: „Heute fahren Panzer über die Gräber“
■ Th. Mitscherlich und B. Johr, Autoren von Film und Buch zum Farger U-Boot-Bunker
taz: Wenn Ihr für Euren Film Täter und Opfer des Farger U -Boot-Bunker-Baus aufgesucht habt, wie haben sie reagiert?
Thomas Mitscherlich: Ich denke nicht, daß man dabei Täter und Opfer in einem Atemzug nennen kann. Unsere Gefühle sind ihnen gegenüber sehr unterschiedlich. Wenn wir zu den Betroffenen gehen - das meine ich mit Opfer -, dann muß ich auch wieder unterscheiden zwischen denen, die reden wollen, und denen, die nicht reden wollen. Für diejenigen, die einmal begonnen haben, darüber zu sprechen, ist die Rückerinnerung natürlich schmerzlich, aber sie ist der einzige Weg für sie, das Trauma, das ihnen zugefügt worden ist, zu überwinden. Sie sind mit einer Offenheit und einer Herzlichkeit mit uns umgegangen, die sehr erstaunt.
Bei den anderen, die - wie auch immer - beteiligt waren, ob als Lehrling auf der Baustelle sehend oder als älterer Wachsoldat oder auch nur als Anwohner, ist immer eine Verklemmtheit da, eine nicht verarbeitete innere Struktur. Man merkt, man tut ihnen eigentlich Zwang an, daß sie darüber reden sollen.
Aber sie haben geredet?
Mitscherlich: Ja, mich interessieren nur diejenigen, die bereit sind, zu reden. Die anderen haben allerdings in einem großen Maß die Geschichte der Bundesrepublik bestimmt. Sie haben die eigene Erinnerung abgespalten, das ist nicht verdrängt, sondern abgespalten, ist jederzeit reaktivierbar, aber der Ehrenkodex, den sie vor sich selbst haben, verbietet, darüber zu reden.
In Eurer Broschüre sind Zeitungsartikel aus den 50er Jahren zitiert. In einem wird der Bunker, für den Tausende zur Zwangsarbeit gepreßt worden waren, als „nichtvollendetes Bauwerk der Zeit der Pharaonen“ bezeichnet...
Mitscherlich: Wenn ich ein solches Bauwerk mit den Pharaonen vergleiche, dann vergleiche ich es mit einem Tempel, einer kulturellen Leistung. Dieser Bunkerbau hat aber nichts mit Kultur zu tun.
Heute dient der Farger U-Boot-Bunker wieder als Marine -Material-Depot.
Mitscherlich: Daß die Bundeswehr dieses Gelände nach wie vor nutzt, liegt einfach daran, daß sie die Rechtsnachfolge der Wehrmacht übernimmt. Es wäre auch blödsinnig, wenn man noch mehr Geld fürs Militär ausgeben würde, damit nicht ein solches Bauwerk benutzt wird.
Es ist aber die Frage, wie die Bundeswehr selber damit umgeht. Und die geht gar nicht damit um. Dort wo das Außenlager des KZs Neuengamme war, ist heute ein Truppenübungsplatz. Das heißt, heute fahren Panzer nach wie vor über Gräber. Die Bundeswehr leugnet die Geschichte.
Und die Nachbarn des U-Boot-Bunkers?
Barbara Johr: Der Druck der einen auf die anderen zum Beipiel innerhalb von Blumenthal, von Farge reicht aus, daß auch diejenigen, die eigentlich ein Bedürfnis hätten zu reden, sagen: Lieber nicht. Das ist etwas, was ich theoretisch gewußt habe, aber es ist etwas anderes, das selbst zu erfahren. Zu wissen: Du lebst nicht in einem Terrorstaat, aber der soziale Druck reicht, um zum Schweigen zu bringen.
Thematisiert Euer Film diese Schwierigkeiten bei der Recherche?
Mitscherlich: Nein, der Film präsentiert, was die Recherche ergibt. Ich halte es für notwendiger, Mitteilungen zu machen, was damals wirklich geschehen ist. Denn wer weiß hier, daß es in Bremen neun Außenlager des KZ Neuengamme gegeben hat, wer weiß in Bremen, wo Neuengamme liegt?
Fragen: Dirk Asendorpf
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