeitsamtes nicht mitmachen.
Lill: Und der Senat wird es sich nicht erlauben können, ohne eine entsprechende politische Grundsatzentscheidung bestimmte Projekte mit konjunkturpolitischen Instrumenten zu fördern. ABM lebt ja von der Vorstellung, daß eine Arbeitsmarktkrise in drei, vier Jahre überwunden ist. So ist das AfG angelegt. Gerade hier in Bremen haben wir den Beweis geliefert, daß es bei anhaltender Arbeitslosigkeit sehr problematisch ist, mit dieser Krücke ABM zu leben.
Ein öffentlicher Arbeitgeber, der einerseits Stellen kürzen muß, andererseits aber über ABM-Mittel verfügen kann, wird doch die Gelegenheit nutzen, die Arbeitsamtsmittel im öffentlichen Dienst einzusetzen.
Lill: Die Gefahr ist groß. Aber soweit es in unserer Macht liegt, werden wir natürlich darauf achten, daß nur in denjenigen Bereichen des öffentlichen Dienstes ABM organisiert werden, die nachweisbar keine Stellen abbauen.
Kennen Sie keine Fälle, in denen das doch passiert ist?
Lill: Natürlich war es bei über 3.000 ABM-Beschäftigten im öffentlichen Dienst für den Arbeitssenator nicht total überschaubar, ob dieses Kriterium, das wir gesetzt haben, immer angewandt worden ist, das ist ganz klar.
Möller: Es ist falsch, eine ABM-Diskussion anstelle einer gesellschaftspolitischen Diskussion zu führen. Man muß die Initiativen in den Stand versetzen, daß sie ihre Aufgaben als Daueraufgaben realisieren können. Das geht nicht über ABM. Da sag‘ ich, verdammt noch mal, da ist die Kommune, das Land gefordert.
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