: „Viele fühlen sich jetzt erst richtig stark“
Die südschwedische Gemeinde Sjöbo votierte im Herbst dieses Jahres mit 70 Prozent der Stimmen gegen die Aufnahme von Flüchtlingen Die Fraktion „Ausländer raus“ hat heute weiterhin das Sagen / Auch liberalere Kommunen erachten Kapazitätsgrenze erreicht ■ Aus Sjöbo Gisela Petterson
Diejenigen, die in den letzten Monaten dorthin reisten, wo die Welt so flach ist wie ein Pfannkuchen, haben nur eins im Sinn: zu verstehen, was sich da am südlichsten Zipfel Schwedens im Herbst abgespielt hat. Der Name des 15.123 Einwohner zählenden Fleckens: Sjöbo. Fünf Buchstaben, die zum Synonym für Intoleranz und Ausländerfeindlichkeit in Schweden wurden. Votierten doch in einer Volksbefragung 70 Prozent der Wahlberechtigten gegen die Aufnahme von Flüchtlingen und Asylbewerbern in ihrer Gemeinde.
Ob Sjöbo exemplarisch eine latent vorhandene Ausländerfeindlichkeit widerspiegelt oder nur ein einzelner Schandfleck auf der ansonsten reinen Weste der schwedischen Nation ist, darüber wird heftig diskutiert. Eva Thede, eine der drei Grünen im Sjöboer Kommunalparlament, hat für das, was da zwischen trutzigen Kirchen und langgestreckten Bauernhöfen passierte, vor allem eine Erklärung: die Person Sven-Olle Olsson. Der Großbauer und Ex-Bürgermeister habe in Sjöbo vorhandene konservative Grundströmungen fehlkanalisiert. Eva Thede erinnert sich nur ungern an die emotional aufgeheizte Stimmung vor dem Wahltermin im September. Wochen, die mit Haß und Gewalt angefüllt waren. „Der Riß ging quer durch die Familien.“ Die Sonderschullehrerin bekommt heute allerdings mehr „eklige Anrufe und Briefe als vor dem Wahltermin“. Briefe auch mit sexuellen Kränkungen. „Viele fühlen sich jetzt erst richtig stark“, so die Erfahrungen der grünen Kommunalpolitikerin. Sie gehört mit zu denen, die eine weiße Plakette mit rotem Herzen tragen, in dem groß ein „Ja“ geschrieben steht. Das „Ja“ signalisiert: „Ja zu Flüchtlingen und Ausländern.“ Die Initiative zählt 800 Mitglieder.
Auch Lokalredakteur Johan Swahn meint, daß die Ereignisse erst möglich wurden durch die Person Olssons und weniger zu tun haben mit faschistischen Traditionen etwa, die bis in die Zeit des Zweiten Weltkriegs zurückreichen. Lennart Bonthun von den Sjöboer Sozialdemokraten schließt sich diesem Erklärungsmodell an: „Nicht Sjöbo ist fremdenfeindlich, sondern die Trojka.“
Sven-Olle Olsson, der „sture Bauer von Tomelilla“, ist der Kopf der Trojka, einer Gruppe von drei Großbauern. Alle drei wurden wegen ihrer Zusammenarbeit mit der rechtsextremen Vereinigung „Nysvenska Rörelsen“ aus der Bauernpartei ausgeschlossen. An Olsson perlen die Schuldzuweisungen der Sjöboer ab wie der Regen an den Weidenbäumen von Schonen. „70 Prozent der Sjöboer wollen keine Flüchtlinge, das ist die Wahrheit. Ich habe nichts gegen Ausländer, Flüchtlinge oder Asylsuchende. Aber in Sjöbo gibt es weder Arbeit noch Wohnraum.“ Zu viele kämen ins Land hinein. Trojka-Mitglied Per Ingvar Magnusson fordert stärkere Grenzkontrollen: „Nicht alle sind wirklich Flüchtlinge!“ Und im übrigen gäbe es in Sjöbo bereits Ausländer. Aber mehr könne man nicht mehr verkraften.
„Wir haben hier Hochkonjunktur“, sagt Staffan Hallö vom Arbeitsamt. „In Sjöbo liegen wir mit einer Arbeitslosenrate von 1,2 Prozent unter Reichsdurchschnitt.“ Es gäbe jede Menge freie Jobs, und der Arbeitsvermittlung sei jeder willkommen, fügt er hinzu. Um die größten Lücken zu stopfen, hat das Arbeitsamt die Fühler nach Dänemark ausgestreckt. Einwände gegen Dänen werden nicht erwartet. 130 Ausländer aus nördlichen Nachbarländern leben bereits in Sjöbo. 90 weitere stammen aus nichtskandinavischen Ländern. Zum Beispiel Jamie Oiarzu aus Chile. Seit vier Jahren lebt der 40jährige mit seiner Familie hier. Jamie will nicht glauben, daß die Mehrheit der Sjöboer rassistisch sei. Seiner Meinung nach sollte man die 70 Prozent Nein-Stimmen nicht überbewerten, vielmehr über die 3.000 Ja-Stimmen reden, denn „das ist schließlich enorm angesichts des Gegenwindes“. Salme Härkonen aus Finnland, der seit mehr als 20 Jahren in Sjöbo lebt, ist gar der Auffassung, daß all die Ereignisse sogar einen positiven Effekt hätten. „Sjöbo war die Alarmglocke. Die Leute sind aufgewacht, viele sind fassungslos.“
Als die Wahlergebnisse bekannt geworden waren, wollten in einer ersten Welle des Entsetzens viele Familien wegziehen. Getan haben es nur zwei: Bertil, der Kassierer der Ja -Aktion, und eine Koreanerin, die die ständigen Diskriminierungen und telephonischen Beschimpfungen nicht mehr aushielt.
Da bleibt vielen nur noch die Sündenbocktheorie: „Sjöbo ist nicht Schweden, vielmehr die Sache einer Handvoll Figuren, die ein Feuer angezündet haben“, sagt der Finne Samle Härkonen. Allesamt Ausnahmen im Wohlfahrtsstaat Schweden, der auf seine liberale Tradition der Asylpolitik stolz zu sein pflegt. Mehr als 90 Prozent der 260 schwedischen Gemeinden haben im Herbst jedenfalls mit einem Schreiben an das Einwanderungswerk bewiesen, daß sie bereit sind, Ausländer aufzunehmen. Drei Monate später jedoch signalisierten dieselben Gemeinden der Einwanderungsbehörde, daß - bei aller Bereitschaft, noch mehr Flüchlinge aufzunehmen - die Grenzen ihrer Kapazität erreicht wären. Sjöbo hat allerdings gezeigt, wie dünn die Decke der wohlmeindend per Dekret verordneten Toleranz und Ausländerfreundlichkeit sein kann. „Hätte Sven-Olle Olsson in einer anderen Stadt gewohnt, wäre dort das gleiche passiert“, hatte der Sozialdemokrat Lennart Bonthun gesagt. Die Furcht davor, daß er recht haben könnte, scheint jedenfalls manch einen in Schweden gepackt zu haben.
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